Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite

ben konnte; zerrissen von widersprechenden Gefüh¬
len blutete ihr Herz. Aber ihr Widerwille gegen
den Chevalier schien in eben dem Grade zu wachsen,
wie sich seine Ansprüche auf ihre Achtung vermehr¬
ten. Mit tiefem Leiden bemerkte er den stillen
Gram, der ihre Jugend verzehrte. Ein zärtliches
Mitleid trat unvermerkt an die Stelle der Gleich¬
gültigkeit, mit der er sie bisher betrachtet hatte;
aber diese verrätherische Empfindung hinterging
ihn, und eine wüthende Leidenschaft fing an, ihm
die Ausübung einer Tugend zu erschweren, die bis
jezt ohne Beyspiel gewesen war. Doch selbst noch
auf Unkosten der Liebe gab er den Eingebungen sei¬
nes Edelmuths Gehör: er allein war es, der das
unglückliche Opfer gegen die Willkühr der Familie
in Schutz nahm. Aber alle seine Bemühungen mi߬
langen; jeder Sieg, den er über seine Leidenschaft
davon trug, zeigte ihn ihrer nur um so würdi¬
ger, und die Großmuth, mit der er sie ausschlug,
diente nur dazu, ihre Widersetzlichkeit jeder Ent¬
schuldigung zu berauben."

"So standen die Sachen, als der Chevalier
mich beredete, ihn auf seinem Landgute zu besu¬
chen Die warme Empfehlung meines Gönners
bereitete mir da einen Empfang, der alle meine
Wünsche übertraf. Ich darf nicht vergessen, hier
noch anzuführen, daß es mir durch einige merk¬
würdige Operationen gelungen war, meinen Na¬
men unter den dortigen Logen berühmt zu machen,
welches mit dazu beytragen mochte, das Vertrauen

des

ben konnte; zerriſſen von widerſprechenden Gefüh¬
len blutete ihr Herz. Aber ihr Widerwille gegen
den Chevalier ſchien in eben dem Grade zu wachſen,
wie ſich ſeine Anſprüche auf ihre Achtung vermehr¬
ten. Mit tiefem Leiden bemerkte er den ſtillen
Gram, der ihre Jugend verzehrte. Ein zärtliches
Mitleid trat unvermerkt an die Stelle der Gleich¬
gültigkeit, mit der er ſie bisher betrachtet hatte;
aber dieſe verrätheriſche Empfindung hinterging
ihn, und eine wüthende Leidenſchaft fing an, ihm
die Ausübung einer Tugend zu erſchweren, die bis
jezt ohne Beyſpiel geweſen war. Doch ſelbſt noch
auf Unkoſten der Liebe gab er den Eingebungen ſei¬
nes Edelmuths Gehör: er allein war es, der das
unglückliche Opfer gegen die Willkühr der Familie
in Schutz nahm. Aber alle ſeine Bemühungen mi߬
langen; jeder Sieg, den er über ſeine Leidenſchaft
davon trug, zeigte ihn ihrer nur um ſo würdi¬
ger, und die Großmuth, mit der er ſie ausſchlug,
diente nur dazu, ihre Widerſetzlichkeit jeder Ent¬
ſchuldigung zu berauben.“

„So ſtanden die Sachen, als der Chevalier
mich beredete, ihn auf ſeinem Landgute zu beſu¬
chen Die warme Empfehlung meines Gönners
bereitete mir da einen Empfang, der alle meine
Wünſche übertraf. Ich darf nicht vergeſſen, hier
noch anzuführen, daß es mir durch einige merk¬
würdige Operationen gelungen war, meinen Na¬
men unter den dortigen Logen berühmt zu machen,
welches mit dazu beytragen mochte, das Vertrauen

des
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0069" n="61"/>
ben konnte; zerri&#x017F;&#x017F;en von wider&#x017F;prechenden Gefüh¬<lb/>
len blutete ihr Herz. Aber ihr Widerwille gegen<lb/>
den Chevalier &#x017F;chien in eben dem Grade zu wach&#x017F;en,<lb/>
wie &#x017F;ich &#x017F;eine An&#x017F;prüche auf ihre Achtung vermehr¬<lb/>
ten. Mit tiefem Leiden bemerkte er den &#x017F;tillen<lb/>
Gram, der ihre Jugend verzehrte. Ein zärtliches<lb/>
Mitleid trat unvermerkt an die Stelle der Gleich¬<lb/>
gültigkeit, mit der er &#x017F;ie bisher betrachtet hatte;<lb/>
aber die&#x017F;e verrätheri&#x017F;che Empfindung hinterging<lb/>
ihn, und eine wüthende Leiden&#x017F;chaft fing an, ihm<lb/>
die Ausübung einer Tugend zu er&#x017F;chweren, die bis<lb/>
jezt ohne Bey&#x017F;piel gewe&#x017F;en war. Doch &#x017F;elb&#x017F;t noch<lb/>
auf Unko&#x017F;ten der Liebe gab er den Eingebungen &#x017F;ei¬<lb/>
nes Edelmuths Gehör: er allein war es, der das<lb/>
unglückliche Opfer gegen die Willkühr der Familie<lb/>
in Schutz nahm. Aber alle &#x017F;eine Bemühungen mi߬<lb/>
langen; jeder Sieg, den er über &#x017F;eine Leiden&#x017F;chaft<lb/>
davon trug, zeigte ihn ihrer nur um &#x017F;o würdi¬<lb/>
ger, und die Großmuth, mit der er &#x017F;ie aus&#x017F;chlug,<lb/>
diente nur dazu, ihre Wider&#x017F;etzlichkeit jeder Ent¬<lb/>
&#x017F;chuldigung zu berauben.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;So &#x017F;tanden die Sachen, als der Chevalier<lb/>
mich beredete, ihn auf &#x017F;einem Landgute zu be&#x017F;<lb/>
chen Die warme Empfehlung meines Gönners<lb/>
bereitete mir da einen Empfang, der alle meine<lb/>
Wün&#x017F;che übertraf. Ich darf nicht verge&#x017F;&#x017F;en, hier<lb/>
noch anzuführen, daß es mir durch einige merk¬<lb/>
würdige Operationen gelungen war, meinen Na¬<lb/>
men unter den dortigen Logen berühmt zu machen,<lb/>
welches mit dazu beytragen mochte, das Vertrauen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">des<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[61/0069] ben konnte; zerriſſen von widerſprechenden Gefüh¬ len blutete ihr Herz. Aber ihr Widerwille gegen den Chevalier ſchien in eben dem Grade zu wachſen, wie ſich ſeine Anſprüche auf ihre Achtung vermehr¬ ten. Mit tiefem Leiden bemerkte er den ſtillen Gram, der ihre Jugend verzehrte. Ein zärtliches Mitleid trat unvermerkt an die Stelle der Gleich¬ gültigkeit, mit der er ſie bisher betrachtet hatte; aber dieſe verrätheriſche Empfindung hinterging ihn, und eine wüthende Leidenſchaft fing an, ihm die Ausübung einer Tugend zu erſchweren, die bis jezt ohne Beyſpiel geweſen war. Doch ſelbſt noch auf Unkoſten der Liebe gab er den Eingebungen ſei¬ nes Edelmuths Gehör: er allein war es, der das unglückliche Opfer gegen die Willkühr der Familie in Schutz nahm. Aber alle ſeine Bemühungen mi߬ langen; jeder Sieg, den er über ſeine Leidenſchaft davon trug, zeigte ihn ihrer nur um ſo würdi¬ ger, und die Großmuth, mit der er ſie ausſchlug, diente nur dazu, ihre Widerſetzlichkeit jeder Ent¬ ſchuldigung zu berauben.“ „So ſtanden die Sachen, als der Chevalier mich beredete, ihn auf ſeinem Landgute zu beſu¬ chen Die warme Empfehlung meines Gönners bereitete mir da einen Empfang, der alle meine Wünſche übertraf. Ich darf nicht vergeſſen, hier noch anzuführen, daß es mir durch einige merk¬ würdige Operationen gelungen war, meinen Na¬ men unter den dortigen Logen berühmt zu machen, welches mit dazu beytragen mochte, das Vertrauen des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/69
Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/69>, abgerufen am 21.11.2024.