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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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Vertheidiger der guten Sache bald zum Schweigen,
wie aus einem Beyspiele, das ich in der Folge an¬
führen werde, erhellen wird. Den andern, die
sich in der Folge seines Vertrauens bemächtigten,
war es vielmehr darum zu thun, ihn immer tiefer
darein zu versenken. Als ich im folgenden Jahre
wieder nach Venedig zurück kam -- wie anders
fand ich da schon alles!

Der Einfluß dieser neuen Philosophie zeigte sich
bald in des Prinzen Leben. Je mehr er zusehends
in Venedig Glück machte, und neue Freunde sich er¬
warb, desto mehr fing er an, bey seinen ältern
Freunden zu verlieren. Mir gefiel er von Tag zu
Tage weniger, auch sahen wir uns seltener, und
überhaupt war er weniger zu haben. Der Strom
der großen Welt hatte ihn gefaßt. Nie wurde sei¬
ne Schwelle leer, wenn er zu Hause war. Eine
Lustbarkeit drängte die andre, ein Fest das andre,
eine Glückseligkeit die andre. Er war die Schöne,
um welche alles buhlt, der König und der Abgott
aller Zirkel. So schwer er sich in der vorigen Stille
seines beschränkten Lebens den großen Weltlauf ge¬
dacht hatte, so leicht fand er ihn nunmehr zu seinem
Erstaunen. Es kam ihm alles so entgegen, alles
war trefflich, was von seinen Lippen kam, und
wenn er schwieg, so war es ein Raub an der Ge¬
sellschaft. Man verstand die Kunst, ihm die Ge¬
danken mit einer angenehmen Leichtigkeit von der
Seele gleichsam abzulösen, und durch eine feine
Nachhülfe ihn selbst damit zu überraschen. Auch

machte
G 3

Vertheidiger der guten Sache bald zum Schweigen,
wie aus einem Beyſpiele, das ich in der Folge an¬
führen werde, erhellen wird. Den andern, die
ſich in der Folge ſeines Vertrauens bemächtigten,
war es vielmehr darum zu thun, ihn immer tiefer
darein zu verſenken. Als ich im folgenden Jahre
wieder nach Venedig zurück kam — wie anders
fand ich da ſchon alles!

Der Einfluß dieſer neuen Philoſophie zeigte ſich
bald in des Prinzen Leben. Je mehr er zuſehends
in Venedig Glück machte, und neue Freunde ſich er¬
warb, deſto mehr fing er an, bey ſeinen ältern
Freunden zu verlieren. Mir gefiel er von Tag zu
Tage weniger, auch ſahen wir uns ſeltener, und
überhaupt war er weniger zu haben. Der Strom
der großen Welt hatte ihn gefaßt. Nie wurde ſei¬
ne Schwelle leer, wenn er zu Hauſe war. Eine
Luſtbarkeit drängte die andre, ein Feſt das andre,
eine Glückſeligkeit die andre. Er war die Schöne,
um welche alles buhlt, der König und der Abgott
aller Zirkel. So ſchwer er ſich in der vorigen Stille
ſeines beſchränkten Lebens den großen Weltlauf ge¬
dacht hatte, ſo leicht fand er ihn nunmehr zu ſeinem
Erſtaunen. Es kam ihm alles ſo entgegen, alles
war trefflich, was von ſeinen Lippen kam, und
wenn er ſchwieg, ſo war es ein Raub an der Ge¬
ſellſchaft. Man verſtand die Kunſt, ihm die Ge¬
danken mit einer angenehmen Leichtigkeit von der
Seele gleichſam abzulöſen, und durch eine feine
Nachhülfe ihn ſelbſt damit zu überraſchen. Auch

machte
G 3
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[101/0109] Vertheidiger der guten Sache bald zum Schweigen, wie aus einem Beyſpiele, das ich in der Folge an¬ führen werde, erhellen wird. Den andern, die ſich in der Folge ſeines Vertrauens bemächtigten, war es vielmehr darum zu thun, ihn immer tiefer darein zu verſenken. Als ich im folgenden Jahre wieder nach Venedig zurück kam — wie anders fand ich da ſchon alles! Der Einfluß dieſer neuen Philoſophie zeigte ſich bald in des Prinzen Leben. Je mehr er zuſehends in Venedig Glück machte, und neue Freunde ſich er¬ warb, deſto mehr fing er an, bey ſeinen ältern Freunden zu verlieren. Mir gefiel er von Tag zu Tage weniger, auch ſahen wir uns ſeltener, und überhaupt war er weniger zu haben. Der Strom der großen Welt hatte ihn gefaßt. Nie wurde ſei¬ ne Schwelle leer, wenn er zu Hauſe war. Eine Luſtbarkeit drängte die andre, ein Feſt das andre, eine Glückſeligkeit die andre. Er war die Schöne, um welche alles buhlt, der König und der Abgott aller Zirkel. So ſchwer er ſich in der vorigen Stille ſeines beſchränkten Lebens den großen Weltlauf ge¬ dacht hatte, ſo leicht fand er ihn nunmehr zu ſeinem Erſtaunen. Es kam ihm alles ſo entgegen, alles war trefflich, was von ſeinen Lippen kam, und wenn er ſchwieg, ſo war es ein Raub an der Ge¬ ſellſchaft. Man verſtand die Kunſt, ihm die Ge¬ danken mit einer angenehmen Leichtigkeit von der Seele gleichſam abzulöſen, und durch eine feine Nachhülfe ihn ſelbſt damit zu überraſchen. Auch machte G 3

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/109>, abgerufen am 21.11.2024.