Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789."Fünf Jahre gehen in fruchtlosen Erkundigun¬ "So scheinbar diese Vermuthung war, so fehl¬ dem
„Fünf Jahre gehen in fruchtloſen Erkundigun¬ „So ſcheinbar dieſe Vermuthung war, ſo fehl¬ dem
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0066" n="58"/> <p>„Fünf Jahre gehen in fruchtloſen Erkundigun¬<lb/> gen hin. Nachfragen geſchehen längs der ganzen<lb/> barbariſchen Küſte; ungeheure Preiſe werden für<lb/> die Freiheit des jungen Marcheſe geboten; aber<lb/> niemand meldet ſich, ſie zu verdienen. Endlich<lb/> blieb es bey der wahrſcheinlichen Vermuthung, daß<lb/> jener Sturm, welcher beyde Fahrzeuge trennte, das<lb/> Räuberſchiff zu Grunde gerichtet habe, und daß<lb/> ſeine ganze Mannſchaft in den Fluthen umgekom¬<lb/> men ſey.“</p><lb/> <p>„So ſcheinbar dieſe Vermuthung war, ſo fehl¬<lb/> te ihr doch noch viel zur Gewißheit, und nichts be¬<lb/> rechtigte, die Hoffnung ganz aufzugeben, daß der<lb/> Verlorne nicht einmal wieder ſichtbar werden könn¬<lb/> te. Aber geſezt nun, er würde es nicht mehr, ſo<lb/> erloſch mit ihm zugleich die Familie, oder der<lb/> zweyte Bruder mußte dem geiſtlichen Stande entſa¬<lb/> gen, und in die Rechte des Erſtgebornen eintreten.<lb/> So wenig dieſes die Gerechtigkeit gegen den leztern<lb/> zu erlauben ſchien, ſo wenig durfte auf der andern<lb/> Seite die Familie durch eine zu weit getriebene Ge¬<lb/> wiſſenhaftigkeit der Gefahr des Ausſterbens ausge¬<lb/> ſezt werden. Gram und Alter näherten den alten<lb/> Marcheſe dem Grabe; mit jedem neu vereitelten<lb/> Verſuch ſank die Hoffnung, den Verſchwundenen<lb/> wieder zu finden; er ſah den Untergang ſeines Hau¬<lb/> ſes, der durch eine kleine Ungerechtigkeit zu verhü¬<lb/> ten war, wenn er ſich nehmlich nur entſchließen<lb/> wollte, den jüngern Bruder auf Unkoſten des äl¬<lb/> tern zu begünſtigen. Um ſeine Verbindungen mit<lb/> <fw place="bottom" type="catch">dem<lb/></fw> </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [58/0066]
„Fünf Jahre gehen in fruchtloſen Erkundigun¬
gen hin. Nachfragen geſchehen längs der ganzen
barbariſchen Küſte; ungeheure Preiſe werden für
die Freiheit des jungen Marcheſe geboten; aber
niemand meldet ſich, ſie zu verdienen. Endlich
blieb es bey der wahrſcheinlichen Vermuthung, daß
jener Sturm, welcher beyde Fahrzeuge trennte, das
Räuberſchiff zu Grunde gerichtet habe, und daß
ſeine ganze Mannſchaft in den Fluthen umgekom¬
men ſey.“
„So ſcheinbar dieſe Vermuthung war, ſo fehl¬
te ihr doch noch viel zur Gewißheit, und nichts be¬
rechtigte, die Hoffnung ganz aufzugeben, daß der
Verlorne nicht einmal wieder ſichtbar werden könn¬
te. Aber geſezt nun, er würde es nicht mehr, ſo
erloſch mit ihm zugleich die Familie, oder der
zweyte Bruder mußte dem geiſtlichen Stande entſa¬
gen, und in die Rechte des Erſtgebornen eintreten.
So wenig dieſes die Gerechtigkeit gegen den leztern
zu erlauben ſchien, ſo wenig durfte auf der andern
Seite die Familie durch eine zu weit getriebene Ge¬
wiſſenhaftigkeit der Gefahr des Ausſterbens ausge¬
ſezt werden. Gram und Alter näherten den alten
Marcheſe dem Grabe; mit jedem neu vereitelten
Verſuch ſank die Hoffnung, den Verſchwundenen
wieder zu finden; er ſah den Untergang ſeines Hau¬
ſes, der durch eine kleine Ungerechtigkeit zu verhü¬
ten war, wenn er ſich nehmlich nur entſchließen
wollte, den jüngern Bruder auf Unkoſten des äl¬
tern zu begünſtigen. Um ſeine Verbindungen mit
dem
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