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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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Todeskampf abrufen. Niemand weiß wo er dann
hingehet, noch was er da verrichtet. Niemand
wagt es, ihn darum zu befragen, noch weniger
ihm zu folgen, denn seine Gesichtszüge ziehen sich
auf einmal, sobald diese gefürchtete Stunde schlägt,
in einen so finstern und schreckhaften Ernst zusam¬
men, daß jedem der Muth entfällt, ihm in's Ge¬
sicht zu blicken, oder ihn anzureden. Eine tiefe
Todesstille endigt dann plötzlich das lebhafteste
Gespräch, und alle, die um ihn sind, erwarten
mit ehrerbietigem Schaudern seine Wiederkunft,
ohne es nur zu wagen, sich von der Stelle zu he¬
ben, oder die Thüre zu öffnen, durch die er gegan¬
gen ist."

"Aber," fragte einer von uns, "bemerkt man
nichts außerordentliches an ihm bey seiner Zurück¬
kunft?"

"Nichts als daß er bleich und abgemattet aus¬
sieht, ungefähr wie ein Mensch, der eine schmerz¬
hafte Operation ausgestanden, oder eine schreckliche
Zeitung erhält. Einige wollen Blutstropfen auf
seinem Hemde gesehen haben; dieses aber lasse ich
dahin gestellt seyn."

"Und hat man es zum wenigsten nie versucht,
ihm diese Stunde zu verbergen, oder ihn so in Zer¬
streuung zu verwickeln, daß er sie übersehen
mußte?"

"Ein einzigesmal, sagt man, überschritt er
den Termin. Die Gesellschaft war zahlreich, man
verspätete sich bis tief in die Nacht, alle Uhren
waren mit Fleiß falsch gerichtet, und das Feuer

der

Todeskampf abrufen. Niemand weiß wo er dann
hingehet, noch was er da verrichtet. Niemand
wagt es, ihn darum zu befragen, noch weniger
ihm zu folgen, denn ſeine Geſichtszüge ziehen ſich
auf einmal, ſobald dieſe gefürchtete Stunde ſchlägt,
in einen ſo finſtern und ſchreckhaften Ernſt zuſam¬
men, daß jedem der Muth entfällt, ihm in's Ge¬
ſicht zu blicken, oder ihn anzureden. Eine tiefe
Todesſtille endigt dann plötzlich das lebhafteſte
Geſpräch, und alle, die um ihn ſind, erwarten
mit ehrerbietigem Schaudern ſeine Wiederkunft,
ohne es nur zu wagen, ſich von der Stelle zu he¬
ben, oder die Thüre zu öffnen, durch die er gegan¬
gen iſt.“

„Aber,“ fragte einer von uns, „bemerkt man
nichts außerordentliches an ihm bey ſeiner Zurück¬
kunft?“

„Nichts als daß er bleich und abgemattet aus¬
ſieht, ungefähr wie ein Menſch, der eine ſchmerz¬
hafte Operation ausgeſtanden, oder eine ſchreckliche
Zeitung erhält. Einige wollen Blutstropfen auf
ſeinem Hemde geſehen haben; dieſes aber laſſe ich
dahin geſtellt ſeyn.“

„Und hat man es zum wenigſten nie verſucht,
ihm dieſe Stunde zu verbergen, oder ihn ſo in Zer¬
ſtreuung zu verwickeln, daß er ſie überſehen
mußte?“

„Ein einzigesmal, ſagt man, überſchritt er
den Termin. Die Geſellſchaft war zahlreich, man
verſpätete ſich bis tief in die Nacht, alle Uhren
waren mit Fleiß falſch gerichtet, und das Feuer

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[52/0060] Todeskampf abrufen. Niemand weiß wo er dann hingehet, noch was er da verrichtet. Niemand wagt es, ihn darum zu befragen, noch weniger ihm zu folgen, denn ſeine Geſichtszüge ziehen ſich auf einmal, ſobald dieſe gefürchtete Stunde ſchlägt, in einen ſo finſtern und ſchreckhaften Ernſt zuſam¬ men, daß jedem der Muth entfällt, ihm in's Ge¬ ſicht zu blicken, oder ihn anzureden. Eine tiefe Todesſtille endigt dann plötzlich das lebhafteſte Geſpräch, und alle, die um ihn ſind, erwarten mit ehrerbietigem Schaudern ſeine Wiederkunft, ohne es nur zu wagen, ſich von der Stelle zu he¬ ben, oder die Thüre zu öffnen, durch die er gegan¬ gen iſt.“ „Aber,“ fragte einer von uns, „bemerkt man nichts außerordentliches an ihm bey ſeiner Zurück¬ kunft?“ „Nichts als daß er bleich und abgemattet aus¬ ſieht, ungefähr wie ein Menſch, der eine ſchmerz¬ hafte Operation ausgeſtanden, oder eine ſchreckliche Zeitung erhält. Einige wollen Blutstropfen auf ſeinem Hemde geſehen haben; dieſes aber laſſe ich dahin geſtellt ſeyn.“ „Und hat man es zum wenigſten nie verſucht, ihm dieſe Stunde zu verbergen, oder ihn ſo in Zer¬ ſtreuung zu verwickeln, daß er ſie überſehen mußte?“ „Ein einzigesmal, ſagt man, überſchritt er den Termin. Die Geſellſchaft war zahlreich, man verſpätete ſich bis tief in die Nacht, alle Uhren waren mit Fleiß falſch gerichtet, und das Feuer der

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/60>, abgerufen am 21.11.2024.