Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite

ne Neugier, und sezten durch seltsame Vermum¬
mungen die gespannten Phantasien in Erstau¬
nen. Eine tiefe Stille herrscht hinter dieser Decke,
keiner, der einmal dahinter ist, antwortet hinter
ihr hervor, alles was man hörte, war ein hohler
Wiederschall der Frage, als ob man in eine Gruft
gerufen hätte. Hinter diese Decke müssen alle, und
mir Schaudern fassen sie sie an, ungewiß, wer
wohl dahinter stehe, und sie in Empfang nehmen
werde, quid fit fit, quod tantum morituri vident.
Freylich gab es auch Ungläubige darunter, die be¬
haupteten, daß diese Decke die Menschen nur narre,
und daß man nichts beobachtet hätte, weil auch
nichts dahinter sey; aber um sie zu überweisen,
schickte man sie eilig dahinter."

Ein rascher Schluß war es immer, wenn
sie keinen bessern Grund hatten, als weil sie nichts
sahen.

"Sehen Sie nun, lieber Freund, ich bescheide
mich gern, nicht hinter diese Decke blicken zu wol¬
len -- und das weiseste wird doch wohl seyn, mich
von aller Neugier zu entwöhnen. Aber indem ich
diesen unüberschreitbaren Kreis um mich ziehe, und
mein ganzes Seyn in die Schranken der Gegen¬
wart einschließe, wird mir dieser kleine Fleck desto
wichtiger, den ich schon über eiteln Eroberungs¬
gedanken zu vernachlässigen in Gefahr war. Das,
was Sie den Zweck meines Daseyns nennen, geht
mich jezt nichts mehr an. Ich kann mich ihm nicht

entzie¬
J 5

ne Neugier, und ſezten durch ſeltſame Vermum¬
mungen die geſpannten Phantaſien in Erſtau¬
nen. Eine tiefe Stille herrſcht hinter dieſer Decke,
keiner, der einmal dahinter iſt, antwortet hinter
ihr hervor, alles was man hörte, war ein hohler
Wiederſchall der Frage, als ob man in eine Gruft
gerufen hätte. Hinter dieſe Decke müſſen alle, und
mir Schaudern faſſen ſie ſie an, ungewiß, wer
wohl dahinter ſtehe, und ſie in Empfang nehmen
werde, quid fit fit, quod tantum morituri vident.
Freylich gab es auch Ungläubige darunter, die be¬
haupteten, daß dieſe Decke die Menſchen nur narre,
und daß man nichts beobachtet hätte, weil auch
nichts dahinter ſey; aber um ſie zu überweiſen,
ſchickte man ſie eilig dahinter.“

Ein raſcher Schluß war es immer, wenn
ſie keinen beſſern Grund hatten, als weil ſie nichts
ſahen.

„Sehen Sie nun, lieber Freund, ich beſcheide
mich gern, nicht hinter dieſe Decke blicken zu wol¬
len — und das weiſeſte wird doch wohl ſeyn, mich
von aller Neugier zu entwöhnen. Aber indem ich
dieſen unüberſchreitbaren Kreis um mich ziehe, und
mein ganzes Seyn in die Schranken der Gegen¬
wart einſchließe, wird mir dieſer kleine Fleck deſto
wichtiger, den ich ſchon über eiteln Eroberungs¬
gedanken zu vernachläſſigen in Gefahr war. Das,
was Sie den Zweck meines Daſeyns nennen, geht
mich jezt nichts mehr an. Ich kann mich ihm nicht

entzie¬
J 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0145" n="137"/>
ne Neugier, und &#x017F;ezten durch &#x017F;elt&#x017F;ame Vermum¬<lb/>
mungen die ge&#x017F;pannten Phanta&#x017F;ien in Er&#x017F;tau¬<lb/>
nen. Eine tiefe Stille herr&#x017F;cht hinter die&#x017F;er Decke,<lb/>
keiner, der einmal dahinter i&#x017F;t, antwortet hinter<lb/>
ihr hervor, alles was man hörte, war ein hohler<lb/>
Wieder&#x017F;chall der Frage, als ob man in eine Gruft<lb/>
gerufen hätte. Hinter die&#x017F;e Decke mü&#x017F;&#x017F;en alle, und<lb/>
mir Schaudern fa&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie &#x017F;ie an, ungewiß, wer<lb/>
wohl dahinter &#x017F;tehe, und &#x017F;ie in Empfang nehmen<lb/>
werde, <hi rendition="#aq">quid fit fit</hi>, <hi rendition="#aq">quod tantum morituri vident.</hi><lb/>
Freylich gab es auch Ungläubige darunter, die be¬<lb/>
haupteten, daß die&#x017F;e Decke die Men&#x017F;chen nur narre,<lb/>
und daß man nichts beobachtet hätte, weil auch<lb/>
nichts dahinter &#x017F;ey; aber um &#x017F;ie zu überwei&#x017F;en,<lb/>
&#x017F;chickte man &#x017F;ie eilig dahinter.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Ein ra&#x017F;cher Schluß war es immer, wenn<lb/>
&#x017F;ie keinen be&#x017F;&#x017F;ern Grund hatten, als weil &#x017F;ie nichts<lb/>
&#x017F;ahen.</p><lb/>
            <p>&#x201E;Sehen Sie nun, lieber Freund, ich be&#x017F;cheide<lb/>
mich gern, nicht hinter die&#x017F;e Decke blicken zu wol¬<lb/>
len &#x2014; und das wei&#x017F;e&#x017F;te wird doch wohl &#x017F;eyn, mich<lb/>
von aller Neugier zu entwöhnen. Aber indem ich<lb/>
die&#x017F;en unüber&#x017F;chreitbaren Kreis um mich ziehe, und<lb/>
mein ganzes Seyn in die Schranken der Gegen¬<lb/>
wart ein&#x017F;chließe, wird mir die&#x017F;er kleine Fleck de&#x017F;to<lb/>
wichtiger, den ich &#x017F;chon über eiteln Eroberungs¬<lb/>
gedanken zu vernachlä&#x017F;&#x017F;igen in Gefahr war. Das,<lb/>
was Sie den Zweck meines Da&#x017F;eyns nennen, geht<lb/>
mich jezt nichts mehr an. Ich kann mich ihm nicht<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">J 5<lb/></fw> <fw place="bottom" type="catch">entzie¬<lb/></fw>
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[137/0145] ne Neugier, und ſezten durch ſeltſame Vermum¬ mungen die geſpannten Phantaſien in Erſtau¬ nen. Eine tiefe Stille herrſcht hinter dieſer Decke, keiner, der einmal dahinter iſt, antwortet hinter ihr hervor, alles was man hörte, war ein hohler Wiederſchall der Frage, als ob man in eine Gruft gerufen hätte. Hinter dieſe Decke müſſen alle, und mir Schaudern faſſen ſie ſie an, ungewiß, wer wohl dahinter ſtehe, und ſie in Empfang nehmen werde, quid fit fit, quod tantum morituri vident. Freylich gab es auch Ungläubige darunter, die be¬ haupteten, daß dieſe Decke die Menſchen nur narre, und daß man nichts beobachtet hätte, weil auch nichts dahinter ſey; aber um ſie zu überweiſen, ſchickte man ſie eilig dahinter.“ Ein raſcher Schluß war es immer, wenn ſie keinen beſſern Grund hatten, als weil ſie nichts ſahen. „Sehen Sie nun, lieber Freund, ich beſcheide mich gern, nicht hinter dieſe Decke blicken zu wol¬ len — und das weiſeſte wird doch wohl ſeyn, mich von aller Neugier zu entwöhnen. Aber indem ich dieſen unüberſchreitbaren Kreis um mich ziehe, und mein ganzes Seyn in die Schranken der Gegen¬ wart einſchließe, wird mir dieſer kleine Fleck deſto wichtiger, den ich ſchon über eiteln Eroberungs¬ gedanken zu vernachläſſigen in Gefahr war. Das, was Sie den Zweck meines Daſeyns nennen, geht mich jezt nichts mehr an. Ich kann mich ihm nicht entzie¬ J 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/145
Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/145>, abgerufen am 21.11.2024.