anderes als das Universum im höheren Gewand, in seiner absoluten Gestalt, das wahre Universum an sich, Bild des Lebens und des wun- dervollen Chaos in der göttlichen Imagination, selbst schon Poesie und doch für sich wieder Stoff und Element der Poesie. Sie (die Mytho- logie) ist die Welt und gleichsam der Boden, worin allein die Gewächse der Kunst aufblühen und bestehen können. Nur innerhalb einer solchen Welt sind bleibende und bestimmte Gestalten möglich, durch die allein ewige Begriffe ausgedrückt werden können. Die Schöpfungen der Kunst müssen dieselbe, ja noch eine höhere Realität haben als die der Natur, die Götterformen, die so nothwendig und ewig fortdauern, als das Geschlecht der Menschen oder das der Pflanzen, zugleich Individuen und Gattungen und unsterblich wie diese 1.
Inwiefern Poesie das Bildende des Stoffes, wie Kunst im engeren Sinn der Form ist, so ist die Mythologie die absolute Poesie, gleich- sam die Poesie in Masse. Sie ist die ewige Materie, aus der alle Formen so wundervoll, mannichfaltig hervorgehen.
§. 39. Darstellung des Absoluten mit absoluter In- differenz des Allgemeinen und Besonderen im Besonderen ist nur symbolisch möglich.
Erläuterung. Darstellung des Absoluten mit absoluter In- differenz des Allgemeinen und Besonderen im Allgemeinen = Philosophie -- Idee --. Darstellung des Absoluten mit absoluter Indifferenz des Allgemeinen und Besonderen im Besonderen = Kunst. Der allgemeine Stoff dieser Darstellung = Mythologie. In dieser also ist schon die zweite Synthese, die der Indifferenz des All- gemeinen und Besonderen mit dem Besonderen gemacht. Der auf- gestellte Satz ist demnach Princip der Construktion der Mythologie überhaupt.
Um den Beweis dieses Satzes führen zu können, ist es nöthig, daß wir eine Erklärung des Symbolischen geben; und da diese
1 Vergl. hierzu die späteren Aeußerungen in der Einleitung der Philos. der Mythologie, S. 241 ff. und Philosophie der Offenbarung (2 Abth., Bd. 3) S. 429. D. H.
anderes als das Univerſum im höheren Gewand, in ſeiner abſoluten Geſtalt, das wahre Univerſum an ſich, Bild des Lebens und des wun- dervollen Chaos in der göttlichen Imagination, ſelbſt ſchon Poeſie und doch für ſich wieder Stoff und Element der Poeſie. Sie (die Mytho- logie) iſt die Welt und gleichſam der Boden, worin allein die Gewächſe der Kunſt aufblühen und beſtehen können. Nur innerhalb einer ſolchen Welt ſind bleibende und beſtimmte Geſtalten möglich, durch die allein ewige Begriffe ausgedrückt werden können. Die Schöpfungen der Kunſt müſſen dieſelbe, ja noch eine höhere Realität haben als die der Natur, die Götterformen, die ſo nothwendig und ewig fortdauern, als das Geſchlecht der Menſchen oder das der Pflanzen, zugleich Individuen und Gattungen und unſterblich wie dieſe 1.
Inwiefern Poeſie das Bildende des Stoffes, wie Kunſt im engeren Sinn der Form iſt, ſo iſt die Mythologie die abſolute Poeſie, gleich- ſam die Poeſie in Maſſe. Sie iſt die ewige Materie, aus der alle Formen ſo wundervoll, mannichfaltig hervorgehen.
§. 39. Darſtellung des Abſoluten mit abſoluter In- differenz des Allgemeinen und Beſonderen im Beſonderen iſt nur ſymboliſch möglich.
Erläuterung. Darſtellung des Abſoluten mit abſoluter In- differenz des Allgemeinen und Beſonderen im Allgemeinen = Philoſophie — Idee —. Darſtellung des Abſoluten mit abſoluter Indifferenz des Allgemeinen und Beſonderen im Beſonderen = Kunſt. Der allgemeine Stoff dieſer Darſtellung = Mythologie. In dieſer alſo iſt ſchon die zweite Syntheſe, die der Indifferenz des All- gemeinen und Beſonderen mit dem Beſonderen gemacht. Der auf- geſtellte Satz iſt demnach Princip der Conſtruktion der Mythologie überhaupt.
Um den Beweis dieſes Satzes führen zu können, iſt es nöthig, daß wir eine Erklärung des Symboliſchen geben; und da dieſe
1 Vergl. hierzu die ſpäteren Aeußerungen in der Einleitung der Philoſ. der Mythologie, S. 241 ff. und Philoſophie der Offenbarung (2 Abth., Bd. 3) S. 429. D. H.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0082"n="406"/>
anderes als das Univerſum im höheren Gewand, in ſeiner abſoluten<lb/>
Geſtalt, das wahre Univerſum an ſich, Bild des Lebens und des wun-<lb/>
dervollen Chaos in der göttlichen Imagination, ſelbſt ſchon Poeſie und<lb/>
doch für ſich wieder Stoff und Element der Poeſie. Sie (die Mytho-<lb/>
logie) iſt die Welt und gleichſam der Boden, worin allein die Gewächſe<lb/>
der Kunſt aufblühen und beſtehen können. Nur innerhalb einer ſolchen<lb/>
Welt ſind bleibende und beſtimmte Geſtalten möglich, durch die allein<lb/>
ewige Begriffe ausgedrückt werden können. Die Schöpfungen der Kunſt<lb/>
müſſen dieſelbe, ja noch eine höhere Realität haben als die der Natur,<lb/>
die Götterformen, die ſo nothwendig und ewig fortdauern, als das<lb/>
Geſchlecht der Menſchen oder das der Pflanzen, zugleich Individuen<lb/>
und Gattungen und unſterblich wie dieſe <noteplace="foot"n="1">Vergl. hierzu die ſpäteren Aeußerungen in der Einleitung der Philoſ. der<lb/>
Mythologie, S. 241 ff. und Philoſophie der Offenbarung (2 Abth., Bd. 3)<lb/>
S. 429. D. H.</note>.</p><lb/><p>Inwiefern Poeſie das Bildende des Stoffes, wie Kunſt im engeren<lb/>
Sinn der Form iſt, ſo iſt die Mythologie die abſolute Poeſie, gleich-<lb/>ſam die Poeſie in Maſſe. Sie iſt die ewige Materie, aus der alle<lb/>
Formen ſo wundervoll, mannichfaltig hervorgehen.</p><lb/><p>§. 39. <hirendition="#g">Darſtellung des Abſoluten mit abſoluter In-<lb/>
differenz des Allgemeinen und Beſonderen <hirendition="#b">im Beſonderen</hi><lb/>
iſt nur ſymboliſch möglich</hi>.</p><lb/><p><hirendition="#g">Erläuterung</hi>. Darſtellung des Abſoluten mit abſoluter In-<lb/>
differenz des Allgemeinen und Beſonderen <hirendition="#g">im Allgemeinen</hi> =<lb/>
Philoſophie — Idee —. Darſtellung des Abſoluten mit abſoluter<lb/>
Indifferenz des Allgemeinen und Beſonderen <hirendition="#g">im Beſonderen</hi> =<lb/>
Kunſt. Der allgemeine Stoff dieſer Darſtellung = Mythologie. In<lb/>
dieſer alſo iſt ſchon die zweite Syntheſe, die der Indifferenz des All-<lb/>
gemeinen und Beſonderen mit dem <hirendition="#g">Beſonderen</hi> gemacht. Der auf-<lb/>
geſtellte Satz iſt demnach Princip der Conſtruktion der Mythologie<lb/>
überhaupt.</p><lb/><p>Um den Beweis dieſes Satzes führen zu können, iſt es nöthig,<lb/>
daß wir eine Erklärung des <hirendition="#g">Symboliſchen</hi> geben; und da dieſe<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[406/0082]
anderes als das Univerſum im höheren Gewand, in ſeiner abſoluten
Geſtalt, das wahre Univerſum an ſich, Bild des Lebens und des wun-
dervollen Chaos in der göttlichen Imagination, ſelbſt ſchon Poeſie und
doch für ſich wieder Stoff und Element der Poeſie. Sie (die Mytho-
logie) iſt die Welt und gleichſam der Boden, worin allein die Gewächſe
der Kunſt aufblühen und beſtehen können. Nur innerhalb einer ſolchen
Welt ſind bleibende und beſtimmte Geſtalten möglich, durch die allein
ewige Begriffe ausgedrückt werden können. Die Schöpfungen der Kunſt
müſſen dieſelbe, ja noch eine höhere Realität haben als die der Natur,
die Götterformen, die ſo nothwendig und ewig fortdauern, als das
Geſchlecht der Menſchen oder das der Pflanzen, zugleich Individuen
und Gattungen und unſterblich wie dieſe 1.
Inwiefern Poeſie das Bildende des Stoffes, wie Kunſt im engeren
Sinn der Form iſt, ſo iſt die Mythologie die abſolute Poeſie, gleich-
ſam die Poeſie in Maſſe. Sie iſt die ewige Materie, aus der alle
Formen ſo wundervoll, mannichfaltig hervorgehen.
§. 39. Darſtellung des Abſoluten mit abſoluter In-
differenz des Allgemeinen und Beſonderen im Beſonderen
iſt nur ſymboliſch möglich.
Erläuterung. Darſtellung des Abſoluten mit abſoluter In-
differenz des Allgemeinen und Beſonderen im Allgemeinen =
Philoſophie — Idee —. Darſtellung des Abſoluten mit abſoluter
Indifferenz des Allgemeinen und Beſonderen im Beſonderen =
Kunſt. Der allgemeine Stoff dieſer Darſtellung = Mythologie. In
dieſer alſo iſt ſchon die zweite Syntheſe, die der Indifferenz des All-
gemeinen und Beſonderen mit dem Beſonderen gemacht. Der auf-
geſtellte Satz iſt demnach Princip der Conſtruktion der Mythologie
überhaupt.
Um den Beweis dieſes Satzes führen zu können, iſt es nöthig,
daß wir eine Erklärung des Symboliſchen geben; und da dieſe
1 Vergl. hierzu die ſpäteren Aeußerungen in der Einleitung der Philoſ. der
Mythologie, S. 241 ff. und Philoſophie der Offenbarung (2 Abth., Bd. 3)
S. 429. D. H.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/82>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.