ten Erscheinungen der Kunst und Wissenschaft hinter sich hatte, mit der sie, durch eine un¬ übersteigliche Kluft von ihr getrennt, nicht durch das innere Band einer organisch-fort¬ gehenden Bildung, sondern einzig durch das äußere Band der historischen Ueberlieferung zusammenhieng. Der auflebende Trieb konnte sich im ersten Wiederbeginn der Wissenschaf¬ ten in unserm Welttheil nicht ruhig oder aus¬ schließlich auf das eigne Produciren, sondern nur unmittelbar zugleich auf das Verstehen, Be¬ wundern und Erklären der vergangenen Herr¬ lichkeiten richten. Zu den ursprünglichen Ge¬ genständen des Wissens trat das vergangene Wissen darüber als ein neuer Gegenstand hin¬ zu; daher und weil zur tiefen Ergründung des Vorhandenen selbst gegenwärtiger Geist er¬ fodert wird, wurden Gelehrter, Künstler und Philosoph gleichbedeutende Begriffe, und das erste Prädicat auch demjenigen zuerkannt, der das Vorhandene mit keinem eignen Gedanken vermehrt hatte; und wenn die Griechen, wie ein Aegyptischer Priester zu Solon sagte,
ten Erſcheinungen der Kunſt und Wiſſenſchaft hinter ſich hatte, mit der ſie, durch eine un¬ uͤberſteigliche Kluft von ihr getrennt, nicht durch das innere Band einer organiſch-fort¬ gehenden Bildung, ſondern einzig durch das aͤußere Band der hiſtoriſchen Ueberlieferung zuſammenhieng. Der auflebende Trieb konnte ſich im erſten Wiederbeginn der Wiſſenſchaf¬ ten in unſerm Welttheil nicht ruhig oder aus¬ ſchließlich auf das eigne Produciren, ſondern nur unmittelbar zugleich auf das Verſtehen, Be¬ wundern und Erklaͤren der vergangenen Herr¬ lichkeiten richten. Zu den urſpruͤnglichen Ge¬ genſtaͤnden des Wiſſens trat das vergangene Wiſſen daruͤber als ein neuer Gegenſtand hin¬ zu; daher und weil zur tiefen Ergruͤndung des Vorhandenen ſelbſt gegenwaͤrtiger Geiſt er¬ fodert wird, wurden Gelehrter, Kuͤnſtler und Philoſoph gleichbedeutende Begriffe, und das erſte Praͤdicat auch demjenigen zuerkannt, der das Vorhandene mit keinem eignen Gedanken vermehrt hatte; und wenn die Griechen, wie ein Aegyptiſcher Prieſter zu Solon ſagte,
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ten Erſcheinungen der Kunſt und Wiſſenſchaft
hinter ſich hatte, mit der ſie, durch eine un¬
uͤberſteigliche Kluft von ihr getrennt, nicht
durch das innere Band einer organiſch-fort¬
gehenden Bildung, ſondern einzig durch das
aͤußere Band der hiſtoriſchen Ueberlieferung
zuſammenhieng. Der auflebende Trieb konnte
ſich im erſten Wiederbeginn der Wiſſenſchaf¬
ten in unſerm Welttheil nicht ruhig oder aus¬
ſchließlich auf das eigne Produciren, ſondern
nur unmittelbar zugleich auf das Verſtehen, Be¬
wundern und Erklaͤren der vergangenen Herr¬
lichkeiten richten. Zu den urſpruͤnglichen Ge¬
genſtaͤnden des Wiſſens trat das vergangene
Wiſſen daruͤber als ein neuer Gegenſtand hin¬
zu; daher und weil zur tiefen Ergruͤndung
des Vorhandenen ſelbſt gegenwaͤrtiger Geiſt er¬
fodert wird, wurden Gelehrter, Kuͤnſtler und
Philoſoph gleichbedeutende Begriffe, und das
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vermehrt hatte; und wenn die Griechen,
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/43>, abgerufen am 21.11.2024.
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