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Scheyb, Franz Christoph von: Theresiade. Bd. 2. Wien, 1746.

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Theresiade
385"Gewicht und Maß und Zahl, End, Anfang, Ziel und Zeit;
"Kurz: alle Welt besteht in der Einstimmigkeit.
"Die Wercke seynd verknüpft; allein kann keines nüzen;
"Des einen Wirckung muß das Werck des andern stüzen.
"Könnt eine Sach allein und sonderbar bestehn,
390"So müßte sie der Macht der Allmacht nahe gehn.
"Gesezt: ich liesse mich als euer Haupt begrüssen,
"Was würdet, Tugenden! ihr auf den Spruch beschliessen?
"Die Folge weist sich selbst; ich blieb am End allein,
"Und nichts von meinem Amt wär euerm Rath gemein.
395"Was nüzte meine Pflicht? die Wahrheit wär verlassen;
"Wo keine Tugend ist, da pflegt man sie zu hassen.
"So wend' ich mich zum Schluß und Ausspruch dieses Streits,
"Jhr kennt desselben Sinn und Jnnbegriff bereits.
Hier stund sie auf und sah mit Obacht auf die Mienen,
400Die in dem Angesicht des Guten Raths erschienen.
Jch weiß nicht, was er ihr, und was sie ihm erwies,
Jndem sie kurz darauf sich wieder nieder ließ
Und sagte: "Niemand wird von euch den Vorzug haben!
"Nein: keine soll sich selbst mit einem Rang begaben;
405"Es sey dem ganzen Kreiß ein jedes Werck gemein.
"Dieß soll hiemit dem Spruch und Schluß zum Grunde seyn.
"Es sey nun jenes Amt, die Kinder zu erziehen;
"Sich um des Ehgemahls Vorhaben zu bemühen;
"Es
Thereſiade
385„Gewicht und Maß und Zahl, End, Anfang, Ziel und Zeit;
„Kurz: alle Welt beſteht in der Einſtimmigkeit.
„Die Wercke ſeynd verknuͤpft; allein kann keines nuͤzen;
„Des einen Wirckung muß das Werck des andern ſtuͤzen.
„Koͤnnt eine Sach allein und ſonderbar beſtehn,
390„So muͤßte ſie der Macht der Allmacht nahe gehn.
„Geſezt: ich lieſſe mich als euer Haupt begruͤſſen,
„Was wuͤrdet, Tugenden! ihr auf den Spruch beſchlieſſen?
„Die Folge weist ſich ſelbſt; ich blieb am End allein,
„Und nichts von meinem Amt waͤr euerm Rath gemein.
395„Was nuͤzte meine Pflicht? die Wahrheit waͤr verlaſſen;
„Wo keine Tugend iſt, da pflegt man ſie zu haſſen.
„So wend’ ich mich zum Schluß und Ausſpruch dieſes Streits,
„Jhr kennt deſſelben Sinn und Jnnbegriff bereits.
Hier ſtund ſie auf und ſah mit Obacht auf die Mienen,
400Die in dem Angeſicht des Guten Raths erſchienen.
Jch weiß nicht, was er ihr, und was ſie ihm erwies,
Jndem ſie kurz darauf ſich wieder nieder ließ
Und ſagte: „Niemand wird von euch den Vorzug haben!
„Nein: keine ſoll ſich ſelbſt mit einem Rang begaben;
405„Es ſey dem ganzen Kreiß ein jedes Werck gemein.
„Dieß ſoll hiemit dem Spruch und Schluß zum Grunde ſeyn.
„Es ſey nun jenes Amt, die Kinder zu erziehen;
„Sich um des Ehgemahls Vorhaben zu bemuͤhen;
„Es
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[0162] Thereſiade „Gewicht und Maß und Zahl, End, Anfang, Ziel und Zeit; „Kurz: alle Welt beſteht in der Einſtimmigkeit. „Die Wercke ſeynd verknuͤpft; allein kann keines nuͤzen; „Des einen Wirckung muß das Werck des andern ſtuͤzen. „Koͤnnt eine Sach allein und ſonderbar beſtehn, „So muͤßte ſie der Macht der Allmacht nahe gehn. „Geſezt: ich lieſſe mich als euer Haupt begruͤſſen, „Was wuͤrdet, Tugenden! ihr auf den Spruch beſchlieſſen? „Die Folge weist ſich ſelbſt; ich blieb am End allein, „Und nichts von meinem Amt waͤr euerm Rath gemein. „Was nuͤzte meine Pflicht? die Wahrheit waͤr verlaſſen; „Wo keine Tugend iſt, da pflegt man ſie zu haſſen. „So wend’ ich mich zum Schluß und Ausſpruch dieſes Streits, „Jhr kennt deſſelben Sinn und Jnnbegriff bereits. Hier ſtund ſie auf und ſah mit Obacht auf die Mienen, Die in dem Angeſicht des Guten Raths erſchienen. Jch weiß nicht, was er ihr, und was ſie ihm erwies, Jndem ſie kurz darauf ſich wieder nieder ließ Und ſagte: „Niemand wird von euch den Vorzug haben! „Nein: keine ſoll ſich ſelbſt mit einem Rang begaben; „Es ſey dem ganzen Kreiß ein jedes Werck gemein. „Dieß ſoll hiemit dem Spruch und Schluß zum Grunde ſeyn. „Es ſey nun jenes Amt, die Kinder zu erziehen; „Sich um des Ehgemahls Vorhaben zu bemuͤhen; „Es

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Zitationshilfe: Scheyb, Franz Christoph von: Theresiade. Bd. 2. Wien, 1746, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheyb_theresiade02_1746/162>, abgerufen am 25.11.2024.