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Schiller, Friedrich: Kabale und Liebe. Mannheim, 1784.

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Ferdinand. Wie er da steht der Schmerzens-
sohn! -- Da steht, dem sechsten Schöpfungstag zum
Schimpfe! Als wenn ihn ein Tübinger Buchhändler
dem Allmächtigen nachgedrukt hätte! -- Schade nur,
ewig Schande für die Unze Gehirn, die so schlecht in
diesem undankbaren Schädel wuchert. Diese einzige
Unze hätte dem Pavian noch vollends zum Menschen
geholfen, da sie jezt nur einen Bruch von Vernunft
macht -- Und mit diesem ihr Herz zu theilen? --
Ungeheuer! Unverantwortlich! -- Einem Kerl,
mehr gemacht, von Sünden zu entwöhnen, als da-
zu anzureizen.

Hofmarschall. O! Gott sei ewig Dank! Er
wird wizig.

Ferdinand. Ich will ihn gelten lassen. Die
Toleranz, die der Raupe schont, soll auch diesem zu
gute kommen. Man begegnet ihm, zukt etwa die
Achsel, bewundert vielleicht noch die kluge Wirth-
schaft des Himmels, der auch mit Träbern und Bo-
densaz noch Kreaturen speißt; der dem Raben am
Hochgericht, und einem Höfling im Schlamme der
Majestäten den Tisch dekt -- Zulezt erstaunt man
noch über die große Polizei der Vorsicht, die auch
in der Geisterwelt ihre Blindschleichen und Taran-
deln zur Ausfuhr des Gifts besoldet. -- Aber (indem
seine Wut sich erneuert)
an meine Blume soll mir
das Ungeziefer nicht kriechen, oder ich will es (den
Marschall fassend und unsanft herumschüttelnd)
so und
so und wieder so durcheinander quetschen.
Hofmar-
G 5
Ferdinand. Wie er da ſteht der Schmerzens-
ſohn! — Da ſteht, dem ſechsten Schoͤpfungstag zum
Schimpfe! Als wenn ihn ein Tuͤbinger Buchhaͤndler
dem Allmaͤchtigen nachgedrukt haͤtte! — Schade nur,
ewig Schande fuͤr die Unze Gehirn, die ſo ſchlecht in
dieſem undankbaren Schaͤdel wuchert. Dieſe einzige
Unze haͤtte dem Pavian noch vollends zum Menſchen
geholfen, da ſie jezt nur einen Bruch von Vernunft
macht — Und mit dieſem ihr Herz zu theilen? —
Ungeheuer! Unverantwortlich! — Einem Kerl,
mehr gemacht, von Suͤnden zu entwoͤhnen, als da-
zu anzureizen.

Hofmarſchall. O! Gott ſei ewig Dank! Er
wird wizig.

Ferdinand. Ich will ihn gelten laſſen. Die
Toleranz, die der Raupe ſchont, ſoll auch dieſem zu
gute kommen. Man begegnet ihm, zukt etwa die
Achſel, bewundert vielleicht noch die kluge Wirth-
ſchaft des Himmels, der auch mit Traͤbern und Bo-
denſaz noch Kreaturen ſpeißt; der dem Raben am
Hochgericht, und einem Hoͤfling im Schlamme der
Majeſtaͤten den Tiſch dekt — Zulezt erſtaunt man
noch uͤber die große Polizei der Vorſicht, die auch
in der Geiſterwelt ihre Blindſchleichen und Taran-
deln zur Ausfuhr des Gifts beſoldet. — Aber (indem
ſeine Wut ſich erneuert)
an meine Blume ſoll mir
das Ungeziefer nicht kriechen, oder ich will es (den
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ſo und
ſo und wieder ſo durcheinander quetſchen.
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G 5
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[105/0109] Ferdinand. Wie er da ſteht der Schmerzens- ſohn! — Da ſteht, dem ſechsten Schoͤpfungstag zum Schimpfe! Als wenn ihn ein Tuͤbinger Buchhaͤndler dem Allmaͤchtigen nachgedrukt haͤtte! — Schade nur, ewig Schande fuͤr die Unze Gehirn, die ſo ſchlecht in dieſem undankbaren Schaͤdel wuchert. Dieſe einzige Unze haͤtte dem Pavian noch vollends zum Menſchen geholfen, da ſie jezt nur einen Bruch von Vernunft macht — Und mit dieſem ihr Herz zu theilen? — Ungeheuer! Unverantwortlich! — Einem Kerl, mehr gemacht, von Suͤnden zu entwoͤhnen, als da- zu anzureizen. Hofmarſchall. O! Gott ſei ewig Dank! Er wird wizig. Ferdinand. Ich will ihn gelten laſſen. Die Toleranz, die der Raupe ſchont, ſoll auch dieſem zu gute kommen. Man begegnet ihm, zukt etwa die Achſel, bewundert vielleicht noch die kluge Wirth- ſchaft des Himmels, der auch mit Traͤbern und Bo- denſaz noch Kreaturen ſpeißt; der dem Raben am Hochgericht, und einem Hoͤfling im Schlamme der Majeſtaͤten den Tiſch dekt — Zulezt erſtaunt man noch uͤber die große Polizei der Vorſicht, die auch in der Geiſterwelt ihre Blindſchleichen und Taran- deln zur Ausfuhr des Gifts beſoldet. — Aber (indem ſeine Wut ſich erneuert) an meine Blume ſoll mir das Ungeziefer nicht kriechen, oder ich will es (den Marſchall faſſend und unſanft herumſchuͤttelnd) ſo und ſo und wieder ſo durcheinander quetſchen. Hofmar- G 5

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Kabale und Liebe. Mannheim, 1784, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_kabale_1784/109>, abgerufen am 14.05.2024.