würde alle poetische Unabhängigkeit dieser Gestalten vernichtet. Sie bedeuten es nicht, sie sind es selbst. Die Ideen in der Philosophie und die Götter in der Kunst sind ein und dasselbe, aber jedes ist für sich das, was es ist, jedes eine eigne Ansicht desselbigen, keines um des andern willen, oder um das andere zu bedeuten. -- In der Bil- dung des Jupiter sind alle Beschränkungen entfernt außer der noth- wendigen; die Begrenzungen sind nur da, um das Wesentliche schauen zu lassen. Die absolute Macht ist eben darum, weil sie dieß ist, wieder die höchste Ruhe: Jupiter winkt mit den Augenbraunen, und der Olymp erbebt. Er säet gleichsam die Blitze nur, wie sich ein neuerer Dichter vortrefflich ausdrückt. Minerva trägt in sich selbst alles, was die Form Hohes und Mächtiges, Kunstreiches und Zerstörendes, Vereinendes und Entzweiendes in sich hat. Die Form an und für sich ist kalt, da ihr in dieser Absonderung der Stoff fremd ist, sie ist aber zugleich die höchste Macht, die keine Schwäche, wie keinen Irrthum kennt; sie ist daher zugleich das Urbild und die ewige Erfinderin aller Kunst, und die furchtbare Zerstörerin der Städte, die verwundende und die hei- lende. Sie ist vereinend als die absolute Form, aber auch die Göttin des Kriegs in Bezug auf die menschlichen Geschlechter. Im hohen Olymp, in der heiteren Region des Göttlichen ist kein Streit, denn das Widerstreitende ist hier, gesondert oder vereint, zur gleichen Abso- lutheit ausgebildet; nur in der niederen Welt, wo Form sich gegen Form, Besonderes gegen Besonderes empört, ist Krieg, die Werkstätte der nicht ruhenden Bildung und Zerstörung, des Wechsels und Wan- dels; aber alle diese Erscheinungen der Zerstörung des Kriegs ruhen doch als Möglichkeiten in dem Schooß der absoluten Form. Insofern kann man sagen, daß die jungfräuliche Minerva, die selbst aus keiner Mutter Schooß geboren, die in sich fruchtbarste aller Gottheiten sey. Fast alle Werke der Menschen sind ihre Bildungen; in ihrer Strenge (reinen Form) ist sie die gleiche Göttin des Philosophen, des Künstlers und des Kriegers, und ihre Hoheit ruht vorzüglich darin, daß, uner- achtet sie von allen allein das Entgegengesetzte vereinet, doch in ihr keines das andere stört, und in ihrem Bild doch alles sich auf Eines
Schelling, sämmtl. Werke. 1. Abth. V. 26
würde alle poetiſche Unabhängigkeit dieſer Geſtalten vernichtet. Sie bedeuten es nicht, ſie ſind es ſelbſt. Die Ideen in der Philoſophie und die Götter in der Kunſt ſind ein und daſſelbe, aber jedes iſt für ſich das, was es iſt, jedes eine eigne Anſicht deſſelbigen, keines um des andern willen, oder um das andere zu bedeuten. — In der Bil- dung des Jupiter ſind alle Beſchränkungen entfernt außer der noth- wendigen; die Begrenzungen ſind nur da, um das Weſentliche ſchauen zu laſſen. Die abſolute Macht iſt eben darum, weil ſie dieß iſt, wieder die höchſte Ruhe: Jupiter winkt mit den Augenbraunen, und der Olymp erbebt. Er ſäet gleichſam die Blitze nur, wie ſich ein neuerer Dichter vortrefflich ausdrückt. Minerva trägt in ſich ſelbſt alles, was die Form Hohes und Mächtiges, Kunſtreiches und Zerſtörendes, Vereinendes und Entzweiendes in ſich hat. Die Form an und für ſich iſt kalt, da ihr in dieſer Abſonderung der Stoff fremd iſt, ſie iſt aber zugleich die höchſte Macht, die keine Schwäche, wie keinen Irrthum kennt; ſie iſt daher zugleich das Urbild und die ewige Erfinderin aller Kunſt, und die furchtbare Zerſtörerin der Städte, die verwundende und die hei- lende. Sie iſt vereinend als die abſolute Form, aber auch die Göttin des Kriegs in Bezug auf die menſchlichen Geſchlechter. Im hohen Olymp, in der heiteren Region des Göttlichen iſt kein Streit, denn das Widerſtreitende iſt hier, geſondert oder vereint, zur gleichen Abſo- lutheit ausgebildet; nur in der niederen Welt, wo Form ſich gegen Form, Beſonderes gegen Beſonderes empört, iſt Krieg, die Werkſtätte der nicht ruhenden Bildung und Zerſtörung, des Wechſels und Wan- dels; aber alle dieſe Erſcheinungen der Zerſtörung des Kriegs ruhen doch als Möglichkeiten in dem Schooß der abſoluten Form. Inſofern kann man ſagen, daß die jungfräuliche Minerva, die ſelbſt aus keiner Mutter Schooß geboren, die in ſich fruchtbarſte aller Gottheiten ſey. Faſt alle Werke der Menſchen ſind ihre Bildungen; in ihrer Strenge (reinen Form) iſt ſie die gleiche Göttin des Philoſophen, des Künſtlers und des Kriegers, und ihre Hoheit ruht vorzüglich darin, daß, uner- achtet ſie von allen allein das Entgegengeſetzte vereinet, doch in ihr keines das andere ſtört, und in ihrem Bild doch alles ſich auf Eines
Schelling, ſämmtl. Werke. 1. Abth. V. 26
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würde alle poetiſche Unabhängigkeit dieſer Geſtalten vernichtet. Sie
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ſich das, was es iſt, jedes eine eigne Anſicht deſſelbigen, keines um
des andern willen, oder um das andere zu bedeuten. — In der Bil-
dung des Jupiter ſind alle Beſchränkungen entfernt außer der noth-
wendigen; die Begrenzungen ſind nur da, um das Weſentliche ſchauen
zu laſſen. Die abſolute Macht iſt eben darum, weil ſie dieß iſt, wieder
die höchſte Ruhe: Jupiter winkt mit den Augenbraunen, und der Olymp
erbebt. Er ſäet gleichſam die Blitze nur, wie ſich ein neuerer Dichter
vortrefflich ausdrückt. Minerva trägt in ſich ſelbſt alles, was die Form
Hohes und Mächtiges, Kunſtreiches und Zerſtörendes, Vereinendes
und Entzweiendes in ſich hat. Die Form an und für ſich iſt kalt, da
ihr in dieſer Abſonderung der Stoff fremd iſt, ſie iſt aber zugleich die
höchſte Macht, die keine Schwäche, wie keinen Irrthum kennt; ſie iſt
daher zugleich das Urbild und die ewige Erfinderin aller Kunſt, und
die furchtbare Zerſtörerin der Städte, die verwundende und die hei-
lende. Sie iſt vereinend als die abſolute Form, aber auch die Göttin
des Kriegs in Bezug auf die menſchlichen Geſchlechter. Im hohen
Olymp, in der heiteren Region des Göttlichen iſt kein Streit, denn
das Widerſtreitende iſt hier, geſondert oder vereint, zur gleichen Abſo-
lutheit ausgebildet; nur in der niederen Welt, wo Form ſich gegen
Form, Beſonderes gegen Beſonderes empört, iſt Krieg, die Werkſtätte
der nicht ruhenden Bildung und Zerſtörung, des Wechſels und Wan-
dels; aber alle dieſe Erſcheinungen der Zerſtörung des Kriegs ruhen
doch als Möglichkeiten in dem Schooß der abſoluten Form. Inſofern
kann man ſagen, daß die jungfräuliche Minerva, die ſelbſt aus keiner
Mutter Schooß geboren, die in ſich fruchtbarſte aller Gottheiten ſey.
Faſt alle Werke der Menſchen ſind ihre Bildungen; in ihrer Strenge
(reinen Form) iſt ſie die gleiche Göttin des Philoſophen, des Künſtlers
und des Kriegers, und ihre Hoheit ruht vorzüglich darin, daß, uner-
achtet ſie von allen allein das Entgegengeſetzte vereinet, doch in ihr
keines das andere ſtört, und in ihrem Bild doch alles ſich auf Eines
Schelling, ſämmtl. Werke. 1. Abth. V. 26
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/77>, abgerufen am 24.11.2024.
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