Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.floß in reitzender Unordnung weit über den Rücken Mit der Madonna, von der der Prinz hier in
floß in reitzender Unordnung weit über den Rücken Mit der Madonna, von der der Prinz hier in
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0180" n="172"/> floß in reitzender Unordnung weit über den Rücken<lb/> hinab — eine Hand lag an dem Crucifixe, und<lb/> ſanft hinſinkend ruhte ſie auf der andern. Aber<lb/> wo finde ich Worte, Ihnen das himmliſchſchöne<lb/> Angeſicht zu beſchreiben, wo eine Engelſeele, wie<lb/> auf ihrem Thronenſitz, die ganze Fülle ihrer Reitze<lb/> ausbreitete? Die Abendſonne ſpielte darauf, und<lb/> ihr luftiges Gold ſchien es mit einer künſtlichen<lb/> Glorie zu umgeben. Können Sie Sich die Ma¬<lb/> donna unſers Florentiners zurück rufen? — Hier<lb/> war ſie ganz, ganz bis auf die unregelmäßigen<lb/> Eigenheiten, die ich an jenem Bilde ſo anziehend,<lb/> ſo unwiderſtehlich fand.“</p><lb/> <p>Mit der Madonna, von der der Prinz hier<lb/> ſpricht, verhält es ſich ſo. Kurz nachdem Sie ab¬<lb/> gereiſet waren, lernte er einen florentiniſchen Mahler<lb/> hier kennen, der nach Venedig berufen worden war,<lb/> um für eine Kirche, deren ich mich nicht mehr ent¬<lb/> ſinne, ein Altarblatt zu mahlen. Er hatte drey<lb/> andere Gemählde mitgebracht, die er für die Gal¬<lb/> lerie im Kornariſchen Pallaſte beſtimmt hatte. Die<lb/> Gemählde waren eine Madonna, eine Heloiſe,<lb/> und eine faſt ganz unbekleidete Venus — alle drey<lb/> von ausnehmender Schönheit, und bey der höch¬<lb/> ſten Verſchiedenheit am Werthe einander ſo gleich,<lb/> daß es beynahe unmöglich war, ſich für eines von<lb/> den dreyen ausſchließend zu entſcheiden. Nur der<lb/> Prinz blieb nicht einen Augenblick unſchlüſſig; man<lb/> hatte ſie kaum vor ihm ausgeſtellt, als das Ma¬<lb/> donnaſtück ſeine ganze Aufmerkſamkeit an ſich zog;<lb/> <fw place="bottom" type="catch">in<lb/></fw> </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [172/0180]
floß in reitzender Unordnung weit über den Rücken
hinab — eine Hand lag an dem Crucifixe, und
ſanft hinſinkend ruhte ſie auf der andern. Aber
wo finde ich Worte, Ihnen das himmliſchſchöne
Angeſicht zu beſchreiben, wo eine Engelſeele, wie
auf ihrem Thronenſitz, die ganze Fülle ihrer Reitze
ausbreitete? Die Abendſonne ſpielte darauf, und
ihr luftiges Gold ſchien es mit einer künſtlichen
Glorie zu umgeben. Können Sie Sich die Ma¬
donna unſers Florentiners zurück rufen? — Hier
war ſie ganz, ganz bis auf die unregelmäßigen
Eigenheiten, die ich an jenem Bilde ſo anziehend,
ſo unwiderſtehlich fand.“
Mit der Madonna, von der der Prinz hier
ſpricht, verhält es ſich ſo. Kurz nachdem Sie ab¬
gereiſet waren, lernte er einen florentiniſchen Mahler
hier kennen, der nach Venedig berufen worden war,
um für eine Kirche, deren ich mich nicht mehr ent¬
ſinne, ein Altarblatt zu mahlen. Er hatte drey
andere Gemählde mitgebracht, die er für die Gal¬
lerie im Kornariſchen Pallaſte beſtimmt hatte. Die
Gemählde waren eine Madonna, eine Heloiſe,
und eine faſt ganz unbekleidete Venus — alle drey
von ausnehmender Schönheit, und bey der höch¬
ſten Verſchiedenheit am Werthe einander ſo gleich,
daß es beynahe unmöglich war, ſich für eines von
den dreyen ausſchließend zu entſcheiden. Nur der
Prinz blieb nicht einen Augenblick unſchlüſſig; man
hatte ſie kaum vor ihm ausgeſtellt, als das Ma¬
donnaſtück ſeine ganze Aufmerkſamkeit an ſich zog;
in
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |