Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.psc_192.001 A. Die Dauer des poetischen Products und die Aufmerksamkeit psc_192.006 psc_192.008 Freilich spielen gleich die Verschiedenheiten des Publicums psc_192.009 psc_192.001 A. Die Dauer des poetischen Products und die Aufmerksamkeit psc_192.006 psc_192.008 Freilich spielen gleich die Verschiedenheiten des Publicums psc_192.009 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0208" n="192"/><lb n="psc_192.001"/> vorliegen, aus der Natur der menschlichen Aufmerksamkeit, <lb n="psc_192.002"/> wie sie die Psychologie darlegen müßte, abzuleiten. <lb n="psc_192.003"/> Aber vielleicht wird umgekehrt die Psychologie aus unseren <lb n="psc_192.004"/> Erfahrungen Nutzen ziehen:</p> <lb n="psc_192.005"/> <p> <hi rendition="#aq">A</hi>. Die Dauer des poetischen Products und die Aufmerksamkeit <lb n="psc_192.006"/> des Publicums stehen in umgekehrtem Verhältniß.</p> <lb n="psc_192.007"/> <lb n="psc_192.008"/> <p> Freilich spielen gleich die Verschiedenheiten des Publicums <lb n="psc_192.009"/> mit herein, und die Eigenthümlichkeiten des Dichters. Es <lb n="psc_192.010"/> giebt Autoren, die dem Publicum viel zumuthen, z. B. Richard <lb n="psc_192.011"/> Wagner: er läßt ungewöhnlich lange Reden halten, aber er <lb n="psc_192.012"/> rechnet auch gleich mit Abschlagszahlungen. Das Publicum <lb n="psc_192.013"/> ist in verschiedenen Zeiten auch hierin verschieden. Das <lb n="psc_192.014"/> Publicum des 17. Jahrhunderts fühlte sich durch die <hi rendition="#aq">romans <lb n="psc_192.015"/> de longue haleine</hi>, durch die langathmigen Romane der <lb n="psc_192.016"/> Buchholz, Lohenstein, Anton Ulrich von Braunschweig gefesselt. <lb n="psc_192.017"/> Auch Gutzkow setzte es noch durch, daß seine neunbändigen <lb n="psc_192.018"/> Romane gelesen wurden. Jetzt geht man über das <lb n="psc_192.019"/> Mittelmaß von drei Bänden nicht leicht hinaus. So überall <lb n="psc_192.020"/> zu verschiedenen Zeiten verschiedene Erfahrungen: das <lb n="psc_192.021"/> Mittelmaß des epischen Gedichts variirt augenscheinlich. Es <lb n="psc_192.022"/> fragt sich, wie lang eine Predigt, ein Vortrag sein darf? <lb n="psc_192.023"/> der Abschnitt, den das Publicum in einer Sitzung verträgt? <lb n="psc_192.024"/> Ein Vortrag darf in der Regel nicht über eine Stunde <lb n="psc_192.025"/> dauern. Jst das Publicum geduldig oder ungeduldig? <lb n="psc_192.026"/> Natürlich ist auch hier ein Unterschied zwischen Lesen und <lb n="psc_192.027"/> Hören: zur Lectüre kann man zurückkehren, das Hören muß <lb n="psc_192.028"/> auf Einem Sitz geschehen. — Die Länge des Dramas — </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [192/0208]
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vorliegen, aus der Natur der menschlichen Aufmerksamkeit, psc_192.002
wie sie die Psychologie darlegen müßte, abzuleiten. psc_192.003
Aber vielleicht wird umgekehrt die Psychologie aus unseren psc_192.004
Erfahrungen Nutzen ziehen:
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A. Die Dauer des poetischen Products und die Aufmerksamkeit psc_192.006
des Publicums stehen in umgekehrtem Verhältniß.
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Freilich spielen gleich die Verschiedenheiten des Publicums psc_192.009
mit herein, und die Eigenthümlichkeiten des Dichters. Es psc_192.010
giebt Autoren, die dem Publicum viel zumuthen, z. B. Richard psc_192.011
Wagner: er läßt ungewöhnlich lange Reden halten, aber er psc_192.012
rechnet auch gleich mit Abschlagszahlungen. Das Publicum psc_192.013
ist in verschiedenen Zeiten auch hierin verschieden. Das psc_192.014
Publicum des 17. Jahrhunderts fühlte sich durch die romans psc_192.015
de longue haleine, durch die langathmigen Romane der psc_192.016
Buchholz, Lohenstein, Anton Ulrich von Braunschweig gefesselt. psc_192.017
Auch Gutzkow setzte es noch durch, daß seine neunbändigen psc_192.018
Romane gelesen wurden. Jetzt geht man über das psc_192.019
Mittelmaß von drei Bänden nicht leicht hinaus. So überall psc_192.020
zu verschiedenen Zeiten verschiedene Erfahrungen: das psc_192.021
Mittelmaß des epischen Gedichts variirt augenscheinlich. Es psc_192.022
fragt sich, wie lang eine Predigt, ein Vortrag sein darf? psc_192.023
der Abschnitt, den das Publicum in einer Sitzung verträgt? psc_192.024
Ein Vortrag darf in der Regel nicht über eine Stunde psc_192.025
dauern. Jst das Publicum geduldig oder ungeduldig? psc_192.026
Natürlich ist auch hier ein Unterschied zwischen Lesen und psc_192.027
Hören: zur Lectüre kann man zurückkehren, das Hören muß psc_192.028
auf Einem Sitz geschehen. — Die Länge des Dramas —
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