Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.psc_108.001 Endlich h) ist zu fragen, ob vielleicht der Ausdruck psc_108.004 Kann außerdem das Weinen an sich unter Umständen psc_108.021 psc_108.001 Endlich h) ist zu fragen, ob vielleicht der Ausdruck psc_108.004 Kann außerdem das Weinen an sich unter Umständen psc_108.021 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0124" n="108"/><lb n="psc_108.001"/> scheinen: das Prügeln im russischen Lied, das Zwicken <lb n="psc_108.002"/> und Zwacken, von welchem Forster erzählt?</p> <lb n="psc_108.003"/> <p> Endlich <hi rendition="#aq">h</hi>) ist zu fragen, ob vielleicht der Ausdruck <lb n="psc_108.004"/> des Schmerzes, das Weinen, an sich ein Vergnügen sein <lb n="psc_108.005"/> könnte? Auszuscheiden ist zunächst das sehr complicirte <lb n="psc_108.006"/> Phänomen der Freudenthränen des 18. Jahrhunderts, die <lb n="psc_108.007"/> man über seine eigene moralische Vollkommenheit oder Gutherzigkeit <lb n="psc_108.008"/> vergießt. Man sieht das Mitleid als eine sittliche <lb n="psc_108.009"/> Pflicht an und freut sich daher über jede mitleidige <lb n="psc_108.010"/> Regung; man freut sich desto mehr, je stärker sie ist, je <lb n="psc_108.011"/> sichtlicher sie sich manifestirt, man freut sich über eine mitleidige <lb n="psc_108.012"/> Thräne als ein Unterpfand des eigenen guten Herzens. <lb n="psc_108.013"/> Aber wenn wir nun davon absehen: auch ohne solchen <lb n="psc_108.014"/> sittlichen oder pseudosittlichen Drang können Thränen ein Vergnügen <lb n="psc_108.015"/> sein: sie erleichtern ein belastetes Herz. Jnsofern <lb n="psc_108.016"/> kann eine gesteigerte tragische Erregung angenehm werden, <lb n="psc_108.017"/> wenn sie bis zu Thränen geht; aber soll sie an sich angenehm <lb n="psc_108.018"/> sein, so müßte das auf den vorhin berührten Verhältnissen <lb n="psc_108.019"/> des Contrastes und der Compensation beruhen.</p> <lb n="psc_108.020"/> <p> Kann außerdem das Weinen an sich unter Umständen <lb n="psc_108.021"/> angenehm werden? Das Lachen kann ja bis zu Thränen <lb n="psc_108.022"/> gehen; und solche Thränen sind doch nicht unangenehm, obgleich <lb n="psc_108.023"/> es Personen giebt, die bei heftigem Lachen „o weh“ <lb n="psc_108.024"/> zu sagen pflegen. Jn dieser Verwandtschaft des Lachens <lb n="psc_108.025"/> und Weinens, die auch sonst vorhanden (die Mienen des <lb n="psc_108.026"/> Lachens und Weinens sind auch nicht so sehr weit von einander <lb n="psc_108.027"/> entfernt), könnte ein weiterer Aufschluß liegen. Aber <lb n="psc_108.028"/> man müßte wohl immer an besondere Dispositionen denken. </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [108/0124]
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scheinen: das Prügeln im russischen Lied, das Zwicken psc_108.002
und Zwacken, von welchem Forster erzählt?
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Endlich h) ist zu fragen, ob vielleicht der Ausdruck psc_108.004
des Schmerzes, das Weinen, an sich ein Vergnügen sein psc_108.005
könnte? Auszuscheiden ist zunächst das sehr complicirte psc_108.006
Phänomen der Freudenthränen des 18. Jahrhunderts, die psc_108.007
man über seine eigene moralische Vollkommenheit oder Gutherzigkeit psc_108.008
vergießt. Man sieht das Mitleid als eine sittliche psc_108.009
Pflicht an und freut sich daher über jede mitleidige psc_108.010
Regung; man freut sich desto mehr, je stärker sie ist, je psc_108.011
sichtlicher sie sich manifestirt, man freut sich über eine mitleidige psc_108.012
Thräne als ein Unterpfand des eigenen guten Herzens. psc_108.013
Aber wenn wir nun davon absehen: auch ohne solchen psc_108.014
sittlichen oder pseudosittlichen Drang können Thränen ein Vergnügen psc_108.015
sein: sie erleichtern ein belastetes Herz. Jnsofern psc_108.016
kann eine gesteigerte tragische Erregung angenehm werden, psc_108.017
wenn sie bis zu Thränen geht; aber soll sie an sich angenehm psc_108.018
sein, so müßte das auf den vorhin berührten Verhältnissen psc_108.019
des Contrastes und der Compensation beruhen.
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Kann außerdem das Weinen an sich unter Umständen psc_108.021
angenehm werden? Das Lachen kann ja bis zu Thränen psc_108.022
gehen; und solche Thränen sind doch nicht unangenehm, obgleich psc_108.023
es Personen giebt, die bei heftigem Lachen „o weh“ psc_108.024
zu sagen pflegen. Jn dieser Verwandtschaft des Lachens psc_108.025
und Weinens, die auch sonst vorhanden (die Mienen des psc_108.026
Lachens und Weinens sind auch nicht so sehr weit von einander psc_108.027
entfernt), könnte ein weiterer Aufschluß liegen. Aber psc_108.028
man müßte wohl immer an besondere Dispositionen denken.
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