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Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung Der Natur-Geschichten Des Schweizerlands. Bd. 2. Zürich, 1707.

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gen in warmen Monaten stark schmilzet/ in kalten hingegen bleibet. Auf
solche Weise urtheilet Petr. Gassend. Physic. §. 3. Lib. I. cap. 7. Joh. Ray
in seinen Topographical observat. p. 103. Zeugen diser Wahrheit sein bald
alle Wasser/ Flüsse/ und Bäche des Schweizer lands/ wir wissen ja/ daß un-
sere Sil/ Limmat/ der Rhein/ Rhosne, und andere mehr im Sommer stark
an- und überlauffen/ des Winters hingegen sehr klein sein. Gleichwol braucht
es doch etwas mehrers zu außlegung der jenigen Begebenheiten/ welche sich
finden bey denen Meybrünnen; dise fliessen nicht/ wie jezternente Flüsse/ des
Winters wenig/ und des Sommers stark/ sondern dort gar nicht/ hier aber
in völliger Stärke; ja quellen gemeinlich in dem Meyen einsmahls/ und
mit solchem Geräusch hervor/ daß/ wer darbey stehet/ erschricket. Und finden
sich Meybrünnen so wol an solchen Ohrten/ da der Schnee zeitlich abgehet/
als an anderen/ da er beständig ligen bleibt. Wir müssen hiemit mit unseren
Gemühts-Augen das innere Eingeweid der Bergen beschauen/ und wahr-
nemmen/ was in disen natürlichen Wunder-Grotten vor allerhand Wasser-
sprünge/ und Fälle sich finden/ auch den jenigen Grundsatz/ welchen wir zu
machen vorhaben/ also einrichten/ daß darauß/ als auß einer lebendigen Quell
die verschiedene Begebenheiten der Meybrünnen können hergeleitet und er-
kläret werden. Jch wil meine muhtmaßliche Meynung auf verschiedene
Weise darlegen/ welche dann der curiose Leser nach gefallen änderen kan/
und verbesseren. Nicht ist zu laugnen/ und bey anderen Anläsen zu beweisen/
daß in denen Eingeweiden der Bergen anzutreffen seyen grosse Hydrophy-
lacia,
oder Wassergehalter/ der gleichen Wasser-Schätze/ wann sie des Früh-
lings theils von dem schmilzenden Schnee/ theils von unten aufsteigenden/
oben in Wasser gesamleten Dünsten angefüllet werden/ lähren sich auß/ und
fliessen von dem Meymonat an/ so lang ein neuer Zufluß des geschmolzenen
Schneewassers/ oder der abfallenden Dünsten/ oder eines auch von zusamen-
fliessenden Schneewasser bestehenden Sees Außguß in den unterirrdischen
Wasserkessel währet: Oder/ es kan ein solcher Wasser gehalter angefüllet
werden bis auf eine gewisse Höhe/ ehe er sich ergiesset/ wann namlich der Auß-
gang von Sand/ oder Stein verstopfet; oder es kan der Einfluß des Was-
sers in den Gehalter (von den Schneegängen/ von zurukfallenden Dünsten/
von dem See/ endlich auch von anderen kleineren Wasserschätzen) grösser
sein/ als der Außfluß/ folglich das Wasser höher steigen: Jn solchem Fall
nun geschihet der Außguß des Wassers mit sonderlichem Gewalt/ gleich diß
kan gewahret werden bey oben erwehnten Gorbsbächen im Sarganser-
land; und wird ein solcher Brunn währen/ bis nach und nach der Einfluß
abnimmet/ und die Wassersamlung abschweinet/ da die Kälte widerum ein-
fallet/ und den Winter über solche Brünnen müssen troken bleiben.

Hier-

gen in warmen Monaten ſtark ſchmilzet/ in kalten hingegen bleibet. Auf
ſolche Weiſe urtheilet Petr. Gaſſend. Phyſic. §. 3. Lib. I. cap. 7. Joh. Ray
in ſeinen Topographical obſervat. p. 103. Zeugen diſer Wahrheit ſein bald
alle Waſſer/ Flüſſe/ und Baͤche des Schweizer lands/ wir wiſſen ja/ daß un-
ſere Sil/ Limmat/ der Rhein/ Rhoſne, und andere mehr im Sommer ſtark
an- und uͤberlauffen/ des Winters hingegen ſehr klein ſein. Gleichwol braucht
es doch etwas mehrers zu außlegung der jenigen Begebenheiten/ welche ſich
finden bey denen Meybrünnen; diſe flieſſen nicht/ wie jezternente Flüſſe/ des
Winters wenig/ und des Sommers ſtark/ ſondern dort gar nicht/ hier aber
in voͤlliger Staͤrke; ja quellen gemeinlich in dem Meyen einsmahls/ und
mit ſolchem Geraͤuſch hervor/ daß/ wer darbey ſtehet/ erſchricket. Und finden
ſich Meybruͤnnen ſo wol an ſolchen Ohrten/ da der Schnee zeitlich abgehet/
als an anderen/ da er beſtaͤndig ligen bleibt. Wir muͤſſen hiemit mit unſeren
Gemuͤhts-Augen das innere Eingeweid der Bergen beſchauen/ und wahr-
nemmen/ was in diſen natuͤrlichen Wunder-Grotten vor allerhand Waſſer-
ſprünge/ und Faͤlle ſich finden/ auch den jenigen Grundſatz/ welchen wir zu
machen vorhaben/ alſo einrichten/ daß darauß/ als auß einer lebendigen Quell
die verſchiedene Begebenheiten der Meybrünnen koͤnnen hergeleitet und er-
klaͤret werden. Jch wil meine muhtmaßliche Meynung auf verſchiedene
Weiſe darlegen/ welche dann der curioſe Leſer nach gefallen aͤnderen kan/
und verbeſſeren. Nicht iſt zu laugnen/ und bey anderen Anlaͤſen zu beweiſen/
daß in denen Eingeweiden der Bergen anzutreffen ſeyen groſſe Hydrophy-
lacia,
oder Waſſergehalter/ der gleichen Waſſer-Schaͤtze/ wann ſie des Fruͤh-
lings theils von dem ſchmilzenden Schnee/ theils von unten aufſteigenden/
oben in Waſſer geſamleten Dünſten angefuͤllet werden/ laͤhren ſich auß/ und
flieſſen von dem Meymonat an/ ſo lang ein neuer Zufluß des geſchmolzenen
Schneewaſſers/ oder der abfallenden Dünſten/ oder eines auch von zuſamen-
flieſſenden Schneewaſſer beſtehenden Sees Außguß in den unterirꝛdiſchen
Waſſerkeſſel waͤhret: Oder/ es kan ein ſolcher Waſſer gehalter angefuͤllet
werden bis auf eine gewiſſe Hoͤhe/ ehe er ſich ergieſſet/ wann namlich der Auß-
gang von Sand/ oder Stein verſtopfet; oder es kan der Einfluß des Waſ-
ſers in den Gehalter (von den Schneegaͤngen/ von zurukfallenden Dünſten/
von dem See/ endlich auch von anderen kleineren Waſſerſchaͤtzen) groͤſſer
ſein/ als der Außfluß/ folglich das Waſſer hoͤher ſteigen: Jn ſolchem Fall
nun geſchihet der Außguß des Waſſers mit ſonderlichem Gewalt/ gleich diß
kan gewahret werden bey oben erwehnten Gorbsbaͤchen im Sarganſer-
land; und wird ein ſolcher Brunn waͤhren/ bis nach und nach der Einfluß
abnimmet/ und die Waſſerſamlung abſchweinet/ da die Kaͤlte widerum ein-
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Hier-
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[107/0118] gen in warmen Monaten ſtark ſchmilzet/ in kalten hingegen bleibet. Auf ſolche Weiſe urtheilet Petr. Gaſſend. Phyſic. §. 3. Lib. I. cap. 7. Joh. Ray in ſeinen Topographical obſervat. p. 103. Zeugen diſer Wahrheit ſein bald alle Waſſer/ Flüſſe/ und Baͤche des Schweizer lands/ wir wiſſen ja/ daß un- ſere Sil/ Limmat/ der Rhein/ Rhoſne, und andere mehr im Sommer ſtark an- und uͤberlauffen/ des Winters hingegen ſehr klein ſein. Gleichwol braucht es doch etwas mehrers zu außlegung der jenigen Begebenheiten/ welche ſich finden bey denen Meybrünnen; diſe flieſſen nicht/ wie jezternente Flüſſe/ des Winters wenig/ und des Sommers ſtark/ ſondern dort gar nicht/ hier aber in voͤlliger Staͤrke; ja quellen gemeinlich in dem Meyen einsmahls/ und mit ſolchem Geraͤuſch hervor/ daß/ wer darbey ſtehet/ erſchricket. Und finden ſich Meybruͤnnen ſo wol an ſolchen Ohrten/ da der Schnee zeitlich abgehet/ als an anderen/ da er beſtaͤndig ligen bleibt. Wir muͤſſen hiemit mit unſeren Gemuͤhts-Augen das innere Eingeweid der Bergen beſchauen/ und wahr- nemmen/ was in diſen natuͤrlichen Wunder-Grotten vor allerhand Waſſer- ſprünge/ und Faͤlle ſich finden/ auch den jenigen Grundſatz/ welchen wir zu machen vorhaben/ alſo einrichten/ daß darauß/ als auß einer lebendigen Quell die verſchiedene Begebenheiten der Meybrünnen koͤnnen hergeleitet und er- klaͤret werden. Jch wil meine muhtmaßliche Meynung auf verſchiedene Weiſe darlegen/ welche dann der curioſe Leſer nach gefallen aͤnderen kan/ und verbeſſeren. Nicht iſt zu laugnen/ und bey anderen Anlaͤſen zu beweiſen/ daß in denen Eingeweiden der Bergen anzutreffen ſeyen groſſe Hydrophy- lacia, oder Waſſergehalter/ der gleichen Waſſer-Schaͤtze/ wann ſie des Fruͤh- lings theils von dem ſchmilzenden Schnee/ theils von unten aufſteigenden/ oben in Waſſer geſamleten Dünſten angefuͤllet werden/ laͤhren ſich auß/ und flieſſen von dem Meymonat an/ ſo lang ein neuer Zufluß des geſchmolzenen Schneewaſſers/ oder der abfallenden Dünſten/ oder eines auch von zuſamen- flieſſenden Schneewaſſer beſtehenden Sees Außguß in den unterirꝛdiſchen Waſſerkeſſel waͤhret: Oder/ es kan ein ſolcher Waſſer gehalter angefuͤllet werden bis auf eine gewiſſe Hoͤhe/ ehe er ſich ergieſſet/ wann namlich der Auß- gang von Sand/ oder Stein verſtopfet; oder es kan der Einfluß des Waſ- ſers in den Gehalter (von den Schneegaͤngen/ von zurukfallenden Dünſten/ von dem See/ endlich auch von anderen kleineren Waſſerſchaͤtzen) groͤſſer ſein/ als der Außfluß/ folglich das Waſſer hoͤher ſteigen: Jn ſolchem Fall nun geſchihet der Außguß des Waſſers mit ſonderlichem Gewalt/ gleich diß kan gewahret werden bey oben erwehnten Gorbsbaͤchen im Sarganſer- land; und wird ein ſolcher Brunn waͤhren/ bis nach und nach der Einfluß abnimmet/ und die Waſſerſamlung abſchweinet/ da die Kaͤlte widerum ein- fallet/ und den Winter uͤber ſolche Bruͤnnen muͤſſen troken bleiben. Hier-

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Zitationshilfe: Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung Der Natur-Geschichten Des Schweizerlands. Bd. 2. Zürich, 1707, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheuchzer_naturgeschichten02_1706/118>, abgerufen am 21.11.2024.