gesunden Exegese, einer aufklärenden Psycho¬ logie und schlaffen Moral, alles Speculative und selbst das subjectiv-Symbolische aus dem Christenthum entfernt. Der Glaube an seine Göttlichkeit wurde auf empirisch-historische Argumente gebaut, das Wunder der Offen¬ barung in einem sehr handgreiflichen Zirkel durch andere Wunder bewiesen. Da das Göttliche seiner Natur nach empirisch weder erkennbar noch demonstrabel ist, so hatten hiemit die Naturalisten gewonnenes Spiel. Man hatte schon mit ihnen unterhandelt, als man die Untersuchungen über die Aechtheit der christlichen Bücher, den Beweis ihrer Eingebung aus einzelnen Stellen, zum Fun¬ dament der Theologie machte. Die Zurück¬ weisung auf den Buchstaben einiger Bücher machte nothwendig, daß die ganze Wissen¬ schaft sich in Philologie und Auslegungskunst verwandelte, wodurch sie eine gänzlich profane Scienz geworden ist, und, wo man das Pal¬ ladium der Rechtgläubigkeit in der sogenann¬ ten Sprachkenntniß sucht, ist die Theologie
geſunden Exegeſe, einer aufklaͤrenden Pſycho¬ logie und ſchlaffen Moral, alles Speculative und ſelbſt das ſubjectiv-Symboliſche aus dem Chriſtenthum entfernt. Der Glaube an ſeine Goͤttlichkeit wurde auf empiriſch-hiſtoriſche Argumente gebaut, das Wunder der Offen¬ barung in einem ſehr handgreiflichen Zirkel durch andere Wunder bewieſen. Da das Goͤttliche ſeiner Natur nach empiriſch weder erkennbar noch demonſtrabel iſt, ſo hatten hiemit die Naturaliſten gewonnenes Spiel. Man hatte ſchon mit ihnen unterhandelt, als man die Unterſuchungen uͤber die Aechtheit der chriſtlichen Buͤcher, den Beweis ihrer Eingebung aus einzelnen Stellen, zum Fun¬ dament der Theologie machte. Die Zuruͤck¬ weiſung auf den Buchſtaben einiger Buͤcher machte nothwendig, daß die ganze Wiſſen¬ ſchaft ſich in Philologie und Auslegungskunſt verwandelte, wodurch ſie eine gaͤnzlich profane Scienz geworden iſt, und, wo man das Pal¬ ladium der Rechtglaͤubigkeit in der ſogenann¬ ten Sprachkenntniß ſucht, iſt die Theologie
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[202/0211]
geſunden Exegeſe, einer aufklaͤrenden Pſycho¬
logie und ſchlaffen Moral, alles Speculative
und ſelbſt das ſubjectiv-Symboliſche aus dem
Chriſtenthum entfernt. Der Glaube an ſeine
Goͤttlichkeit wurde auf empiriſch-hiſtoriſche
Argumente gebaut, das Wunder der Offen¬
barung in einem ſehr handgreiflichen Zirkel
durch andere Wunder bewieſen. Da das
Goͤttliche ſeiner Natur nach empiriſch weder
erkennbar noch demonſtrabel iſt, ſo hatten
hiemit die Naturaliſten gewonnenes Spiel.
Man hatte ſchon mit ihnen unterhandelt, als
man die Unterſuchungen uͤber die Aechtheit
der chriſtlichen Buͤcher, den Beweis ihrer
Eingebung aus einzelnen Stellen, zum Fun¬
dament der Theologie machte. Die Zuruͤck¬
weiſung auf den Buchſtaben einiger Buͤcher
machte nothwendig, daß die ganze Wiſſen¬
ſchaft ſich in Philologie und Auslegungskunſt
verwandelte, wodurch ſie eine gaͤnzlich profane
Scienz geworden iſt, und, wo man das Pal¬
ladium der Rechtglaͤubigkeit in der ſogenann¬
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/211>, abgerufen am 24.11.2024.
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