"Wir sehen sie also in der moralischen Welt ihre bisherige Ordnung verlassen, ja sogar mit sich selbst in einen anscheinenden Streit gerathen. In jedem moralischen Wesen legt sie ein neues Cen¬ trum an, einen Staat im Staate, gleichsam als hätte sie ihren allgemeinen Zweck ganz aus den Au¬ gen verloren. Gegen dieses Centrum müssen sich alle Thätigkeiten dieses Wesens mit einem Zwange neigen, wie sie ihn in der physischen Welt durch die Schwerkraft ausübt. Dieses Wesen ist auf die Art in sich selbst gegründet, ein wahres und wirk¬ liches Ganze, durch diesen Fall zu seinem Centrum dazu gebildet, eben so wie der Planet der Erde durch die Schwerkraft zur Kugel ward, und als Kugel fortdauert. Bis hieher scheint sie sich selbst ganz vergessen zu haben."
"Aber wir haben gehört, daß dieses Wesen nur vorhanden ist, um die moralischen Erscheinungen hervor zu bringen, deren sie bedurfte; die Frey¬ heit dieses Wesens, oder sein Vermögen sich selbst zu bewegen, mußte also dem Zweck unterworfen werden, zu welchem sie es bestimmte. Wollte sie also über die Wirkungen Meister bleiben, die es leistete, so mußte sie sich des Principiums bemäch¬ tigen, wornach sich das moralische Wesen beweget. Was konnte sie daher anders thun, als ihren Zweck mit diesem Wesen an das Principium an¬ schließen, wodurch es regiert wird, oder mit andern Worten, seine zweckmäßige Thätigkeit zur noth¬ wendigen Bedingung seiner Glückseligkeit ma¬ chen?"
Das
J 3
„Wir ſehen ſie alſo in der moraliſchen Welt ihre bisherige Ordnung verlaſſen, ja ſogar mit ſich ſelbſt in einen anſcheinenden Streit gerathen. In jedem moraliſchen Weſen legt ſie ein neues Cen¬ trum an, einen Staat im Staate, gleichſam als hätte ſie ihren allgemeinen Zweck ganz aus den Au¬ gen verloren. Gegen dieſes Centrum müſſen ſich alle Thätigkeiten dieſes Weſens mit einem Zwange neigen, wie ſie ihn in der phyſiſchen Welt durch die Schwerkraft ausübt. Dieſes Weſen iſt auf die Art in ſich ſelbſt gegründet, ein wahres und wirk¬ liches Ganze, durch dieſen Fall zu ſeinem Centrum dazu gebildet, eben ſo wie der Planet der Erde durch die Schwerkraft zur Kugel ward, und als Kugel fortdauert. Bis hieher ſcheint ſie ſich ſelbſt ganz vergeſſen zu haben.“
„Aber wir haben gehört, daß dieſes Weſen nur vorhanden iſt, um die moraliſchen Erſcheinungen hervor zu bringen, deren ſie bedurfte; die Frey¬ heit dieſes Weſens, oder ſein Vermögen ſich ſelbſt zu bewegen, mußte alſo dem Zweck unterworfen werden, zu welchem ſie es beſtimmte. Wollte ſie alſo über die Wirkungen Meiſter bleiben, die es leiſtete, ſo mußte ſie ſich des Principiums bemäch¬ tigen, wornach ſich das moraliſche Weſen beweget. Was konnte ſie daher anders thun, als ihren Zweck mit dieſem Weſen an das Principium an¬ ſchließen, wodurch es regiert wird, oder mit andern Worten, ſeine zweckmäßige Thätigkeit zur noth¬ wendigen Bedingung ſeiner Glückſeligkeit ma¬ chen?“
Das
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„Wir ſehen ſie alſo in der moraliſchen Welt
ihre bisherige Ordnung verlaſſen, ja ſogar mit
ſich ſelbſt in einen anſcheinenden Streit gerathen.
In jedem moraliſchen Weſen legt ſie ein neues Cen¬
trum an, einen Staat im Staate, gleichſam als
hätte ſie ihren allgemeinen Zweck ganz aus den Au¬
gen verloren. Gegen dieſes Centrum müſſen ſich
alle Thätigkeiten dieſes Weſens mit einem Zwange
neigen, wie ſie ihn in der phyſiſchen Welt durch
die Schwerkraft ausübt. Dieſes Weſen iſt auf die
Art in ſich ſelbſt gegründet, ein wahres und wirk¬
liches Ganze, durch dieſen Fall zu ſeinem Centrum
dazu gebildet, eben ſo wie der Planet der Erde
durch die Schwerkraft zur Kugel ward, und als
Kugel fortdauert. Bis hieher ſcheint ſie ſich ſelbſt
ganz vergeſſen zu haben.“
„Aber wir haben gehört, daß dieſes Weſen nur
vorhanden iſt, um die moraliſchen Erſcheinungen
hervor zu bringen, deren ſie bedurfte; die Frey¬
heit dieſes Weſens, oder ſein Vermögen ſich ſelbſt
zu bewegen, mußte alſo dem Zweck unterworfen
werden, zu welchem ſie es beſtimmte. Wollte ſie
alſo über die Wirkungen Meiſter bleiben, die es
leiſtete, ſo mußte ſie ſich des Principiums bemäch¬
tigen, wornach ſich das moraliſche Weſen beweget.
Was konnte ſie daher anders thun, als ihren
Zweck mit dieſem Weſen an das Principium an¬
ſchließen, wodurch es regiert wird, oder mit andern
Worten, ſeine zweckmäßige Thätigkeit zur noth¬
wendigen Bedingung ſeiner Glückſeligkeit ma¬
chen?“
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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/141>, abgerufen am 16.02.2025.
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