aus ihren Schulen solche Brodgelehrte zurück, die sich alles, was sich in ihrem Fach von Ge¬ lehrsamkeit da vorfindet, vortrefflich eingeprägt haben, denen es aber für die Aufnahme des Besondern unter das Allgemeine gänzlich an Urtheil fehlt! Lebendige Wissenschaftlichkeit bildet zur Anschauung; in dieser aber ist das Allgemeine und Besondere immer Eins. Der Brodgelehrte dagegen ist anschauungslos, er kann sich im vorkommenden Falle nichts con¬ struiren, selbstthätig zusammensetzen, und da er im Lernen doch nicht auf alle mögliche Fälle vorbereitet werden konnte, so ist er in den mei¬ sten von seinem Wissen verlassen.
Eine andere nothwendige Folge ist, daß ein solcher gänzlich unfähig ist, fortzuschreiten; auch damit legt er den Hauptcharakter des Men¬ schen und des wahren Gelehrten insbesondere ab. Er kann nicht fortschreiten, denn wahre Fortschritte sind nicht nach dem Maaßstab frü¬ herer Lehren, sondern nur aus sich selbst und aus absoluten Principien zu beurtheilen. Höch¬ stens faßt er auf, was selbst keinen Geist hat,
aus ihren Schulen ſolche Brodgelehrte zuruͤck, die ſich alles, was ſich in ihrem Fach von Ge¬ lehrſamkeit da vorfindet, vortrefflich eingepraͤgt haben, denen es aber fuͤr die Aufnahme des Beſondern unter das Allgemeine gaͤnzlich an Urtheil fehlt! Lebendige Wiſſenſchaftlichkeit bildet zur Anſchauung; in dieſer aber iſt das Allgemeine und Beſondere immer Eins. Der Brodgelehrte dagegen iſt anſchauungslos, er kann ſich im vorkommenden Falle nichts con¬ ſtruiren, ſelbſtthaͤtig zuſammenſetzen, und da er im Lernen doch nicht auf alle moͤgliche Faͤlle vorbereitet werden konnte, ſo iſt er in den mei¬ ſten von ſeinem Wiſſen verlaſſen.
Eine andere nothwendige Folge iſt, daß ein ſolcher gaͤnzlich unfaͤhig iſt, fortzuſchreiten; auch damit legt er den Hauptcharakter des Men¬ ſchen und des wahren Gelehrten insbeſondere ab. Er kann nicht fortſchreiten, denn wahre Fortſchritte ſind nicht nach dem Maaßſtab fruͤ¬ herer Lehren, ſondern nur aus ſich ſelbſt und aus abſoluten Principien zu beurtheilen. Hoͤch¬ ſtens faßt er auf, was ſelbſt keinen Geiſt hat,
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aus ihren Schulen ſolche Brodgelehrte zuruͤck,
die ſich alles, was ſich in ihrem Fach von Ge¬
lehrſamkeit da vorfindet, vortrefflich eingepraͤgt
haben, denen es aber fuͤr die Aufnahme des
Beſondern unter das Allgemeine gaͤnzlich an
Urtheil fehlt! Lebendige Wiſſenſchaftlichkeit
bildet zur Anſchauung; in dieſer aber iſt das
Allgemeine und Beſondere immer Eins. Der
Brodgelehrte dagegen iſt anſchauungslos, er
kann ſich im vorkommenden Falle nichts con¬
ſtruiren, ſelbſtthaͤtig zuſammenſetzen, und da
er im Lernen doch nicht auf alle moͤgliche Faͤlle
vorbereitet werden konnte, ſo iſt er in den mei¬
ſten von ſeinem Wiſſen verlaſſen.
Eine andere nothwendige Folge iſt, daß
ein ſolcher gaͤnzlich unfaͤhig iſt, fortzuſchreiten;
auch damit legt er den Hauptcharakter des Men¬
ſchen und des wahren Gelehrten insbeſondere
ab. Er kann nicht fortſchreiten, denn wahre
Fortſchritte ſind nicht nach dem Maaßſtab fruͤ¬
herer Lehren, ſondern nur aus ſich ſelbſt und
aus abſoluten Principien zu beurtheilen. Hoͤch¬
ſtens faßt er auf, was ſelbſt keinen Geiſt hat,
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/78>, abgerufen am 24.11.2024.
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