Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schiller, Friedrich: Kabale und Liebe. Mannheim, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite
Ferdinand. (steht still und murmelt düster) Wirk-
lich?

Louise. Verlieren! -- O ohne Gränzen
entsezlich ist der Gedanke -- Gräßlich genug, den
unsterblichen Geist zu durchboren, und die glüende
Wange der Freude zu bleichen -- Ferdinand! dich
zu verlieren! -- Doch! Man verliert ja nur, was
man besessen hat, und dein Herz gehört deinem
Stande -- Mein Anspruch war Kirchenraub, und
schauernd geb ich ihn auf.

Ferdinand. (das Gesicht verzerrt, und an der Un-
terlippe nagend)
Gibst du ihn auf.

Louise. Nein! Sieh mich an lieber Walter.
Nicht so bitter die Zähne geknirrscht. Komm! Laß
mich jezt deinen sterbenden Mut durch mein Beispiel
beleben. Laß mich die Heldin dieses Augenbliks
seyn -- einem Vater den entflohenen Sohn wieder
schenken -- einem Bündniß entsagen, das die Fu-
gen der Bürgerwelt auseinander treiben, und die
allgemeine ewige Ordnung zu Grund stürzen würde
-- Ich bin die Verbrecherin -- mit frechen thö-
rigten Wünschen hat sich mein Busen getragen --
mein Unglük ist meine Strafe, so laß mir doch
jezt die süße schmeichelnde Täuschung, daß es mein
Opfer war -- Wirst du mir diese Wollust mis-
gönnen?

Ferdinand. (hat in der Zerstreuung und Wut eine
Violine ergriffen, und auf derselben zu spielen versucht
-- Jezt zerreißt er die Saiten, zerschmettert das Instru-
ment
Ferdinand. (ſteht ſtill und murmelt duͤſter) Wirk-
lich?

Louiſe. Verlieren! — O ohne Graͤnzen
entſezlich iſt der Gedanke — Graͤßlich genug, den
unſterblichen Geiſt zu durchboren, und die gluͤende
Wange der Freude zu bleichen — Ferdinand! dich
zu verlieren! — Doch! Man verliert ja nur, was
man beſeſſen hat, und dein Herz gehoͤrt deinem
Stande — Mein Anſpruch war Kirchenraub, und
ſchauernd geb ich ihn auf.

Ferdinand. (das Geſicht verzerrt, und an der Un-
terlippe nagend)
Gibſt du ihn auf.

Louiſe. Nein! Sieh mich an lieber Walter.
Nicht ſo bitter die Zaͤhne geknirrſcht. Komm! Laß
mich jezt deinen ſterbenden Mut durch mein Beiſpiel
beleben. Laß mich die Heldin dieſes Augenbliks
ſeyn — einem Vater den entflohenen Sohn wieder
ſchenken — einem Buͤndniß entſagen, das die Fu-
gen der Buͤrgerwelt auseinander treiben, und die
allgemeine ewige Ordnung zu Grund ſtuͤrzen wuͤrde
Ich bin die Verbrecherin — mit frechen thoͤ-
rigten Wuͤnſchen hat ſich mein Buſen getragen —
mein Ungluͤk iſt meine Strafe, ſo laß mir doch
jezt die ſuͤße ſchmeichelnde Taͤuſchung, daß es mein
Opfer war — Wirſt du mir dieſe Wolluſt mis-
goͤnnen?

Ferdinand. (hat in der Zerſtreuung und Wut eine
Violine ergriffen, und auf derſelben zu ſpielen verſucht
— Jezt zerreißt er die Saiten, zerſchmettert das Inſtru-
ment
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0090" n="86"/>
          <sp who="#FER">
            <speaker> <hi rendition="#fr">Ferdinand.</hi> </speaker>
            <p><stage>(&#x017F;teht &#x017F;till und murmelt du&#x0364;&#x017F;ter)</stage> Wirk-<lb/>
lich?</p><lb/>
          </sp>
          <sp who="#LOU">
            <speaker> <hi rendition="#fr">Loui&#x017F;e.</hi> </speaker>
            <p><hi rendition="#fr">Verlieren!</hi> &#x2014; O ohne Gra&#x0364;nzen<lb/>
ent&#x017F;ezlich i&#x017F;t der Gedanke &#x2014; Gra&#x0364;ßlich genug, den<lb/>
un&#x017F;terblichen Gei&#x017F;t zu durchboren, und die glu&#x0364;ende<lb/>
Wange der Freude zu bleichen &#x2014; Ferdinand! dich<lb/>
zu verlieren! &#x2014; Doch! Man verliert ja nur, was<lb/>
man be&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en hat, und dein Herz geho&#x0364;rt deinem<lb/>
Stande &#x2014; Mein An&#x017F;pruch war Kirchenraub, und<lb/>
&#x017F;chauernd geb ich ihn auf.</p><lb/>
          </sp>
          <sp who="#FER">
            <speaker> <hi rendition="#fr">Ferdinand.</hi> </speaker>
            <p><stage>(das Ge&#x017F;icht verzerrt, und an der Un-<lb/>
terlippe nagend)</stage> Gib&#x017F;t du ihn auf.</p><lb/>
          </sp>
          <sp who="#LOU">
            <speaker> <hi rendition="#fr">Loui&#x017F;e.</hi> </speaker>
            <p>Nein! Sieh mich an lieber Walter.<lb/>
Nicht &#x017F;o bitter die Za&#x0364;hne geknirr&#x017F;cht. Komm! Laß<lb/>
mich jezt deinen &#x017F;terbenden Mut durch mein Bei&#x017F;piel<lb/>
beleben. Laß <hi rendition="#fr">mich</hi> die Heldin die&#x017F;es Augenbliks<lb/>
&#x017F;eyn &#x2014; einem Vater den entflohenen Sohn wieder<lb/>
&#x017F;chenken &#x2014; einem Bu&#x0364;ndniß ent&#x017F;agen, das die Fu-<lb/>
gen der Bu&#x0364;rgerwelt auseinander treiben, und die<lb/>
allgemeine ewige Ordnung zu Grund &#x017F;tu&#x0364;rzen wu&#x0364;rde<lb/>
&#x2014; <hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Ich</hi></hi> bin die Verbrecherin &#x2014; mit frechen tho&#x0364;-<lb/>
rigten Wu&#x0364;n&#x017F;chen hat &#x017F;ich mein Bu&#x017F;en getragen &#x2014;<lb/>
mein Unglu&#x0364;k i&#x017F;t meine <hi rendition="#fr">Strafe,</hi> &#x017F;o laß mir doch<lb/>
jezt die &#x017F;u&#x0364;ße &#x017F;chmeichelnde Ta&#x0364;u&#x017F;chung, daß es mein<lb/><hi rendition="#fr">Opfer</hi> war &#x2014; Wir&#x017F;t du mir die&#x017F;e Wollu&#x017F;t mis-<lb/>
go&#x0364;nnen?</p><lb/>
          </sp>
          <sp who="#FER">
            <speaker> <hi rendition="#fr">Ferdinand.</hi> </speaker>
            <p>
              <stage>(hat in der Zer&#x017F;treuung und Wut eine<lb/>
Violine ergriffen, und auf der&#x017F;elben zu &#x017F;pielen ver&#x017F;ucht<lb/>
&#x2014; Jezt zerreißt er die Saiten, zer&#x017F;chmettert das In&#x017F;tru-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ment</fw><lb/></stage>
            </p>
          </sp>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[86/0090] Ferdinand. (ſteht ſtill und murmelt duͤſter) Wirk- lich? Louiſe. Verlieren! — O ohne Graͤnzen entſezlich iſt der Gedanke — Graͤßlich genug, den unſterblichen Geiſt zu durchboren, und die gluͤende Wange der Freude zu bleichen — Ferdinand! dich zu verlieren! — Doch! Man verliert ja nur, was man beſeſſen hat, und dein Herz gehoͤrt deinem Stande — Mein Anſpruch war Kirchenraub, und ſchauernd geb ich ihn auf. Ferdinand. (das Geſicht verzerrt, und an der Un- terlippe nagend) Gibſt du ihn auf. Louiſe. Nein! Sieh mich an lieber Walter. Nicht ſo bitter die Zaͤhne geknirrſcht. Komm! Laß mich jezt deinen ſterbenden Mut durch mein Beiſpiel beleben. Laß mich die Heldin dieſes Augenbliks ſeyn — einem Vater den entflohenen Sohn wieder ſchenken — einem Buͤndniß entſagen, das die Fu- gen der Buͤrgerwelt auseinander treiben, und die allgemeine ewige Ordnung zu Grund ſtuͤrzen wuͤrde — Ich bin die Verbrecherin — mit frechen thoͤ- rigten Wuͤnſchen hat ſich mein Buſen getragen — mein Ungluͤk iſt meine Strafe, ſo laß mir doch jezt die ſuͤße ſchmeichelnde Taͤuſchung, daß es mein Opfer war — Wirſt du mir dieſe Wolluſt mis- goͤnnen? Ferdinand. (hat in der Zerſtreuung und Wut eine Violine ergriffen, und auf derſelben zu ſpielen verſucht — Jezt zerreißt er die Saiten, zerſchmettert das Inſtru- ment

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_kabale_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_kabale_1784/90
Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Kabale und Liebe. Mannheim, 1784, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_kabale_1784/90>, abgerufen am 21.11.2024.