Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.psc_146.001 Stellen wir uns auf den Standpunct der Kirche, so psc_146.011 Vom Standpunct des Vergnügens aus kann man nur psc_146.022 Es giebt hier keine allgemeinen Gesetze. Es ist unmöglich, psc_146.026 Natürlich aber giebts für die Menschen eine Beurtheilung psc_146.001 Stellen wir uns auf den Standpunct der Kirche, so psc_146.011 Vom Standpunct des Vergnügens aus kann man nur psc_146.022 Es giebt hier keine allgemeinen Gesetze. Es ist unmöglich, psc_146.026 Natürlich aber giebts für die Menschen eine Beurtheilung <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0162" n="146"/><lb n="psc_146.001"/> leider zu dumm sind und daher den Staat blamiren. Die <lb n="psc_146.002"/> kleinen Übel des Fehlens der Censur sind besser als die <lb n="psc_146.003"/> großen Dummheiten der Censoren, welche erfahrungsmäßig <lb n="psc_146.004"/> schwache Menschen sind. So kann vom Standpunct des <lb n="psc_146.005"/> öffentlichen Wohles aus ein sittlicher Maßstab an die Poesie <lb n="psc_146.006"/> gelegt werden. Eine aristophanische Komödie mit Persönlichkeiten <lb n="psc_146.007"/> dürfte nicht aufgeführt werden, weil sie die Leidenschaften <lb n="psc_146.008"/> der Menge entfesselt; und so kann das herrlichste <lb n="psc_146.009"/> Kunstwerk als zu aufregend mit Recht verboten werden.</p> <lb n="psc_146.010"/> <p> Stellen wir uns auf den Standpunct der Kirche, so <lb n="psc_146.011"/> treten noch andere Rücksichten ein. Man denke an das <lb n="psc_146.012"/> Urtheil der Stolbergs über „Wilhelm Meister“. Jn manchen <lb n="psc_146.013"/> Ländern hat die Kirche die Poesie tief geschädigt. Wir sind <lb n="psc_146.014"/> heute weniger gewöhnt damit zu rechnen, weil ihrem Verbot <lb n="psc_146.015"/> jetzt keine solche Macht mehr zur Seite steht wie einst. Aber <lb n="psc_146.016"/> daß überhaupt die Kirche Stellung nimmt gegenüber poetischen <lb n="psc_146.017"/> Producten, das ist etwas in der Menschennatur tief <lb n="psc_146.018"/> Begründetes. Es liegt darin nur die Anerkennung des hohen <lb n="psc_146.019"/> idealen Werths der Poesie als einer Macht, mit der dann <lb n="psc_146.020"/> die Macht der Kirche streitet. —</p> <lb n="psc_146.021"/> <p> Vom Standpunct des Vergnügens aus kann man nur <lb n="psc_146.022"/> sagen, daß aus allen drei Auffassungen heraus großes Vergnügen <lb n="psc_146.023"/> möglich ist — nur nach verschiedenen Gesichtspuncten <lb n="psc_146.024"/> verschieden.</p> <lb n="psc_146.025"/> <p> Es giebt hier keine allgemeinen Gesetze. Es ist unmöglich, <lb n="psc_146.026"/> das Verhältniß von Poesie und Moral endgiltig theoretisch <lb n="psc_146.027"/> zu bestimmen.</p> <lb n="psc_146.028"/> <p> Natürlich aber giebts für die Menschen eine Beurtheilung </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [146/0162]
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leider zu dumm sind und daher den Staat blamiren. Die psc_146.002
kleinen Übel des Fehlens der Censur sind besser als die psc_146.003
großen Dummheiten der Censoren, welche erfahrungsmäßig psc_146.004
schwache Menschen sind. So kann vom Standpunct des psc_146.005
öffentlichen Wohles aus ein sittlicher Maßstab an die Poesie psc_146.006
gelegt werden. Eine aristophanische Komödie mit Persönlichkeiten psc_146.007
dürfte nicht aufgeführt werden, weil sie die Leidenschaften psc_146.008
der Menge entfesselt; und so kann das herrlichste psc_146.009
Kunstwerk als zu aufregend mit Recht verboten werden.
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Stellen wir uns auf den Standpunct der Kirche, so psc_146.011
treten noch andere Rücksichten ein. Man denke an das psc_146.012
Urtheil der Stolbergs über „Wilhelm Meister“. Jn manchen psc_146.013
Ländern hat die Kirche die Poesie tief geschädigt. Wir sind psc_146.014
heute weniger gewöhnt damit zu rechnen, weil ihrem Verbot psc_146.015
jetzt keine solche Macht mehr zur Seite steht wie einst. Aber psc_146.016
daß überhaupt die Kirche Stellung nimmt gegenüber poetischen psc_146.017
Producten, das ist etwas in der Menschennatur tief psc_146.018
Begründetes. Es liegt darin nur die Anerkennung des hohen psc_146.019
idealen Werths der Poesie als einer Macht, mit der dann psc_146.020
die Macht der Kirche streitet. —
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Vom Standpunct des Vergnügens aus kann man nur psc_146.022
sagen, daß aus allen drei Auffassungen heraus großes Vergnügen psc_146.023
möglich ist — nur nach verschiedenen Gesichtspuncten psc_146.024
verschieden.
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Es giebt hier keine allgemeinen Gesetze. Es ist unmöglich, psc_146.026
das Verhältniß von Poesie und Moral endgiltig theoretisch psc_146.027
zu bestimmen.
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Natürlich aber giebts für die Menschen eine Beurtheilung
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