Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

sum, die Anschauung desselben als Geschichte
und als einer Welt der Vorsehung ist.

Dieß ist die große historische Richtung des
Christenthums: dieß der Grund, warum die
Wissenschaft der Religion in ihm von der Ge¬
schichte unzertrennlich, ja mit ihr völlig Eins seyn
muß. Jene Synthese mit der Geschichte, oh¬
ne welche Theologie selbst nicht gedacht werden
kann, fodert aber hinwiederum zu ihrer Bedin¬
gung die höhere christliche Ansicht der Ge¬
schichte.

Der Gegensatz, der insgemein zwischen
Historie und Philosophie gemacht wird, be¬
steht nur, so lange die Geschichte als eine Rei¬
he zufälliger Begebenheiten, oder als bloß em¬
pirische Nothwendigkeit begriffen wird: das
erste ist die ganz gemeine Ansicht, über die sich
die andere zu erheben meynt, da sie ihr an Be¬
schränkung gleich ist. Auch die Geschichte
kommt aus einer ewigen Einheit, und hat ihre
Wurzel eben so im Absoluten wie die Natur,
oder irgend ein anderer Gegenstand des Wis¬
sens. Die Zufälligkeit der Begebenheiten und

12

ſum, die Anſchauung deſſelben als Geſchichte
und als einer Welt der Vorſehung iſt.

Dieß iſt die große hiſtoriſche Richtung des
Chriſtenthums: dieß der Grund, warum die
Wiſſenſchaft der Religion in ihm von der Ge¬
ſchichte unzertrennlich, ja mit ihr voͤllig Eins ſeyn
muß. Jene Syntheſe mit der Geſchichte, oh¬
ne welche Theologie ſelbſt nicht gedacht werden
kann, fodert aber hinwiederum zu ihrer Bedin¬
gung die hoͤhere chriſtliche Anſicht der Ge¬
ſchichte.

Der Gegenſatz, der insgemein zwiſchen
Hiſtorie und Philoſophie gemacht wird, be¬
ſteht nur, ſo lange die Geſchichte als eine Rei¬
he zufaͤlliger Begebenheiten, oder als bloß em¬
piriſche Nothwendigkeit begriffen wird: das
erſte iſt die ganz gemeine Anſicht, uͤber die ſich
die andere zu erheben meynt, da ſie ihr an Be¬
ſchraͤnkung gleich iſt. Auch die Geſchichte
kommt aus einer ewigen Einheit, und hat ihre
Wurzel eben ſo im Abſoluten wie die Natur,
oder irgend ein anderer Gegenſtand des Wiſ¬
ſens. Die Zufaͤlligkeit der Begebenheiten und

12
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0186" n="177"/>
&#x017F;um, die An&#x017F;chauung de&#x017F;&#x017F;elben als Ge&#x017F;chichte<lb/>
und als einer Welt der Vor&#x017F;ehung i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Dieß i&#x017F;t die große hi&#x017F;tori&#x017F;che Richtung des<lb/>
Chri&#x017F;tenthums: dieß der Grund, warum die<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft der Religion in ihm von der Ge¬<lb/>
&#x017F;chichte unzertrennlich, ja mit ihr vo&#x0364;llig Eins &#x017F;eyn<lb/>
muß. Jene Synthe&#x017F;e mit der Ge&#x017F;chichte, oh¬<lb/>
ne welche Theologie &#x017F;elb&#x017F;t nicht gedacht werden<lb/>
kann, fodert aber hinwiederum zu ihrer Bedin¬<lb/>
gung die ho&#x0364;here chri&#x017F;tliche An&#x017F;icht der Ge¬<lb/>
&#x017F;chichte.</p><lb/>
        <p>Der Gegen&#x017F;atz, der insgemein zwi&#x017F;chen<lb/>
Hi&#x017F;torie und Philo&#x017F;ophie gemacht wird, be¬<lb/>
&#x017F;teht nur, &#x017F;o lange die Ge&#x017F;chichte als eine Rei¬<lb/>
he zufa&#x0364;lliger Begebenheiten, oder als bloß em¬<lb/>
piri&#x017F;che Nothwendigkeit begriffen wird: das<lb/>
er&#x017F;te i&#x017F;t die ganz gemeine An&#x017F;icht, u&#x0364;ber die &#x017F;ich<lb/>
die andere zu erheben meynt, da &#x017F;ie ihr an Be¬<lb/>
&#x017F;chra&#x0364;nkung gleich i&#x017F;t. Auch die Ge&#x017F;chichte<lb/>
kommt aus einer ewigen Einheit, und hat ihre<lb/>
Wurzel eben &#x017F;o im Ab&#x017F;oluten wie die Natur,<lb/>
oder irgend ein anderer Gegen&#x017F;tand des Wi&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;ens. Die Zufa&#x0364;lligkeit der Begebenheiten und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">12<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[177/0186] ſum, die Anſchauung deſſelben als Geſchichte und als einer Welt der Vorſehung iſt. Dieß iſt die große hiſtoriſche Richtung des Chriſtenthums: dieß der Grund, warum die Wiſſenſchaft der Religion in ihm von der Ge¬ ſchichte unzertrennlich, ja mit ihr voͤllig Eins ſeyn muß. Jene Syntheſe mit der Geſchichte, oh¬ ne welche Theologie ſelbſt nicht gedacht werden kann, fodert aber hinwiederum zu ihrer Bedin¬ gung die hoͤhere chriſtliche Anſicht der Ge¬ ſchichte. Der Gegenſatz, der insgemein zwiſchen Hiſtorie und Philoſophie gemacht wird, be¬ ſteht nur, ſo lange die Geſchichte als eine Rei¬ he zufaͤlliger Begebenheiten, oder als bloß em¬ piriſche Nothwendigkeit begriffen wird: das erſte iſt die ganz gemeine Anſicht, uͤber die ſich die andere zu erheben meynt, da ſie ihr an Be¬ ſchraͤnkung gleich iſt. Auch die Geſchichte kommt aus einer ewigen Einheit, und hat ihre Wurzel eben ſo im Abſoluten wie die Natur, oder irgend ein anderer Gegenſtand des Wiſ¬ ſens. Die Zufaͤlligkeit der Begebenheiten und 12

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/186
Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/186>, abgerufen am 24.11.2024.