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Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung der Natur-Geschichten Des Schweizerlands. Bd. 1. Zürich, 1706.

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den längsten Sommertagen kommen mag/ da ist die Mittägige Seiten des
Thals fast das ganze Jahr hindurch kalt und unfruchtbar/ die Mitnächti-
ge hingegen Sonnenreicher/ und von grösseren ertragenheit. Jn dem Per-
gellerthal in Pündten ist die seiten von Soglio, Castasegna fast allein be-
wohnet/ weilen sie die auf- und absteigende Sonn geniesset/ und um sovil
fruchtbarer/ obgleich Soglio sehr hoch ligt/ weilen der kalte Nordwind dahin
nicht/ wol aber an die vorüberstehende Seiten/ wehen kan. Jn dem Rhein-
wald/ da der hindere Rhein entspringt/ regiert bald durch das ganze Jahr ein
zwar gesunder/ aber rauher kalter Luft/ weilen dahin sonderlich den Zugang
hat der Ost- und Nordwind/ daher in Pündten das gemeine Sprüchwort/
im Rheinwald seyen 9. Monat Winter/ und 3. Monat kalt.
So gewahren die jenige/ welche in dem Pfefersbad sich einiche Wochen der
Cur halben aufhalten/ daß die Sonn dorthin/ wegen überhangenden hohen
Felsen/ auch in den Sommer tagen kaum 2. stund hinkomt/ welche abwesen-
heit der wärme denen Trink- und Badgästen eine unbeliebige feuchte/ und
kälte zubringet. Merkwürdig ist die durchtringende kälte der Engadiner-
Luft/ welche Winterszeit bey still-hellem Wetter grösser/ als auf den höch-
sten Bergen/ in deme der Säumeren bericht nach der Wein im führen durch
das Thal eher/ als über die Berg/ gefrieret. Bey dergleichen Orten/ wo die
Sonn wenige zeit des tags mag hinkommen/ heisset es/ was Silius der Jta-
lienische Poet geschrieben

-- -- -- -- Coelum intercipit umbra
Nullum ver usquam, nullique aestatis honores,
Sola jugis habitat diris, sedesque tuetur
Perpetuas deformis hyems.

Wo hingegen das Gebirg sich erstrecket von Morgen gegen Mittag/ und
die Sonn bald den ganzen tag kan ein solches Thal beleuchten/ da geniesset
man kostliche Früchte einer durchtringenden Wärme/ als zum Exempel die-
nen kan die Landschaft Veltlin/ so gemeinen drey Pündten underworffen/
ein wahrhäftes irrdisches Paradeis/ von dessen Fruchtbarkeit anderstwo zu
reden seyn wird. Wir wissen auch in unseren Landen/ daß die jenige Aeker
und Weinberge/ so hinderdem Nordwind ligen/ und hingegen dem Mit-
tag wind offen stehen/ vor andern fruchtbar seyn. Die jenige Thäler/ Län-
der/ und Güter/ welche gegen abend ligen/ werden zwar mehr befeuchtet/ müs-
sen aber auch von disem feuchten Abendwinde außstehen mehrere ungelegen-
heiten/ wie dann bekant/ daß die Abendseite der Häuseren/ welche gegen dem

wetter/

den laͤngſten Sommertagen kommen mag/ da iſt die Mittaͤgige Seiten des
Thals faſt das ganze Jahr hindurch kalt und unfruchtbar/ die Mitnaͤchti-
ge hingegen Sonnenreicher/ und von groͤſſeren ertragenheit. Jn dem Per-
gellerthal in Puͤndten iſt die ſeiten von Soglio, Caſtaſegna faſt allein be-
wohnet/ weilen ſie die auf- und abſteigende Sonn genieſſet/ und um ſovil
fruchtbarer/ obgleich Soglio ſehr hoch ligt/ weilen der kalte Nordwind dahin
nicht/ wol aber an die voruͤberſtehende Seiten/ wehen kan. Jn dem Rhein-
wald/ da der hindere Rhein entſpringt/ regiert bald durch das ganze Jahr ein
zwar geſunder/ aber rauher kalter Luft/ weilen dahin ſonderlich den Zugang
hat der Oſt- und Nordwind/ daher in Puͤndten das gemeine Spruͤchwort/
im Rheinwald ſeyen 9. Monat Winter/ und 3. Monat kalt.
So gewahren die jenige/ welche in dem Pfefersbad ſich einiche Wochen der
Cur halben aufhalten/ daß die Sonn dorthin/ wegen uͤberhangenden hohen
Felſen/ auch in den Sommer tagen kaum 2. ſtund hinkomt/ welche abweſen-
heit der waͤrme denen Trink- und Badgaͤſten eine unbeliebige feuchte/ und
kaͤlte zubringet. Merkwuͤrdig iſt die durchtringende kaͤlte der Engadiner-
Luft/ welche Winterszeit bey ſtill-hellem Wetter groͤſſer/ als auf den hoͤch-
ſten Bergen/ in deme der Saͤumeren bericht nach der Wein im fuͤhren durch
das Thal eher/ als uͤber die Berg/ gefrieret. Bey dergleichen Orten/ wo die
Sonn wenige zeit des tags mag hinkommen/ heiſſet es/ was Silius der Jta-
lieniſche Poet geſchrieben

— — — — Cœlum intercipit umbra
Nullum ver uſquam, nulliq́ue æſtatis honores,
Sola jugis habitat diris, ſedeſque tuetur
Perpetuas deformis hyems.

Wo hingegen das Gebirg ſich erſtrecket von Morgen gegen Mittag/ und
die Sonn bald den ganzen tag kan ein ſolches Thal beleuchten/ da genieſſet
man koſtliche Fruͤchte einer durchtringenden Waͤrme/ als zum Exempel die-
nen kan die Landſchaft Veltlin/ ſo gemeinen drey Puͤndten underworffen/
ein wahrhaͤftes irꝛdiſches Paradeis/ von deſſen Fruchtbarkeit anderſtwo zu
reden ſeyn wird. Wir wiſſen auch in unſeren Landen/ daß die jenige Aeker
und Weinberge/ ſo hinderdem Nordwind ligen/ und hingegen dem Mit-
tag wind offen ſtehen/ vor andern fruchtbar ſeyn. Die jenige Thaͤler/ Laͤn-
der/ und Guͤter/ welche gegen abend ligen/ werden zwar mehr befeuchtet/ muͤſ-
ſen aber auch von diſem feuchten Abendwinde außſtehen mehrere ungelegen-
heiten/ wie dann bekant/ daß die Abendſeite der Haͤuſeren/ welche gegen dem

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[(82)[82]/0105] den laͤngſten Sommertagen kommen mag/ da iſt die Mittaͤgige Seiten des Thals faſt das ganze Jahr hindurch kalt und unfruchtbar/ die Mitnaͤchti- ge hingegen Sonnenreicher/ und von groͤſſeren ertragenheit. Jn dem Per- gellerthal in Puͤndten iſt die ſeiten von Soglio, Caſtaſegna faſt allein be- wohnet/ weilen ſie die auf- und abſteigende Sonn genieſſet/ und um ſovil fruchtbarer/ obgleich Soglio ſehr hoch ligt/ weilen der kalte Nordwind dahin nicht/ wol aber an die voruͤberſtehende Seiten/ wehen kan. Jn dem Rhein- wald/ da der hindere Rhein entſpringt/ regiert bald durch das ganze Jahr ein zwar geſunder/ aber rauher kalter Luft/ weilen dahin ſonderlich den Zugang hat der Oſt- und Nordwind/ daher in Puͤndten das gemeine Spruͤchwort/ im Rheinwald ſeyen 9. Monat Winter/ und 3. Monat kalt. So gewahren die jenige/ welche in dem Pfefersbad ſich einiche Wochen der Cur halben aufhalten/ daß die Sonn dorthin/ wegen uͤberhangenden hohen Felſen/ auch in den Sommer tagen kaum 2. ſtund hinkomt/ welche abweſen- heit der waͤrme denen Trink- und Badgaͤſten eine unbeliebige feuchte/ und kaͤlte zubringet. Merkwuͤrdig iſt die durchtringende kaͤlte der Engadiner- Luft/ welche Winterszeit bey ſtill-hellem Wetter groͤſſer/ als auf den hoͤch- ſten Bergen/ in deme der Saͤumeren bericht nach der Wein im fuͤhren durch das Thal eher/ als uͤber die Berg/ gefrieret. Bey dergleichen Orten/ wo die Sonn wenige zeit des tags mag hinkommen/ heiſſet es/ was Silius der Jta- lieniſche Poet geſchrieben — — — — Cœlum intercipit umbra Nullum ver uſquam, nulliq́ue æſtatis honores, Sola jugis habitat diris, ſedeſque tuetur Perpetuas deformis hyems. Wo hingegen das Gebirg ſich erſtrecket von Morgen gegen Mittag/ und die Sonn bald den ganzen tag kan ein ſolches Thal beleuchten/ da genieſſet man koſtliche Fruͤchte einer durchtringenden Waͤrme/ als zum Exempel die- nen kan die Landſchaft Veltlin/ ſo gemeinen drey Puͤndten underworffen/ ein wahrhaͤftes irꝛdiſches Paradeis/ von deſſen Fruchtbarkeit anderſtwo zu reden ſeyn wird. Wir wiſſen auch in unſeren Landen/ daß die jenige Aeker und Weinberge/ ſo hinderdem Nordwind ligen/ und hingegen dem Mit- tag wind offen ſtehen/ vor andern fruchtbar ſeyn. Die jenige Thaͤler/ Laͤn- der/ und Guͤter/ welche gegen abend ligen/ werden zwar mehr befeuchtet/ muͤſ- ſen aber auch von diſem feuchten Abendwinde außſtehen mehrere ungelegen- heiten/ wie dann bekant/ daß die Abendſeite der Haͤuſeren/ welche gegen dem wetter/

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Zitationshilfe: Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung der Natur-Geschichten Des Schweizerlands. Bd. 1. Zürich, 1706, S. (82)[82]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheuchzer_naturgeschichten01_1706/105>, abgerufen am 24.11.2024.