Komödie und mehr in poetischem Sinn göttlich ist, als das Werk des Dante.
Das wilde Leben, in welches sich Faust stürzt, wird für ihn nach einer nothwendigen Folge zur Hölle. Die erste Reinigung von Qualen des Wissens und der falschen Imagination wird nach der heiteren Ab- sicht des Ganzen in einer Einweihung in die Principien der Teufelei, als der eigentlichen Grundlage der besonnenen Ansicht der Welt, bestehen müssen, wie die Vollendung darin, daß er durch Erhebung über sich selbst und das Unwesentliche das Wesentliche schaut und genießen lernt.
Schon dieses Wenige, was sich über die Natur des Gedichts zum Theil mehr ahnden als wissen läßt, zeigt, daß es ein ganz und in jeder Beziehung originelles, nur sich selbst vergleichbares, in sich selbst ruhen- des Werk sey. Die Art des Schicksals ist einzig und wäre eine neue Erfindung zu nennen, wenn sie nicht gewissermaßen in deutscher Art gegeben, und daher auch durch die mythologische Person des Faust ursprünglich repräsentirt wäre.
Durch diesen eigenthümlichen Widerstreit, der im Wissen beginnt, hat das Gedicht seine wissenschaftliche Seite bekommen, so daß, wenn irgend ein Poem philosophisch heißen kann, dieses Prädikat Goethes Faust allein zugelegt werden muß. Der herrliche Geist, der mit der Kraft des außerordentlichen Dichters den Tiefsinn des Philosophen ver- eint, hat in diesem Gedicht einen ewig frischen Quell der Wissenschaft geöffnet, der allein hinreichend war, die Wissenschaft in dieser Zeit zu verjüngen, die Frischheit eines neuen Lebens über sie zu verbreiten. Wer in das wahre Heiligthum der Natur dringen will, nähere sich diesen Tönen aus einer höheren Welt und sauge in früher Jugend die Kraft in sich, die wie in dichten Lichtstrahlen von diesem Gedicht ausgeht und das Innerste der Welt bewegt.
Goethes Faust könnte man eine moderne Komödie im höchsten Styl nennen, aus dem ganzen Stoff der Zeit gebildet. Wie die Tragödie in dem Aether der öffentlichen Sittlichkeit, so lebt die Komödie in der
Komödie und mehr in poetiſchem Sinn göttlich iſt, als das Werk des Dante.
Das wilde Leben, in welches ſich Fauſt ſtürzt, wird für ihn nach einer nothwendigen Folge zur Hölle. Die erſte Reinigung von Qualen des Wiſſens und der falſchen Imagination wird nach der heiteren Ab- ſicht des Ganzen in einer Einweihung in die Principien der Teufelei, als der eigentlichen Grundlage der beſonnenen Anſicht der Welt, beſtehen müſſen, wie die Vollendung darin, daß er durch Erhebung über ſich ſelbſt und das Unweſentliche das Weſentliche ſchaut und genießen lernt.
Schon dieſes Wenige, was ſich über die Natur des Gedichts zum Theil mehr ahnden als wiſſen läßt, zeigt, daß es ein ganz und in jeder Beziehung originelles, nur ſich ſelbſt vergleichbares, in ſich ſelbſt ruhen- des Werk ſey. Die Art des Schickſals iſt einzig und wäre eine neue Erfindung zu nennen, wenn ſie nicht gewiſſermaßen in deutſcher Art gegeben, und daher auch durch die mythologiſche Perſon des Fauſt urſprünglich repräſentirt wäre.
Durch dieſen eigenthümlichen Widerſtreit, der im Wiſſen beginnt, hat das Gedicht ſeine wiſſenſchaftliche Seite bekommen, ſo daß, wenn irgend ein Poem philoſophiſch heißen kann, dieſes Prädikat Goethes Fauſt allein zugelegt werden muß. Der herrliche Geiſt, der mit der Kraft des außerordentlichen Dichters den Tiefſinn des Philoſophen ver- eint, hat in dieſem Gedicht einen ewig friſchen Quell der Wiſſenſchaft geöffnet, der allein hinreichend war, die Wiſſenſchaft in dieſer Zeit zu verjüngen, die Friſchheit eines neuen Lebens über ſie zu verbreiten. Wer in das wahre Heiligthum der Natur dringen will, nähere ſich dieſen Tönen aus einer höheren Welt und ſauge in früher Jugend die Kraft in ſich, die wie in dichten Lichtſtrahlen von dieſem Gedicht ausgeht und das Innerſte der Welt bewegt.
Goethes Fauſt könnte man eine moderne Komödie im höchſten Styl nennen, aus dem ganzen Stoff der Zeit gebildet. Wie die Tragödie in dem Aether der öffentlichen Sittlichkeit, ſo lebt die Komödie in der
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Komödie und mehr in poetiſchem Sinn göttlich iſt, als das Werk
des Dante.
Das wilde Leben, in welches ſich Fauſt ſtürzt, wird für ihn nach
einer nothwendigen Folge zur Hölle. Die erſte Reinigung von Qualen
des Wiſſens und der falſchen Imagination wird nach der heiteren Ab-
ſicht des Ganzen in einer Einweihung in die Principien der Teufelei,
als der eigentlichen Grundlage der beſonnenen Anſicht der Welt, beſtehen
müſſen, wie die Vollendung darin, daß er durch Erhebung über ſich
ſelbſt und das Unweſentliche das Weſentliche ſchaut und genießen lernt.
Schon dieſes Wenige, was ſich über die Natur des Gedichts zum
Theil mehr ahnden als wiſſen läßt, zeigt, daß es ein ganz und in jeder
Beziehung originelles, nur ſich ſelbſt vergleichbares, in ſich ſelbſt ruhen-
des Werk ſey. Die Art des Schickſals iſt einzig und wäre eine neue
Erfindung zu nennen, wenn ſie nicht gewiſſermaßen in deutſcher Art
gegeben, und daher auch durch die mythologiſche Perſon des Fauſt
urſprünglich repräſentirt wäre.
Durch dieſen eigenthümlichen Widerſtreit, der im Wiſſen beginnt,
hat das Gedicht ſeine wiſſenſchaftliche Seite bekommen, ſo daß, wenn
irgend ein Poem philoſophiſch heißen kann, dieſes Prädikat Goethes
Fauſt allein zugelegt werden muß. Der herrliche Geiſt, der mit der
Kraft des außerordentlichen Dichters den Tiefſinn des Philoſophen ver-
eint, hat in dieſem Gedicht einen ewig friſchen Quell der Wiſſenſchaft
geöffnet, der allein hinreichend war, die Wiſſenſchaft in dieſer Zeit zu
verjüngen, die Friſchheit eines neuen Lebens über ſie zu verbreiten.
Wer in das wahre Heiligthum der Natur dringen will, nähere ſich
dieſen Tönen aus einer höheren Welt und ſauge in früher Jugend
die Kraft in ſich, die wie in dichten Lichtſtrahlen von dieſem Gedicht
ausgeht und das Innerſte der Welt bewegt.
Goethes Fauſt könnte man eine moderne Komödie im höchſten Styl
nennen, aus dem ganzen Stoff der Zeit gebildet. Wie die Tragödie
in dem Aether der öffentlichen Sittlichkeit, ſo lebt die Komödie in der
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 733. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/409>, abgerufen am 21.11.2024.
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