Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789."Das fürcht' ich nicht. Wäre das, so wollte Lehrt uns nicht die Erfahrung, daß oft die wich¬ "Sehen Sie," rief der Prinz mit Verdrusse, nen
„Das fürcht' ich nicht. Wäre das, ſo wollte Lehrt uns nicht die Erfahrung, daß oft die wich¬ „Sehen Sie,“ rief der Prinz mit Verdruſſe, nen
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„Das fürcht' ich nicht. Wäre das, ſo wollte
ich ſogleich gegen Sie verloren haben. Das Gefühl
des moraliſchen Unterſchiedes iſt mir eine weit wich
tigere Inſtanz als meine Vernunft — und nur
alsdann fing ich an die leztere zu glauben, da ich ſie
mit jedem unvertilgbaren Gefühle übereinſtimmend
fand. Ihre Moralität bedarf einer Stütze, die
meinige ruht auf ihrer eigenen Achſe.“
Lehrt uns nicht die Erfahrung, daß oft die wich¬
tigſten Rollen durch die mittelmäßigſten Spieler ge¬
ſpielt werden, daß die Natur die heilſamſten Re¬
volutionen durch die ſchädlichſten Subjekte voll¬
bringt? Ein Mahomed, ein Attila, ein Aurang¬
zeb ſind ſo wirkſame Diener des Univerſums, als
Gewitter, Erdbeben, Vulkane koſtbare Werkzeuge
der phyſiſchen Natur. Ein Deſpot auf dem Thron,
der jede Stunde ſeiner Regierung mit Blut und
Elend bezeichnet, wäre alſo ein weit würdigeres
Glied ihrer Schöpfung, als der Feldbauer in ſei¬
nen Ländern, weil er ein wirkſameres iſt — ja
was das Traurigſte iſt, er wäre eben durch das
vortrefflicher, was ihn zum Gegenſtande unſers
Abſcheues macht, durch die größre Summe ſeiner
Thaten, die alle fluchwürdig ſind — er hätte in
eben dem Grade einen größern Anſpruch auf den
Namen eines vortrefflichen Menſche_, als er unter
die Menſchheit herabſinkt. Laſter und Tugend —
„Sehen Sie,“ rief der Prinz mit Verdruſſe,
„wie Sie ſich von der Oberfläche hintergehen laſſen,
und wie leicht Sie mir gewonnen gehen! Wie kön¬
nen
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