nichts, das heiliger wäre als die Geschichte, dieser große Spiegel des Weltgeistes, dieses ewige Gedicht des göttlichen Verstandes: nichts das weniger die Berührung unreiner Hände er¬ trüge.
Der pragmatische Zweck der Geschichte schließt von selbst die Universalität aus und fo¬ dert nothwendig auch einen beschränkten Gegen¬ stand. Der Zweck der Belehrung verlangt eine richtige und empirisch begründete Verknüpfung der Begebenheiten, durch welche der Verstand zwar aufgeklärt wird, die Vernunft aber ohne andere Zuthat unbefriedigt bleibt. Auch Kants Plan einer Geschichte im weltbürgerlichen Sinn beabsichtigt eine bloße Verstandesgesetzmäßigkeit im Ganzen derselben, die nur höher, nämlich in der allgemeinen Nothwendigkeit der Natur, gesucht wird, durch welche aus dem Krieg der Friede, zuletzt sogar der ewige und aus vielen andern Verirrungen endlich die ächte Rechtsver¬ fassung entstehen soll. Allein dieser Plan der Natur ist selbst nur der empirische Widerschein der wahren Nothwendigkeit, so wie die Ab¬
nichts, das heiliger waͤre als die Geſchichte, dieſer große Spiegel des Weltgeiſtes, dieſes ewige Gedicht des goͤttlichen Verſtandes: nichts das weniger die Beruͤhrung unreiner Haͤnde er¬ truͤge.
Der pragmatiſche Zweck der Geſchichte ſchließt von ſelbſt die Univerſalitaͤt aus und fo¬ dert nothwendig auch einen beſchraͤnkten Gegen¬ ſtand. Der Zweck der Belehrung verlangt eine richtige und empiriſch begruͤndete Verknuͤpfung der Begebenheiten, durch welche der Verſtand zwar aufgeklaͤrt wird, die Vernunft aber ohne andere Zuthat unbefriedigt bleibt. Auch Kants Plan einer Geſchichte im weltbuͤrgerlichen Sinn beabſichtigt eine bloße Verſtandesgeſetzmaͤßigkeit im Ganzen derſelben, die nur hoͤher, naͤmlich in der allgemeinen Nothwendigkeit der Natur, geſucht wird, durch welche aus dem Krieg der Friede, zuletzt ſogar der ewige und aus vielen andern Verirrungen endlich die aͤchte Rechtsver¬ faſſung entſtehen ſoll. Allein dieſer Plan der Natur iſt ſelbſt nur der empiriſche Widerſchein der wahren Nothwendigkeit, ſo wie die Ab¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0228"n="219"/>
nichts, das heiliger waͤre als die Geſchichte,<lb/>
dieſer große Spiegel des Weltgeiſtes, dieſes<lb/>
ewige Gedicht des goͤttlichen Verſtandes: nichts<lb/>
das weniger die Beruͤhrung unreiner Haͤnde er¬<lb/>
truͤge.</p><lb/><p>Der pragmatiſche Zweck der Geſchichte<lb/>ſchließt von ſelbſt die Univerſalitaͤt aus und fo¬<lb/>
dert nothwendig auch einen beſchraͤnkten Gegen¬<lb/>ſtand. Der Zweck der Belehrung verlangt eine<lb/>
richtige und empiriſch begruͤndete Verknuͤpfung<lb/>
der Begebenheiten, durch welche der Verſtand<lb/>
zwar aufgeklaͤrt wird, die Vernunft aber ohne<lb/>
andere Zuthat unbefriedigt bleibt. Auch Kants<lb/>
Plan einer Geſchichte im weltbuͤrgerlichen Sinn<lb/>
beabſichtigt eine bloße Verſtandesgeſetzmaͤßigkeit<lb/>
im Ganzen derſelben, die nur hoͤher, naͤmlich<lb/>
in der allgemeinen Nothwendigkeit der Natur,<lb/>
geſucht wird, durch welche aus dem Krieg der<lb/>
Friede, zuletzt ſogar der ewige und aus vielen<lb/>
andern Verirrungen endlich die aͤchte Rechtsver¬<lb/>
faſſung entſtehen ſoll. Allein dieſer Plan der<lb/>
Natur iſt ſelbſt nur der empiriſche Widerſchein<lb/>
der wahren Nothwendigkeit, ſo wie die Ab¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[219/0228]
nichts, das heiliger waͤre als die Geſchichte,
dieſer große Spiegel des Weltgeiſtes, dieſes
ewige Gedicht des goͤttlichen Verſtandes: nichts
das weniger die Beruͤhrung unreiner Haͤnde er¬
truͤge.
Der pragmatiſche Zweck der Geſchichte
ſchließt von ſelbſt die Univerſalitaͤt aus und fo¬
dert nothwendig auch einen beſchraͤnkten Gegen¬
ſtand. Der Zweck der Belehrung verlangt eine
richtige und empiriſch begruͤndete Verknuͤpfung
der Begebenheiten, durch welche der Verſtand
zwar aufgeklaͤrt wird, die Vernunft aber ohne
andere Zuthat unbefriedigt bleibt. Auch Kants
Plan einer Geſchichte im weltbuͤrgerlichen Sinn
beabſichtigt eine bloße Verſtandesgeſetzmaͤßigkeit
im Ganzen derſelben, die nur hoͤher, naͤmlich
in der allgemeinen Nothwendigkeit der Natur,
geſucht wird, durch welche aus dem Krieg der
Friede, zuletzt ſogar der ewige und aus vielen
andern Verirrungen endlich die aͤchte Rechtsver¬
faſſung entſtehen ſoll. Allein dieſer Plan der
Natur iſt ſelbſt nur der empiriſche Widerſchein
der wahren Nothwendigkeit, ſo wie die Ab¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/228>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.