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Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.

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Heldensage, die Thidreksaga, durch ihren officiellen Charakter psc_301.002
an die Pisistrateische Sammlung der homerischen Gesänge. Merkwürdig, psc_301.003
daß noch, als Firdusi seine Gesänge dem Sultan Mahmud vorlas, psc_301.004
Musik und Tanz die Recitation begleitete: was für die homerischen psc_301.005
Dichtungen sie selbst, für die altgermanischen verschiedene Spuren und psc_301.006
noch heutige lokale Sitten bezeugen.

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Beobachtungen, wie die eben geäußerten, haben einen untergeordneten psc_301.008
Werth, so lange sie bloße Appercus bleiben. Erst wenn psc_301.009
die Bedeutung und das Wesen der analogen Erscheinungen womöglich psc_301.010
durch Herbeiziehung aller in Betracht kommenden Glieder der Vergleichung psc_301.011
klar geworden ist, d. h. wenn zunächst die begleitenden Zustände unter psc_301.012
denen, die historischen Bedingungen vermöge deren sie ins Leben treten, psc_301.013
dann die tieferen Gründe dieses Erscheinens in der menschlichen Natur psc_301.014
erforscht sind -- erst dann hat die Beobachtung eine Gestalt gewonnen, psc_301.015
um die Einreihung zu verdienen in das, was man nennen möchte: psc_301.016
eine Naturlehre des Epos.

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Ferner liegt ein Auszug bei: Wackernagel, Epische Poesie. Jm psc_301.018
Epos dient die Rede zur Charakteristik der Person, die Charaktere psc_301.019
haben die Function, die Handlung zu motiviren. Jsts nicht genan psc_301.020
noch so bei Thukydides? ist nicht seine Art die vollendete Ausprägung psc_301.021
und Erfüllung des Satzes: Epos == Geschichte?

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Der Gegensatz von Allgemeinheit und Jndividualität für ältere psc_301.023
und jüngere Zeit (wo in älterer das Jndividuum sich in der Masse psc_301.024
verlieren soll) ist falsch: es ist nur die fortschreitende Arbeitstheilung psc_301.025
zu beobachten, darauf führt der ganze Gegensatz zurück..... Nun psc_301.026
kommen die Fächer: bei den Germanen, scheint es, früh, doch nicht psc_301.027
Berufsstände, sondern Richtungen der Thätigkeit mannigfaltiger. Dies psc_301.028
ist ein höchst wichtiger Gesichtspunct für die ganze Stellung der psc_301.029
Frauen bei den Germanen (vgl. o. 299-300).

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Zwei weitere Blätter beschäftigen sich mit dem griechischen psc_301.031
Epos; sie sind überschrieben
Historischer Gehalt der Jlias und psc_301.032
Der Mythus des Trojanischen Krieges. Es wird auf Prellers Mythologie psc_301.033
2, 103 f. und auf Ztschr. f. d. Alterth. 12, 353 verwiesen
.

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Zwei andere Blätter überschrieben Schack Firdusi, welche

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Heldensage, die Thidreksaga, durch ihren officiellen Charakter psc_301.002
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Epos dient die Rede zur Charakteristik der Person, die Charaktere psc_301.019
haben die Function, die Handlung zu motiviren. Jsts nicht genan psc_301.020
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verlieren soll) ist falsch: es ist nur die fortschreitende Arbeitstheilung psc_301.025
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Frauen bei den Germanen (vgl. o. 299–300).

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Epos; sie sind überschrieben
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Der Mythus des Trojanischen Krieges. Es wird auf Prellers Mythologie psc_301.033
2, 103 f. und auf Ztschr. f. d. Alterth. 12, 353 verwiesen
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[301/0317] psc_301.001 Heldensage, die Thidreksaga, durch ihren officiellen Charakter psc_301.002 an die Pisistrateische Sammlung der homerischen Gesänge. Merkwürdig, psc_301.003 daß noch, als Firdusi seine Gesänge dem Sultan Mahmud vorlas, psc_301.004 Musik und Tanz die Recitation begleitete: was für die homerischen psc_301.005 Dichtungen sie selbst, für die altgermanischen verschiedene Spuren und psc_301.006 noch heutige lokale Sitten bezeugen. psc_301.007   Beobachtungen, wie die eben geäußerten, haben einen untergeordneten psc_301.008 Werth, so lange sie bloße Apperçus bleiben. Erst wenn psc_301.009 die Bedeutung und das Wesen der analogen Erscheinungen womöglich psc_301.010 durch Herbeiziehung aller in Betracht kommenden Glieder der Vergleichung psc_301.011 klar geworden ist, d. h. wenn zunächst die begleitenden Zustände unter psc_301.012 denen, die historischen Bedingungen vermöge deren sie ins Leben treten, psc_301.013 dann die tieferen Gründe dieses Erscheinens in der menschlichen Natur psc_301.014 erforscht sind — erst dann hat die Beobachtung eine Gestalt gewonnen, psc_301.015 um die Einreihung zu verdienen in das, was man nennen möchte: psc_301.016 eine Naturlehre des Epos. psc_301.017   Ferner liegt ein Auszug bei: Wackernagel, Epische Poesie. Jm psc_301.018 Epos dient die Rede zur Charakteristik der Person, die Charaktere psc_301.019 haben die Function, die Handlung zu motiviren. Jsts nicht genan psc_301.020 noch so bei Thukydides? ist nicht seine Art die vollendete Ausprägung psc_301.021 und Erfüllung des Satzes: Epos == Geschichte? psc_301.022   Der Gegensatz von Allgemeinheit und Jndividualität für ältere psc_301.023 und jüngere Zeit (wo in älterer das Jndividuum sich in der Masse psc_301.024 verlieren soll) ist falsch: es ist nur die fortschreitende Arbeitstheilung psc_301.025 zu beobachten, darauf führt der ganze Gegensatz zurück..... Nun psc_301.026 kommen die Fächer: bei den Germanen, scheint es, früh, doch nicht psc_301.027 Berufsstände, sondern Richtungen der Thätigkeit mannigfaltiger. Dies psc_301.028 ist ein höchst wichtiger Gesichtspunct für die ganze Stellung der psc_301.029 Frauen bei den Germanen (vgl. o. 299–300). psc_301.030   Zwei weitere Blätter beschäftigen sich mit dem griechischen psc_301.031 Epos; sie sind überschrieben Historischer Gehalt der Jlias und psc_301.032 Der Mythus des Trojanischen Krieges. Es wird auf Prellers Mythologie psc_301.033 2, 103 f. und auf Ztschr. f. d. Alterth. 12, 353 verwiesen. psc_301.034   Zwei andere Blätter überschrieben Schack Firdusi, welche

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Zitationshilfe: Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/317>, abgerufen am 21.11.2024.