Schiller, Friedrich: Kabale und Liebe. Mannheim, 1784.
-- an Geburt -- an die Grundsäze meines Vaters erinnern -- aber ich liebe -- Meine Hoffnung steigt um so höher, je tiefer die Natur mit Konvenienzen zerfallen ist. -- Mein Entschluß und das Vorur- theil! -- Wir wollen sehen, ob die Mode oder die Menschheit auf dem Plaz bleiben wird. (Lady hat sich unterdeß bis an das äußerste Ende des Zimmers zurük- gezogen, und hält das Gesicht mit beiden Händen bedekt. Er folgt ihr dahin) Sie wolten mir etwas sagen, Milady? Lady. (im Ausdruk des heftigsten Leidens) Nichts Herr von Walter! Nichts, als daß sie Sich und Mich und noch eine Dritte zu Grund richten. Ferdinand. Noch eine Dritte? Lady. Wir können miteinander nicht glüklich werden. Wir müßen doch der Voreiligkeit Ihres Vaters zum Opfer werden. Nimmermehr werd ich das Herz eines Mannes haben, der mir seine Hand nur gezwungen gab. Ferdinand. Gezwungen Lady? Gezwungen gab? und also doch gab? Können Sie eine Hand ohne Herz erzwingen? Sie einem Mädchen den Mann entwenden, der die ganze Welt dieses Mäd- chens ist? Sie einen Mann von dem Mädchen reis- sen, das die ganze Welt dieses Mannes ist? Sie Milady -- vor einem Augenblik die bewunderns- würdige Brittin? -- Sie können das? Lady. Weil ich es muß. (mit Ernst und Stärke) Meine Leidenschaft, Walter, weicht meiner Zärtlich- keit D 3
— an Geburt — an die Grundſaͤze meines Vaters erinnern — aber ich liebe — Meine Hoffnung ſteigt um ſo hoͤher, je tiefer die Natur mit Konvenienzen zerfallen iſt. — Mein Entſchluß und das Vorur- theil! — Wir wollen ſehen, ob die Mode oder die Menſchheit auf dem Plaz bleiben wird. (Lady hat ſich unterdeß bis an das aͤußerſte Ende des Zimmers zuruͤk- gezogen, und haͤlt das Geſicht mit beiden Haͤnden bedekt. Er folgt ihr dahin) Sie wolten mir etwas ſagen, Milady? Lady. (im Ausdruk des heftigſten Leidens) Nichts Herr von Walter! Nichts, als daß ſie Sich und Mich und noch eine Dritte zu Grund richten. Ferdinand. Noch eine Dritte? Lady. Wir koͤnnen miteinander nicht gluͤklich werden. Wir muͤßen doch der Voreiligkeit Ihres Vaters zum Opfer werden. Nimmermehr werd ich das Herz eines Mannes haben, der mir ſeine Hand nur gezwungen gab. Ferdinand. Gezwungen Lady? Gezwungen gab? und alſo doch gab? Koͤnnen Sie eine Hand ohne Herz erzwingen? Sie einem Maͤdchen den Mann entwenden, der die ganze Welt dieſes Maͤd- chens iſt? Sie einen Mann von dem Maͤdchen reiſ- ſen, das die ganze Welt dieſes Mannes iſt? Sie Milady — vor einem Augenblik die bewundernſ- wuͤrdige Brittin? — Sie koͤnnen das? Lady. Weil ich es muß. (mit Ernſt und Staͤrke) Meine Leidenſchaft, Walter, weicht meiner Zaͤrtlich- keit D 3
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— an Geburt — an die Grundſaͤze meines Vaters
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um ſo hoͤher, je tiefer die Natur mit Konvenienzen
zerfallen iſt. — Mein Entſchluß und das Vorur-
theil! — Wir wollen ſehen, ob die Mode oder die
Menſchheit auf dem Plaz bleiben wird. (Lady hat
ſich unterdeß bis an das aͤußerſte Ende des Zimmers zuruͤk-
gezogen, und haͤlt das Geſicht mit beiden Haͤnden bedekt.
Er folgt ihr dahin) Sie wolten mir etwas ſagen,
Milady?
Lady. (im Ausdruk des heftigſten Leidens) Nichts
Herr von Walter! Nichts, als daß ſie Sich und Mich
und noch eine Dritte zu Grund richten.
Ferdinand. Noch eine Dritte?
Lady. Wir koͤnnen miteinander nicht gluͤklich
werden. Wir muͤßen doch der Voreiligkeit Ihres
Vaters zum Opfer werden. Nimmermehr werd ich
das Herz eines Mannes haben, der mir ſeine Hand
nur gezwungen gab.
Ferdinand. Gezwungen Lady? Gezwungen
gab? und alſo doch gab? Koͤnnen Sie eine Hand
ohne Herz erzwingen? Sie einem Maͤdchen den
Mann entwenden, der die ganze Welt dieſes Maͤd-
chens iſt? Sie einen Mann von dem Maͤdchen reiſ-
ſen, das die ganze Welt dieſes Mannes iſt? Sie
Milady — vor einem Augenblik die bewundernſ-
wuͤrdige Brittin? — Sie koͤnnen das?
Lady. Weil ich es muß. (mit Ernſt und Staͤrke)
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