Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.psc_144.001 Verschiedene Stände, Altersstufen, Bildungsklassen u. s. w. psc_144.009 So wenig es richtig ist, in der Poesie den Stoff von psc_144.001 Verschiedene Stände, Altersstufen, Bildungsklassen u. s. w. psc_144.009 So wenig es richtig ist, in der Poesie den Stoff von <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0160" n="144"/><lb n="psc_144.001"/> Menschen verbinden sich auf ungesetzliche Weise <lb n="psc_144.002"/> miteinander u. s. w. All das ist möglich; aber dann haben <lb n="psc_144.003"/> sie in Wahrheit zu kämpfen, es wird ihnen schwer gemacht <lb n="psc_144.004"/> und kaum werden sie schweren Leiden entgehen. Ernst gebildete <lb n="psc_144.005"/> Männer werden oft davon auf das äußerste abgestoßen, <lb n="psc_144.006"/> weil sie nicht wollen, daß die Poesie Jllusionen über <lb n="psc_144.007"/> das gegenwärtige Leben verbreitet. —</p> <lb n="psc_144.008"/> <p> Verschiedene Stände, Altersstufen, Bildungsklassen u. s. w. <lb n="psc_144.009"/> stellen verschiedene besondere Forderungen an die Poesie. Die <lb n="psc_144.010"/> Massen werden am meisten befriedigt werden durch solche <lb n="psc_144.011"/> Dichtungen, die direct sittliche Zwecke verfolgen. Der anständige <lb n="psc_144.012"/> mittlere Mensch, der sich seiner Ehrlichkeit und <lb n="psc_144.013"/> mancher Entsagung bewußt ist, wünscht in der Poesie eine <lb n="psc_144.014"/> bessere Welt zu finden, wo die Ehrlichkeit belohnt und das <lb n="psc_144.015"/> Gegentheil bestraft wird. Die Menschen stehen hierin auf <lb n="psc_144.016"/> einem etwas kindlichen Standpunct; was sie gar nicht ertragen <lb n="psc_144.017"/> können, ist, daß ein Schurke ohne Strafe ausgeht; sie <lb n="psc_144.018"/> vertragen es eher, daß es einem Guten schlecht als daß es <lb n="psc_144.019"/> einem Schlechten gut geht. Eine Novelle, in der zufolge <lb n="psc_144.020"/> einer durchgeführten Jntrigue es einem Schlechten gelingt, <lb n="psc_144.021"/> einen Bessern zu verderben, ohne daß er selbst bestraft wird, <lb n="psc_144.022"/> schreckt die Meisten auf lange Zeit vom Lesen ab. Diese <lb n="psc_144.023"/> Forderung, in der Poesie eine bessere Welt zu sehen, ist die <lb n="psc_144.024"/> einzige Ursache, welche man anführen kann für die sittliche <lb n="psc_144.025"/> Forderung, die man ans Drama gestellt hat: die der tragischen <lb n="psc_144.026"/> Schuld und Sühne. Das Drama muß in der That <lb n="psc_144.027"/> mit dem sittlichen Jnstinct der Masse rechnen.</p> <lb n="psc_144.028"/> <p> So wenig es richtig ist, in der Poesie den Stoff von </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [144/0160]
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Menschen verbinden sich auf ungesetzliche Weise psc_144.002
miteinander u. s. w. All das ist möglich; aber dann haben psc_144.003
sie in Wahrheit zu kämpfen, es wird ihnen schwer gemacht psc_144.004
und kaum werden sie schweren Leiden entgehen. Ernst gebildete psc_144.005
Männer werden oft davon auf das äußerste abgestoßen, psc_144.006
weil sie nicht wollen, daß die Poesie Jllusionen über psc_144.007
das gegenwärtige Leben verbreitet. —
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Verschiedene Stände, Altersstufen, Bildungsklassen u. s. w. psc_144.009
stellen verschiedene besondere Forderungen an die Poesie. Die psc_144.010
Massen werden am meisten befriedigt werden durch solche psc_144.011
Dichtungen, die direct sittliche Zwecke verfolgen. Der anständige psc_144.012
mittlere Mensch, der sich seiner Ehrlichkeit und psc_144.013
mancher Entsagung bewußt ist, wünscht in der Poesie eine psc_144.014
bessere Welt zu finden, wo die Ehrlichkeit belohnt und das psc_144.015
Gegentheil bestraft wird. Die Menschen stehen hierin auf psc_144.016
einem etwas kindlichen Standpunct; was sie gar nicht ertragen psc_144.017
können, ist, daß ein Schurke ohne Strafe ausgeht; sie psc_144.018
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einem Schlechten gut geht. Eine Novelle, in der zufolge psc_144.020
einer durchgeführten Jntrigue es einem Schlechten gelingt, psc_144.021
einen Bessern zu verderben, ohne daß er selbst bestraft wird, psc_144.022
schreckt die Meisten auf lange Zeit vom Lesen ab. Diese psc_144.023
Forderung, in der Poesie eine bessere Welt zu sehen, ist die psc_144.024
einzige Ursache, welche man anführen kann für die sittliche psc_144.025
Forderung, die man ans Drama gestellt hat: die der tragischen psc_144.026
Schuld und Sühne. Das Drama muß in der That psc_144.027
mit dem sittlichen Jnstinct der Masse rechnen.
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(2015-09-30T09:54:39Z)
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