Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung der Natur-Geschichten Des Schweizerlands. Bd. 1. Zürich, 1706.

Bild:
<< vorherige Seite
N. 24.)



Seltsamer Naturgeschichten
Des Schweizer-Lands
Wochentliche Erzehlung.


Fortsezung von denen im Schweizerland befindlichen
überbleibselen der Sündflut.

KEin zweifel ist/ daß in denen ersten Jahren/ und Jahrhunderten nach
dem Sündfluß man in f[r]ischer Gedächtnuß gehabt alles/ was sich
währender diser erschrokenlichen überschwemmung zugetragen. Noah/
und die seinigen/ so in der Arch erhalten worden/ werden mit einander oft-
malige Gespräche von ihrer wunderbaren errettung/ und anderer lebenden
Geschöpften elendem untergang/ geführet haben/ und wird dise Geschicht von
Mund zu Mund zu denen Nachkömlingen fortgetragen worden seyn: Wann
auch schon die Menschen geschwiegen hetten/ so were doch die sach selbs nicht
unbekant geblieben; Es hetten geredt so vil tausend/ und aber tausend/ Mu-
schelen/ Schnecken/ Krebs/ und andere Reliquien der Meerthieren/ mit wel-
chen der ganze Erdboden anfangs beleget gewesen. Wie aber dise theils
von den wasseren weggeschwemmet/ theils von der Luft verzehret/ theils von den
Menschen und Thieren zertretten worden/ die Menschen auch mehr zusorgen
hatten um ihre Kleider und Nahrung/ als um erfindung der Buchstaben/
und Wissenschaften/ dardurch die Gedächtnuß einer so merkwürdigen Be-
gebenheit were erhalten worden/ als ist nach und nach die wahrhafte Histori
des Sündflusses verblichen/ und in lauter Mährlein verwandlet worden.
Die Griechen hatten in folgenden zeiten außgestanden die Ogygische/ und
Deucalioneische überschwemmung/ deren jene Atticam verwüstet/ dise aber
Thessaliam zugrund gerichtet/ weilen nun von disen besondern überschwem-
mungen dem ganzen Griechenland grosser schaden erwachsen/ so hat man
nur allein von disen traurigen Zeitungen geredet/ als die von frischerem da-
to waren/ und die allgemeine vorher entstandene Flut mit disen letsteren ver-
menget/ oder gar in dieselben versenket. Es haben zwaren auch andere Völ-
ker/ in Klein und Groß Asia, Africa, und Europa etwelche Nachricht von

diser
N. 24.)



Seltſamer Naturgeſchichten
Des Schweizer-Lands
Wochentliche Erzehlung.


Fortſezung von denen im Schweizerland befindlichen
uͤberbleibſelen der Suͤndflut.

KEin zweifel iſt/ daß in denen erſten Jahren/ und Jahrhunderten nach
dem Suͤndfluß man in f[r]iſcher Gedaͤchtnuß gehabt alles/ was ſich
waͤhrender diſer erſchrokenlichen uͤberſchwem̃ung zugetragen. Noah/
und die ſeinigen/ ſo in der Arch erhalten worden/ werden mit einander oft-
malige Geſpraͤche von ihrer wunderbaren erꝛettung/ und anderer lebenden
Geſchoͤpften elendem untergang/ gefuͤhret haben/ und wird diſe Geſchicht von
Mund zu Mund zu denen Nachkoͤmlingen fortgetragen worden ſeyn: Wañ
auch ſchon die Menſchen geſchwiegen hetten/ ſo were doch die ſach ſelbs nicht
unbekant geblieben; Es hetten geredt ſo vil tauſend/ und aber tauſend/ Mu-
ſchelen/ Schnecken/ Krebs/ und andere Reliquien der Meerthieren/ mit wel-
chen der ganze Erdboden anfangs beleget geweſen. Wie aber diſe theils
von den waſſeren weggeſchwem̃et/ theils von der Luft verzehret/ theils von den
Menſchen und Thieren zertretten worden/ die Menſchen auch mehr zuſorgen
hatten um ihre Kleider und Nahrung/ als um erfindung der Buchſtaben/
und Wiſſenſchaften/ dardurch die Gedaͤchtnuß einer ſo merkwuͤrdigen Be-
gebenheit were erhalten worden/ als iſt nach und nach die wahrhafte Hiſtori
des Suͤndfluſſes verblichen/ und in lauter Maͤhrlein verwandlet worden.
Die Griechen hatten in folgenden zeiten außgeſtanden die Ogygiſche/ und
Deucalioneiſche uͤberſchwem̃ung/ deren jene Atticam verwuͤſtet/ diſe aber
Theſſaliam zugrund gerichtet/ weilen nun von diſen beſondern uͤberſchwem-
mungen dem ganzen Griechenland groſſer ſchaden erwachſen/ ſo hat man
nur allein von diſen traurigen Zeitungen geredet/ als die von friſcherem da-
to waren/ und die allgemeine vorher entſtandene Flut mit diſen letſteren ver-
menget/ oder gar in dieſelben verſenket. Es haben zwaren auch andere Voͤl-
ker/ in Klein und Groß Aſia, Africa, und Europa etwelche Nachricht von

diſer
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0118" n="(91)[91]"/>
      <fw place="top" type="header">N. 24.)</fw>
      <div n="1">
        <dateline> <hi rendition="#et">22. <hi rendition="#aq">Jul.</hi> 1705.</hi> </dateline><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <head> <hi rendition="#b">Selt&#x017F;amer Naturge&#x017F;chichten<lb/>
Des Schweizer-Lands<lb/>
Wochentliche Erzehlung.</hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#b">Fort&#x017F;ezung von denen im Schweizerland befindlichen</hi><lb/>
u&#x0364;berbleib&#x017F;elen der Su&#x0364;ndflut.</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">K</hi>Ein zweifel i&#x017F;t/ daß in denen er&#x017F;ten Jahren/ und Jahrhunderten nach<lb/>
dem Su&#x0364;ndfluß man in f<supplied>r</supplied>i&#x017F;cher Geda&#x0364;chtnuß gehabt alles/ was &#x017F;ich<lb/>
wa&#x0364;hrender di&#x017F;er er&#x017F;chrokenlichen u&#x0364;ber&#x017F;chwem&#x0303;ung zugetragen. Noah/<lb/>
und die &#x017F;einigen/ &#x017F;o in der Arch erhalten worden/ werden mit einander oft-<lb/>
malige Ge&#x017F;pra&#x0364;che von ihrer wunderbaren er&#xA75B;ettung/ und anderer lebenden<lb/>
Ge&#x017F;cho&#x0364;pften elendem untergang/ gefu&#x0364;hret haben/ und wird di&#x017F;e Ge&#x017F;chicht von<lb/>
Mund zu Mund zu denen Nachko&#x0364;mlingen fortgetragen worden &#x017F;eyn: Wan&#x0303;<lb/>
auch &#x017F;chon die Men&#x017F;chen ge&#x017F;chwiegen hetten/ &#x017F;o were doch die &#x017F;ach &#x017F;elbs nicht<lb/>
unbekant geblieben; Es hetten geredt &#x017F;o vil tau&#x017F;end/ und aber tau&#x017F;end/ Mu-<lb/>
&#x017F;chelen/ Schnecken/ Krebs/ und andere Reliquien der Meerthieren/ mit wel-<lb/>
chen der ganze Erdboden anfangs beleget gewe&#x017F;en. Wie aber di&#x017F;e theils<lb/>
von den wa&#x017F;&#x017F;eren wegge&#x017F;chwem&#x0303;et/ theils von der Luft verzehret/ theils von den<lb/>
Men&#x017F;chen und Thieren zertretten worden/ die Men&#x017F;chen auch mehr zu&#x017F;orgen<lb/>
hatten um ihre Kleider und Nahrung/ als um erfindung der Buch&#x017F;taben/<lb/>
und Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften/ dardurch die Geda&#x0364;chtnuß einer &#x017F;o merkwu&#x0364;rdigen Be-<lb/>
gebenheit were erhalten worden/ als i&#x017F;t nach und nach die wahrhafte Hi&#x017F;tori<lb/>
des Su&#x0364;ndflu&#x017F;&#x017F;es verblichen/ und in lauter Ma&#x0364;hrlein verwandlet worden.<lb/>
Die Griechen hatten in folgenden zeiten außge&#x017F;tanden die Ogygi&#x017F;che/ und<lb/>
Deucalionei&#x017F;che u&#x0364;ber&#x017F;chwem&#x0303;ung/ deren jene <hi rendition="#aq">Atticam</hi> verwu&#x0364;&#x017F;tet/ di&#x017F;e aber<lb/><hi rendition="#aq">The&#x017F;&#x017F;aliam</hi> zugrund gerichtet/ weilen nun von di&#x017F;en be&#x017F;ondern u&#x0364;ber&#x017F;chwem-<lb/>
mungen dem ganzen Griechenland gro&#x017F;&#x017F;er &#x017F;chaden erwach&#x017F;en/ &#x017F;o hat man<lb/>
nur allein von di&#x017F;en traurigen Zeitungen geredet/ als die von fri&#x017F;cherem da-<lb/>
to waren/ und die allgemeine vorher ent&#x017F;tandene Flut mit di&#x017F;en let&#x017F;teren ver-<lb/>
menget/ oder gar in die&#x017F;elben ver&#x017F;enket. Es haben zwaren auch andere Vo&#x0364;l-<lb/>
ker/ in Klein und Groß <hi rendition="#aq">A&#x017F;ia, Africa,</hi> und <hi rendition="#aq">Europa</hi> etwelche Nachricht von<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">di&#x017F;er</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[(91)[91]/0118] N. 24.) 22. Jul. 1705. Seltſamer Naturgeſchichten Des Schweizer-Lands Wochentliche Erzehlung. Fortſezung von denen im Schweizerland befindlichen uͤberbleibſelen der Suͤndflut. KEin zweifel iſt/ daß in denen erſten Jahren/ und Jahrhunderten nach dem Suͤndfluß man in friſcher Gedaͤchtnuß gehabt alles/ was ſich waͤhrender diſer erſchrokenlichen uͤberſchwem̃ung zugetragen. Noah/ und die ſeinigen/ ſo in der Arch erhalten worden/ werden mit einander oft- malige Geſpraͤche von ihrer wunderbaren erꝛettung/ und anderer lebenden Geſchoͤpften elendem untergang/ gefuͤhret haben/ und wird diſe Geſchicht von Mund zu Mund zu denen Nachkoͤmlingen fortgetragen worden ſeyn: Wañ auch ſchon die Menſchen geſchwiegen hetten/ ſo were doch die ſach ſelbs nicht unbekant geblieben; Es hetten geredt ſo vil tauſend/ und aber tauſend/ Mu- ſchelen/ Schnecken/ Krebs/ und andere Reliquien der Meerthieren/ mit wel- chen der ganze Erdboden anfangs beleget geweſen. Wie aber diſe theils von den waſſeren weggeſchwem̃et/ theils von der Luft verzehret/ theils von den Menſchen und Thieren zertretten worden/ die Menſchen auch mehr zuſorgen hatten um ihre Kleider und Nahrung/ als um erfindung der Buchſtaben/ und Wiſſenſchaften/ dardurch die Gedaͤchtnuß einer ſo merkwuͤrdigen Be- gebenheit were erhalten worden/ als iſt nach und nach die wahrhafte Hiſtori des Suͤndfluſſes verblichen/ und in lauter Maͤhrlein verwandlet worden. Die Griechen hatten in folgenden zeiten außgeſtanden die Ogygiſche/ und Deucalioneiſche uͤberſchwem̃ung/ deren jene Atticam verwuͤſtet/ diſe aber Theſſaliam zugrund gerichtet/ weilen nun von diſen beſondern uͤberſchwem- mungen dem ganzen Griechenland groſſer ſchaden erwachſen/ ſo hat man nur allein von diſen traurigen Zeitungen geredet/ als die von friſcherem da- to waren/ und die allgemeine vorher entſtandene Flut mit diſen letſteren ver- menget/ oder gar in dieſelben verſenket. Es haben zwaren auch andere Voͤl- ker/ in Klein und Groß Aſia, Africa, und Europa etwelche Nachricht von diſer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheuchzer_naturgeschichten01_1706
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheuchzer_naturgeschichten01_1706/118
Zitationshilfe: Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung der Natur-Geschichten Des Schweizerlands. Bd. 1. Zürich, 1706, S. (91)[91]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheuchzer_naturgeschichten01_1706/118>, abgerufen am 21.11.2024.