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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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Um einen seiner Leute zu errufen. Er ist noch nicht
weit gegangen, als ihm von ferne eine liebliche
Musik entgegen schallt. Er geht wie bezaubert
dem Schall nach, und findet Biondello auf seinem
Zimmer auf der Flöte blasend, seine Kameraden
um ihn her. Er will seinen Augen, seinen Ohren
nicht trauen, und befiehlt ihm fortzufahren. Mit
einer bewundernswürdigen Leichtigkeit extemporirt
dieser nun dasselbe schmelzende Adagio mit den
glücklichsten Variationen und allen Feinheiten eines
Virtuosen. Der Prinz, der ein Kenner ist, wie
Sie wissen, behauptet, daß er sich getrost in der
besten Kapelle hören lassen dürfte.

"Ich muß diesen Menschen entlassen," sagte er
mir den Morgen darauf, "ich bin unvermögend,
ihn nach Verdienst zu belohnen," Biondello, der
diese Worte aufgefangen hatte, trat herzu. Gnä¬
digster Herr, sagte er, wenn Sie das thun, so
rauben Sie mir meine beste Belohnung.

"Du bist zu etwas Besserm bestimmt, als zu
dienen," sagte mein Herr. "Ich darf dir nicht
vor deinem Glücke seyn."

Dringen Sie mir doch kein anderes Glück auf,
gnädigster Herr, als das ich mir selbst gewählt
habe.

"Und ein solches Talent zu vernachlässigen --
Nein! Ich darf es nicht zugeben."

So
H 2

Um einen ſeiner Leute zu errufen. Er iſt noch nicht
weit gegangen, als ihm von ferne eine liebliche
Muſik entgegen ſchallt. Er geht wie bezaubert
dem Schall nach, und findet Biondello auf ſeinem
Zimmer auf der Flöte blaſend, ſeine Kameraden
um ihn her. Er will ſeinen Augen, ſeinen Ohren
nicht trauen, und befiehlt ihm fortzufahren. Mit
einer bewundernswürdigen Leichtigkeit extemporirt
dieſer nun daſſelbe ſchmelzende Adagio mit den
glücklichſten Variationen und allen Feinheiten eines
Virtuoſen. Der Prinz, der ein Kenner iſt, wie
Sie wiſſen, behauptet, daß er ſich getroſt in der
beſten Kapelle hören laſſen dürfte.

„Ich muß dieſen Menſchen entlaſſen,“ ſagte er
mir den Morgen darauf, „ich bin unvermögend,
ihn nach Verdienſt zu belohnen,“ Biondello, der
dieſe Worte aufgefangen hatte, trat herzu. Gnä¬
digſter Herr, ſagte er, wenn Sie das thun, ſo
rauben Sie mir meine beſte Belohnung.

„Du biſt zu etwas Beſſerm beſtimmt, als zu
dienen,“ ſagte mein Herr. „Ich darf dir nicht
vor deinem Glücke ſeyn.“

Dringen Sie mir doch kein anderes Glück auf,
gnädigſter Herr, als das ich mir ſelbſt gewählt
habe.

„Und ein ſolches Talent zu vernachläſſigen —
Nein! Ich darf es nicht zugeben.“

So
H 2
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[115/0123] Um einen ſeiner Leute zu errufen. Er iſt noch nicht weit gegangen, als ihm von ferne eine liebliche Muſik entgegen ſchallt. Er geht wie bezaubert dem Schall nach, und findet Biondello auf ſeinem Zimmer auf der Flöte blaſend, ſeine Kameraden um ihn her. Er will ſeinen Augen, ſeinen Ohren nicht trauen, und befiehlt ihm fortzufahren. Mit einer bewundernswürdigen Leichtigkeit extemporirt dieſer nun daſſelbe ſchmelzende Adagio mit den glücklichſten Variationen und allen Feinheiten eines Virtuoſen. Der Prinz, der ein Kenner iſt, wie Sie wiſſen, behauptet, daß er ſich getroſt in der beſten Kapelle hören laſſen dürfte. „Ich muß dieſen Menſchen entlaſſen,“ ſagte er mir den Morgen darauf, „ich bin unvermögend, ihn nach Verdienſt zu belohnen,“ Biondello, der dieſe Worte aufgefangen hatte, trat herzu. Gnä¬ digſter Herr, ſagte er, wenn Sie das thun, ſo rauben Sie mir meine beſte Belohnung. „Du biſt zu etwas Beſſerm beſtimmt, als zu dienen,“ ſagte mein Herr. „Ich darf dir nicht vor deinem Glücke ſeyn.“ Dringen Sie mir doch kein anderes Glück auf, gnädigſter Herr, als das ich mir ſelbſt gewählt habe. „Und ein ſolches Talent zu vernachläſſigen — Nein! Ich darf es nicht zugeben.“ So H 2

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/123>, abgerufen am 24.11.2024.