hinaus seinen Gesichtskreis zu erweitern, um dort neue Gränzen zu stecken."
So könnte ein gewisser Enthusiasmus re¬ den, der die Kunst nur in ihren Wirkungen aufgefaßt hätte, und weder sie selbst wahrhaft noch die Stelle kennte, welche der Philosophie im Universum angewiesen ist. Denn auch an¬ genommen, daß die Kunst aus nichts höherem begreiflich sey, so ist doch so durchgreifend, so allwaltend das Gesetz des Universum, daß al¬ les, was in ihm begriffen ist, in einem andern sein Vorbild oder Gegenbild habe, so absolut die Form der allgemeinen Entgegenstellung des Realen und Idealen, daß auch auf der letzten Gränze des Unendlichen und Endlichen, da wo die Gegensätze der Erscheinung in die rein¬ ste Absolutheit verschwinden, dasselbe Verhält¬ niß seine Rechte behauptet und in der letzten Potenz wiederkehrt. Dieses Verhältniß ist das der Philosophie und der Kunst.
Die letztere, obgleich ganz absolut, voll¬ kommene In-Eins-Bildung des Realen und Idealen verhält sich doch selbst wieder zur Phi¬
hinaus ſeinen Geſichtskreis zu erweitern, um dort neue Graͤnzen zu ſtecken.“
So koͤnnte ein gewiſſer Enthuſiasmus re¬ den, der die Kunſt nur in ihren Wirkungen aufgefaßt haͤtte, und weder ſie ſelbſt wahrhaft noch die Stelle kennte, welche der Philoſophie im Univerſum angewieſen iſt. Denn auch an¬ genommen, daß die Kunſt aus nichts hoͤherem begreiflich ſey, ſo iſt doch ſo durchgreifend, ſo allwaltend das Geſetz des Univerſum, daß al¬ les, was in ihm begriffen iſt, in einem andern ſein Vorbild oder Gegenbild habe, ſo abſolut die Form der allgemeinen Entgegenſtellung des Realen und Idealen, daß auch auf der letzten Graͤnze des Unendlichen und Endlichen, da wo die Gegenſaͤtze der Erſcheinung in die rein¬ ſte Abſolutheit verſchwinden, daſſelbe Verhaͤlt¬ niß ſeine Rechte behauptet und in der letzten Potenz wiederkehrt. Dieſes Verhaͤltniß iſt das der Philoſophie und der Kunſt.
Die letztere, obgleich ganz abſolut, voll¬ kommene In-Eins-Bildung des Realen und Idealen verhaͤlt ſich doch ſelbſt wieder zur Phi¬
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[313/0322]
hinaus ſeinen Geſichtskreis zu erweitern, um
dort neue Graͤnzen zu ſtecken.“
So koͤnnte ein gewiſſer Enthuſiasmus re¬
den, der die Kunſt nur in ihren Wirkungen
aufgefaßt haͤtte, und weder ſie ſelbſt wahrhaft
noch die Stelle kennte, welche der Philoſophie
im Univerſum angewieſen iſt. Denn auch an¬
genommen, daß die Kunſt aus nichts hoͤherem
begreiflich ſey, ſo iſt doch ſo durchgreifend, ſo
allwaltend das Geſetz des Univerſum, daß al¬
les, was in ihm begriffen iſt, in einem andern
ſein Vorbild oder Gegenbild habe, ſo abſolut
die Form der allgemeinen Entgegenſtellung des
Realen und Idealen, daß auch auf der letzten
Graͤnze des Unendlichen und Endlichen, da
wo die Gegenſaͤtze der Erſcheinung in die rein¬
ſte Abſolutheit verſchwinden, daſſelbe Verhaͤlt¬
niß ſeine Rechte behauptet und in der letzten
Potenz wiederkehrt. Dieſes Verhaͤltniß iſt das
der Philoſophie und der Kunſt.
Die letztere, obgleich ganz abſolut, voll¬
kommene In-Eins-Bildung des Realen und
Idealen verhaͤlt ſich doch ſelbſt wieder zur Phi¬
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/322>, abgerufen am 22.11.2024.
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