Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite

nen Sie behaupten, daß ein verwüstendes Le¬
ben ein thätiges Leben sey? Der Despot ist das
unnützlichste Geschöpf in seinen Staaten, weil er
durch Furcht und Sorge die thätigsten Kräfte bin¬
det, und die schöpferische Freude erstickt. Sein
ganzes Daseyn ist eine fürchterliche Negative; und
wenn er gar an das edelste, heiligste Leben greift,
und die Freyheit des Denkens zerstört -- hundert¬
tausend thätige Menschen ersetzen in einem Jahr¬
hunderte nicht, was ein Hildebrand, ein Phi¬
lipp von Spanien in wenig Jahren verwüsteten.
Wie können Sie diese Geschöpfe und Schöpfer der
Verwesung durch Vergleichung mit jenen wohlthä¬
tigen Werkzeugen des Lebens und der Fruchtbarkeit
ehren?"

Ich gestehe die Schwäche meines Einwurfs --
Aber setzen wir anstatt eines Philipps einen Peter
den Großen auf den Thron, so können Sie doch
nicht läugnen, daß dieser in seiner Monarchie wirk¬
samer sey, als der Privatmann bey dem nehmlichen
Maß von Kräften und aller Thätigkeit, deren er
fähig ist. Das Glück ist es also doch, was nach
Ihrem Systeme die Grade der Vortrefflichkeit be¬
stimmt, weil es die Gelegenheiten zum Wirken
vertheilet!

"Der Thron wäre also nach Ihrer Meynung
vorzugsweise eine solche Gelegenheit? Sagen Sie
mir doch -- wenn der König regieret, was thut
der Philosoph in seinen Reichen?"

Er denkt.

"Und

nen Sie behaupten, daß ein verwüſtendes Le¬
ben ein thätiges Leben ſey? Der Deſpot iſt das
unnützlichſte Geſchöpf in ſeinen Staaten, weil er
durch Furcht und Sorge die thätigſten Kräfte bin¬
det, und die ſchöpferiſche Freude erſtickt. Sein
ganzes Daſeyn iſt eine fürchterliche Negative; und
wenn er gar an das edelſte, heiligſte Leben greift,
und die Freyheit des Denkens zerſtört — hundert¬
tauſend thätige Menſchen erſetzen in einem Jahr¬
hunderte nicht, was ein Hildebrand, ein Phi¬
lipp von Spanien in wenig Jahren verwüſteten.
Wie können Sie dieſe Geſchöpfe und Schöpfer der
Verweſung durch Vergleichung mit jenen wohlthä¬
tigen Werkzeugen des Lebens und der Fruchtbarkeit
ehren?“

Ich geſtehe die Schwäche meines Einwurfs —
Aber ſetzen wir anſtatt eines Philipps einen Peter
den Großen auf den Thron, ſo können Sie doch
nicht läugnen, daß dieſer in ſeiner Monarchie wirk¬
ſamer ſey, als der Privatmann bey dem nehmlichen
Maß von Kräften und aller Thätigkeit, deren er
fähig iſt. Das Glück iſt es alſo doch, was nach
Ihrem Syſteme die Grade der Vortrefflichkeit be¬
ſtimmt, weil es die Gelegenheiten zum Wirken
vertheilet!

„Der Thron wäre alſo nach Ihrer Meynung
vorzugsweiſe eine ſolche Gelegenheit? Sagen Sie
mir doch — wenn der König regieret, was thut
der Philoſoph in ſeinen Reichen?“

Er denkt.

„Und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0149" n="141"/>
nen Sie behaupten, daß ein <hi rendition="#g">verwü&#x017F;tendes</hi> Le¬<lb/>
ben ein <hi rendition="#g">thätiges</hi> Leben &#x017F;ey? Der De&#x017F;pot i&#x017F;t das<lb/>
unnützlich&#x017F;te Ge&#x017F;chöpf in &#x017F;einen Staaten, weil er<lb/>
durch Furcht und Sorge die thätig&#x017F;ten Kräfte bin¬<lb/>
det, und die &#x017F;chöpferi&#x017F;che Freude er&#x017F;tickt. Sein<lb/>
ganzes Da&#x017F;eyn i&#x017F;t eine fürchterliche Negative; und<lb/>
wenn er gar an das edel&#x017F;te, heilig&#x017F;te Leben greift,<lb/>
und die Freyheit des Denkens zer&#x017F;tört &#x2014; hundert¬<lb/>
tau&#x017F;end thätige Men&#x017F;chen er&#x017F;etzen in einem Jahr¬<lb/>
hunderte nicht, was <hi rendition="#g">ein</hi> Hildebrand, <hi rendition="#g">ein</hi> Phi¬<lb/>
lipp von Spanien in wenig Jahren verwü&#x017F;teten.<lb/>
Wie können Sie die&#x017F;e Ge&#x017F;chöpfe und Schöpfer der<lb/>
Verwe&#x017F;ung durch Vergleichung mit jenen wohlthä¬<lb/>
tigen Werkzeugen des Lebens und der Fruchtbarkeit<lb/>
ehren?&#x201C;</p><lb/>
            <p>Ich ge&#x017F;tehe die Schwäche meines Einwurfs &#x2014;<lb/>
Aber &#x017F;etzen wir an&#x017F;tatt eines Philipps einen Peter<lb/>
den Großen auf den Thron, &#x017F;o können Sie doch<lb/>
nicht läugnen, daß die&#x017F;er in &#x017F;einer Monarchie wirk¬<lb/>
&#x017F;amer &#x017F;ey, als der Privatmann bey dem nehmlichen<lb/>
Maß von Kräften und aller Thätigkeit, deren er<lb/>
fähig i&#x017F;t. Das Glück i&#x017F;t es al&#x017F;o doch, was nach<lb/>
Ihrem Sy&#x017F;teme die Grade der Vortrefflichkeit be¬<lb/>
&#x017F;timmt, weil es die Gelegenheiten zum Wirken<lb/>
vertheilet!</p><lb/>
            <p>&#x201E;Der Thron wäre al&#x017F;o nach Ihrer Meynung<lb/>
vorzugswei&#x017F;e eine &#x017F;olche Gelegenheit? Sagen Sie<lb/>
mir doch &#x2014; wenn der König regieret, was thut<lb/>
der Philo&#x017F;oph in &#x017F;einen Reichen?&#x201C;</p><lb/>
            <p>Er denkt.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">&#x201E;Und<lb/></fw>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[141/0149] nen Sie behaupten, daß ein verwüſtendes Le¬ ben ein thätiges Leben ſey? Der Deſpot iſt das unnützlichſte Geſchöpf in ſeinen Staaten, weil er durch Furcht und Sorge die thätigſten Kräfte bin¬ det, und die ſchöpferiſche Freude erſtickt. Sein ganzes Daſeyn iſt eine fürchterliche Negative; und wenn er gar an das edelſte, heiligſte Leben greift, und die Freyheit des Denkens zerſtört — hundert¬ tauſend thätige Menſchen erſetzen in einem Jahr¬ hunderte nicht, was ein Hildebrand, ein Phi¬ lipp von Spanien in wenig Jahren verwüſteten. Wie können Sie dieſe Geſchöpfe und Schöpfer der Verweſung durch Vergleichung mit jenen wohlthä¬ tigen Werkzeugen des Lebens und der Fruchtbarkeit ehren?“ Ich geſtehe die Schwäche meines Einwurfs — Aber ſetzen wir anſtatt eines Philipps einen Peter den Großen auf den Thron, ſo können Sie doch nicht läugnen, daß dieſer in ſeiner Monarchie wirk¬ ſamer ſey, als der Privatmann bey dem nehmlichen Maß von Kräften und aller Thätigkeit, deren er fähig iſt. Das Glück iſt es alſo doch, was nach Ihrem Syſteme die Grade der Vortrefflichkeit be¬ ſtimmt, weil es die Gelegenheiten zum Wirken vertheilet! „Der Thron wäre alſo nach Ihrer Meynung vorzugsweiſe eine ſolche Gelegenheit? Sagen Sie mir doch — wenn der König regieret, was thut der Philoſoph in ſeinen Reichen?“ Er denkt. „Und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/149
Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/149>, abgerufen am 24.11.2024.