Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.der Philosophie, und es ist leicht zu zeigen, daß sie die ganze Rich- So ist also die griechische Mythologie nicht nur für sich von un- War Homeros ein Gott, so werden ihm Tempel errichtet, War er ein Sterblicher, sey dennoch er göttlich verehrt. Noch eine Reflexion. -- Wir haben die Mythologie von den ersten Es führt uns dieß auf den Gegensatz der antiken und moder- Schelling, sämmtl. Werke 1. Abth. V. 27
der Philoſophie, und es iſt leicht zu zeigen, daß ſie die ganze Rich- So iſt alſo die griechiſche Mythologie nicht nur für ſich von un- War Homeros ein Gott, ſo werden ihm Tempel errichtet, War er ein Sterblicher, ſey dennoch er göttlich verehrt. Noch eine Reflexion. — Wir haben die Mythologie von den erſten Es führt uns dieß auf den Gegenſatz der antiken und moder- Schelling, ſämmtl. Werke 1. Abth. V. 27
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der Philoſophie, und es iſt leicht zu zeigen, daß ſie die ganze Rich-
tung auch der griechiſchen Philoſophie beſtimmt hat. Das Erſte, was
ſich aus ihr loswand, war die älteſte Naturphiloſophie der Griechen,
die noch rein realiſtiſch war, bis zuerſt Anaxagoras (νοῦς) und voll-
endeter nach ihm Sokrates das idealiſtiſche Element darein brachte.
Aber auch von dem ſittlichen Theil der Philoſophie war ſie die erſte
Quelle. Die erſten Anſichten ſittlicher Verhältniſſe, aber vorzüglich
jenes allen Griechen bis zur höchſten Bildung im Sophokles gemein-
ſchaftliche, allen ihren Werken tief eingeprägte Gefühl des untergeord-
neten Verhältniſſes der Menſchen zu den Göttern, der Sinn für Be-
grenzung und Maß auch im Sittlichen, die Verabſcheuung des Ueber-
muths, der frevelnden Gewaltthätigkeit u. ſ. w., die ſchönſten ſittlichen
Seiten der Sophokleiſchen Werke ſtammen noch von der Mythologie her.
So iſt alſo die griechiſche Mythologie nicht nur für ſich von un-
endlichem Sinn, ſondern, weil ſie auch ihrem Urſprung nach Werk
einer Gattung iſt, die zugleich Individuum iſt, ſelbſt das Werk eines
Gottes, wie in der griechiſchen Anthologie ſelbſt das Sinngedicht auf
Homer enthalten iſt:
War Homeros ein Gott, ſo werden ihm Tempel errichtet,
War er ein Sterblicher, ſey dennoch er göttlich verehrt.
Noch eine Reflexion. — Wir haben die Mythologie von den erſten
Kunſtforderungen aus ganz rational conſtruirt, und von ſelbſt ſtellte
ſich als die Auflöſung aller jener Forderungen die griechiſche Mytho-
logie dar. Hier drängt ſich uns das erſte Mal die durchgängige Ra-
tionalität der griechiſchen Kunſt und Poeſie auf, ſo daß man immer
ſicher ſeyn kann, jede ihrer Idee gemäß conſtruirte Kunſtgattung, ja
faſt das Kunſtindividuum in der griechiſchen Bildung anzutreffen. Die
moderne Poeſie und Kunſt dagegen iſt die irrationale, inſofern die ne-
gative Seite der alten Kunſt, womit ich ſie nicht herabſetzen will, da
auch das Negative als ſolches wieder Form werden kann, die das
Vollendete aufnimmt.
Es führt uns dieß auf den Gegenſatz der antiken und moder-
nen Poeſie in Bezug auf Mythologie.
Schelling, ſämmtl. Werke 1. Abth. V. 27
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