Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite

wer mit dem Bilde auf der Dose gemeynt sey? --
Setzen Sie hinzu -- was auch der Sicilianer an¬
merkte -- daß das Charakteristische des Marquis
in lauter solchen Gesichtszügen liegt, die sich auch
im Groben nachahmen lassen -- wo bleibt dann
das Unerklärbare in dieser ganzen Erscheinung?"

Aber der Inhalt seiner Worte? Der Aufschluß
über Ihren Freund?

"Wie? sagte uns denn der Sicilianer nicht,
daß er aus dem wenigen, was er mir abfragte, ei¬
ne ähnliche Geschichte zusammengesezt habe? Be¬
weis't dieses nicht, wie natürlich gerade auf diese
Erfindung zu fallen war? Ueberdieß klangen die
Antworten des Geistes so orakelmäßig dunkel, daß
er gar nicht Gefahr laufen konnte, auf einem Wi¬
derspruch betreten zu werden. Setzen Sie, daß
die Kreatur des Gauklers, die den Geist machte,
Scharfsinn und Besonnenheit besaß, und von den
Umständen nur ein wenig unterrichtet war -- wie
weit hätte diese Gaukeley nicht noch geführt wer¬
den können?"

Aber überlegen Sie, gnädigster Herr, wie
weitläuftig die Anstalten zu einem so zusammenge¬
sezten Betrug von Seiten des Armeniers hätten
seyn müssen! Wie viele Zeit dazu gehört haben
würde! Wie viele Zeit nur, einen menschlichen
Kopf einem andern so getreu nachzumahlen, als
hier vorausgesezt wird! Wie viele Zeit, diesen un¬
tergeschobenen Geist so gut zu unterrichten, daß man
vor einem groben Irrthum gesichert war! Wie vie¬
le Aufmerksamkeit die kleinen unnennbaren Neben¬

dinge
d. Geisterseher. F

wer mit dem Bilde auf der Doſe gemeynt ſey? —
Setzen Sie hinzu — was auch der Sicilianer an¬
merkte — daß das Charakteriſtiſche des Marquis
in lauter ſolchen Geſichtszügen liegt, die ſich auch
im Groben nachahmen laſſen — wo bleibt dann
das Unerklärbare in dieſer ganzen Erſcheinung?“

Aber der Inhalt ſeiner Worte? Der Aufſchluß
über Ihren Freund?

„Wie? ſagte uns denn der Sicilianer nicht,
daß er aus dem wenigen, was er mir abfragte, ei¬
ne ähnliche Geſchichte zuſammengeſezt habe? Be¬
weiſ't dieſes nicht, wie natürlich gerade auf dieſe
Erfindung zu fallen war? Ueberdieß klangen die
Antworten des Geiſtes ſo orakelmäßig dunkel, daß
er gar nicht Gefahr laufen konnte, auf einem Wi¬
derſpruch betreten zu werden. Setzen Sie, daß
die Kreatur des Gauklers, die den Geiſt machte,
Scharfſinn und Beſonnenheit beſaß, und von den
Umſtänden nur ein wenig unterrichtet war — wie
weit hätte dieſe Gaukeley nicht noch geführt wer¬
den können?“

Aber überlegen Sie, gnädigſter Herr, wie
weitläuftig die Anſtalten zu einem ſo zuſammenge¬
ſezten Betrug von Seiten des Armeniers hätten
ſeyn müſſen! Wie viele Zeit dazu gehört haben
würde! Wie viele Zeit nur, einen menſchlichen
Kopf einem andern ſo getreu nachzumahlen, als
hier vorausgeſezt wird! Wie viele Zeit, dieſen un¬
tergeſchobenen Geiſt ſo gut zu unterrichten, daß man
vor einem groben Irrthum geſichert war! Wie vie¬
le Aufmerkſamkeit die kleinen unnennbaren Neben¬

dinge
d. Geiſterſeher. F
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0089" n="81"/><hi rendition="#g">wer</hi> mit dem Bilde auf der Do&#x017F;e gemeynt &#x017F;ey? &#x2014;<lb/>
Setzen Sie hinzu &#x2014; was auch der Sicilianer an¬<lb/>
merkte &#x2014; daß das Charakteri&#x017F;ti&#x017F;che des Marquis<lb/>
in lauter &#x017F;olchen Ge&#x017F;ichtszügen liegt, die &#x017F;ich auch<lb/>
im Groben nachahmen la&#x017F;&#x017F;en &#x2014; wo bleibt dann<lb/>
das Unerklärbare in die&#x017F;er ganzen Er&#x017F;cheinung?&#x201C;</p><lb/>
          <p>Aber der Inhalt &#x017F;einer Worte? Der Auf&#x017F;chluß<lb/>
über Ihren Freund?</p><lb/>
          <p>&#x201E;Wie? &#x017F;agte uns denn der Sicilianer nicht,<lb/>
daß er aus dem wenigen, was er mir abfragte, ei¬<lb/>
ne ähnliche Ge&#x017F;chichte zu&#x017F;ammenge&#x017F;ezt habe? Be¬<lb/>
wei&#x017F;'t die&#x017F;es nicht, wie natürlich gerade auf die&#x017F;e<lb/>
Erfindung zu fallen war? Ueberdieß klangen die<lb/>
Antworten des Gei&#x017F;tes &#x017F;o orakelmäßig dunkel, daß<lb/>
er gar nicht Gefahr laufen konnte, auf einem Wi¬<lb/>
der&#x017F;pruch betreten zu werden. Setzen Sie, daß<lb/>
die Kreatur des Gauklers, die den Gei&#x017F;t machte,<lb/>
Scharf&#x017F;inn und Be&#x017F;onnenheit be&#x017F;aß, und von den<lb/>
Um&#x017F;tänden nur ein wenig unterrichtet war &#x2014; wie<lb/>
weit hätte die&#x017F;e Gaukeley nicht noch geführt wer¬<lb/>
den können?&#x201C;</p><lb/>
          <p>Aber überlegen Sie, gnädig&#x017F;ter Herr, wie<lb/>
weitläuftig die An&#x017F;talten zu einem &#x017F;o zu&#x017F;ammenge¬<lb/>
&#x017F;ezten Betrug von Seiten des Armeniers hätten<lb/>
&#x017F;eyn mü&#x017F;&#x017F;en! Wie viele Zeit dazu gehört haben<lb/>
würde! Wie viele Zeit nur, einen men&#x017F;chlichen<lb/>
Kopf einem andern &#x017F;o getreu nachzumahlen, als<lb/>
hier vorausge&#x017F;ezt wird! Wie viele Zeit, die&#x017F;en un¬<lb/>
terge&#x017F;chobenen Gei&#x017F;t &#x017F;o gut zu unterrichten, daß man<lb/>
vor einem groben Irrthum ge&#x017F;ichert war! Wie vie¬<lb/>
le Aufmerk&#x017F;amkeit die kleinen unnennbaren Neben¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">d. Gei&#x017F;ter&#x017F;eher. F<lb/></fw> <fw place="bottom" type="catch">dinge<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[81/0089] wer mit dem Bilde auf der Doſe gemeynt ſey? — Setzen Sie hinzu — was auch der Sicilianer an¬ merkte — daß das Charakteriſtiſche des Marquis in lauter ſolchen Geſichtszügen liegt, die ſich auch im Groben nachahmen laſſen — wo bleibt dann das Unerklärbare in dieſer ganzen Erſcheinung?“ Aber der Inhalt ſeiner Worte? Der Aufſchluß über Ihren Freund? „Wie? ſagte uns denn der Sicilianer nicht, daß er aus dem wenigen, was er mir abfragte, ei¬ ne ähnliche Geſchichte zuſammengeſezt habe? Be¬ weiſ't dieſes nicht, wie natürlich gerade auf dieſe Erfindung zu fallen war? Ueberdieß klangen die Antworten des Geiſtes ſo orakelmäßig dunkel, daß er gar nicht Gefahr laufen konnte, auf einem Wi¬ derſpruch betreten zu werden. Setzen Sie, daß die Kreatur des Gauklers, die den Geiſt machte, Scharfſinn und Beſonnenheit beſaß, und von den Umſtänden nur ein wenig unterrichtet war — wie weit hätte dieſe Gaukeley nicht noch geführt wer¬ den können?“ Aber überlegen Sie, gnädigſter Herr, wie weitläuftig die Anſtalten zu einem ſo zuſammenge¬ ſezten Betrug von Seiten des Armeniers hätten ſeyn müſſen! Wie viele Zeit dazu gehört haben würde! Wie viele Zeit nur, einen menſchlichen Kopf einem andern ſo getreu nachzumahlen, als hier vorausgeſezt wird! Wie viele Zeit, dieſen un¬ tergeſchobenen Geiſt ſo gut zu unterrichten, daß man vor einem groben Irrthum geſichert war! Wie vie¬ le Aufmerkſamkeit die kleinen unnennbaren Neben¬ dinge d. Geiſterſeher. F

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/89
Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/89>, abgerufen am 24.11.2024.