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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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uns auf ewig entrissen, wodurch können wir sein
Andenken besser ehren, als wenn wir die Lücke
ewig unausgefüllt lassen, die sein Tod in unsern
Zirkel gerissen hat? als wenn wir alle unsre Hoff¬
nungen auf seinem Grabe opfern, und das, was
sein war, gleich einem Heiligthum unberührt
lassen?"

"Aber alle Gründe, welche die brüderliche De¬
likatesse ausfand, waren nicht vermögend, den al¬
ten Marchese mit der Idee auszusöhnen, einen
Stamm erlöschen zu sehen, der bereits neun Jahr¬
hunderte geblüht. Alles, was Lorenzo ihm abgewann,
war noch eine Frist von zwey Jahren, ehe er die
Braut seines Bruders zum Altare führte. Während
dieses Zeitraums wurden die Nachforschungen auf's
eifrigste fortgesezt. Lorenzo selbst that verschiedene
Seereisen, sezte seine Person manchen Gefahren
aus; keine Mühe, keine Kosten wurden gespart,
den Verschwundenen wieder zu finden. Aber auch
diese zwey Jahre verstrichen fruchtlos, wie alle vo¬
rigen."

"Und Gräfinn Antonie?" fragte der Prinz.
"Von ihrem Zustande sagen Sie uns nichts. Soll¬
te sie sich so gelassen in ihr Schicksal ergeben haben?
Ich kann es nicht glauben."

"Antoniens Zustand war der schrecklichste Kampf
zwischen Pflicht und Neigung, Haß und Bewunde¬
rung. Die uneigennützige Großmuth der brüderli¬
chen Liebe rührte sie; sie fühlte sich hingerissen,
den Mann zu verehren, den sie nimmermehr lie¬

ben

uns auf ewig entriſſen, wodurch können wir ſein
Andenken beſſer ehren, als wenn wir die Lücke
ewig unausgefüllt laſſen, die ſein Tod in unſern
Zirkel geriſſen hat? als wenn wir alle unſre Hoff¬
nungen auf ſeinem Grabe opfern, und das, was
ſein war, gleich einem Heiligthum unberührt
laſſen?“

„Aber alle Gründe, welche die brüderliche De¬
likateſſe ausfand, waren nicht vermögend, den al¬
ten Marcheſe mit der Idee auszuſöhnen, einen
Stamm erlöſchen zu ſehen, der bereits neun Jahr¬
hunderte geblüht. Alles, was Lorenzo ihm abgewann,
war noch eine Friſt von zwey Jahren, ehe er die
Braut ſeines Bruders zum Altare führte. Während
dieſes Zeitraums wurden die Nachforſchungen auf's
eifrigſte fortgeſezt. Lorenzo ſelbſt that verſchiedene
Seereiſen, ſezte ſeine Perſon manchen Gefahren
aus; keine Mühe, keine Koſten wurden geſpart,
den Verſchwundenen wieder zu finden. Aber auch
dieſe zwey Jahre verſtrichen fruchtlos, wie alle vo¬
rigen.“

„Und Gräfinn Antonie?“ fragte der Prinz.
„Von ihrem Zuſtande ſagen Sie uns nichts. Soll¬
te ſie ſich ſo gelaſſen in ihr Schickſal ergeben haben?
Ich kann es nicht glauben.“

„Antoniens Zuſtand war der ſchrecklichſte Kampf
zwiſchen Pflicht und Neigung, Haß und Bewunde¬
rung. Die uneigennützige Großmuth der brüderli¬
chen Liebe rührte ſie; ſie fühlte ſich hingeriſſen,
den Mann zu verehren, den ſie nimmermehr lie¬

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[60/0068] uns auf ewig entriſſen, wodurch können wir ſein Andenken beſſer ehren, als wenn wir die Lücke ewig unausgefüllt laſſen, die ſein Tod in unſern Zirkel geriſſen hat? als wenn wir alle unſre Hoff¬ nungen auf ſeinem Grabe opfern, und das, was ſein war, gleich einem Heiligthum unberührt laſſen?“ „Aber alle Gründe, welche die brüderliche De¬ likateſſe ausfand, waren nicht vermögend, den al¬ ten Marcheſe mit der Idee auszuſöhnen, einen Stamm erlöſchen zu ſehen, der bereits neun Jahr¬ hunderte geblüht. Alles, was Lorenzo ihm abgewann, war noch eine Friſt von zwey Jahren, ehe er die Braut ſeines Bruders zum Altare führte. Während dieſes Zeitraums wurden die Nachforſchungen auf's eifrigſte fortgeſezt. Lorenzo ſelbſt that verſchiedene Seereiſen, ſezte ſeine Perſon manchen Gefahren aus; keine Mühe, keine Koſten wurden geſpart, den Verſchwundenen wieder zu finden. Aber auch dieſe zwey Jahre verſtrichen fruchtlos, wie alle vo¬ rigen.“ „Und Gräfinn Antonie?“ fragte der Prinz. „Von ihrem Zuſtande ſagen Sie uns nichts. Soll¬ te ſie ſich ſo gelaſſen in ihr Schickſal ergeben haben? Ich kann es nicht glauben.“ „Antoniens Zuſtand war der ſchrecklichſte Kampf zwiſchen Pflicht und Neigung, Haß und Bewunde¬ rung. Die uneigennützige Großmuth der brüderli¬ chen Liebe rührte ſie; ſie fühlte ſich hingeriſſen, den Mann zu verehren, den ſie nimmermehr lie¬ ben

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/68>, abgerufen am 21.11.2024.