Schiller, Friedrich: Über naive und sentimentalische Dichtung. [Tl. 2:] Die sentimentalischen Dichter. In: Die Horen 1795, 12. St., T. I., S. 1-55.sein Objekt verträte. Aber nur dem schönen Herzen ist Es ist mehrmals darüber gestritten worden, welche ſein Objekt vertraͤte. Aber nur dem ſchoͤnen Herzen iſt Es iſt mehrmals daruͤber geſtritten worden, welche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0022" n="15"/> ſein Objekt vertraͤte. Aber nur dem ſchoͤnen Herzen iſt<lb/> es verliehen, unabhaͤngig von dem Gegenſtand ſeines Wir-<lb/> kens, in jeder ſeiner Aeußerungen ein vollendetes Bild<lb/> von ſich ſelbſt abzupraͤgen. Der erhabene Charakter kann<lb/> ſich nur in einzelnen Siegen uͤber den Widerſtand der<lb/> Sinne, nur in gewiſſen Momenten des Schwunges und<lb/> einer augenblicklichen Anſtrengung kund thun; in der ſchoͤ-<lb/> nen Seele hingegen wirkt das Ideal als Natur, alſo gleich-<lb/> foͤrmig, und kann mithin auch in einem Zuſtand der Ru-<lb/> he ſich zeigen.</p><lb/> <p>Es iſt mehrmals daruͤber geſtritten worden, welche<lb/> von beyden, die Tragoͤdie oder die Comoͤdie vor der an-<lb/> dern den Rang verdiene. Wird damit bloß gefragt, wel-<lb/> che von beyden das wichtigere Objekt behandle, ſo iſt kein<lb/> Zweifel, daß die erſtere den Vorzug behauptet; will man<lb/> aber wiſſen, welche von beyden das wichtigere Subjekt<lb/> erfodre, ſo muß der Ausſpruch eben ſo entſcheidend fuͤr die<lb/> letztere ausfallen. In der Tragoͤdie geſchieht ſchon durch<lb/> den Gegenſtand ſehr viel, in der Comoͤdie geſchieht durch<lb/> den Gegenſtand nichts und alles durch den Dichter. Da<lb/> nun bey Urtheilen des Geſchmacks der Stoff nie in Be-<lb/> trachtung kommt, ſo muß natuͤrlicher weiſe der aͤſthetiſche<lb/> Werth dieſer beyden Kunſtgattungen in umgekehrtem Ver-<lb/> haͤltniß zu ihrer materiellen Wichtigkeit ſtehen. Den tra-<lb/> giſchen Dichter traͤgt ſein Objekt, der komiſche hingegen<lb/> muß durch ſein Subjekt das ſeinige in der aͤſthetiſchen Hoͤ-<lb/> he erhalten. Jener darf einen Schwung nehmen, wozu<lb/> ſoviel eben nicht gehoͤret; der andre muß ſich gleich blei-<lb/> ben, er muß alſo ſchon dort <hi rendition="#g">ſeyn</hi> und dort zu Hauſe<lb/> ſeyn, wohin der andre nicht ohne einen Anlauf gelangt.<lb/> Und gerade das iſt es, worinn ſich der ſchoͤne Charakter<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [15/0022]
ſein Objekt vertraͤte. Aber nur dem ſchoͤnen Herzen iſt
es verliehen, unabhaͤngig von dem Gegenſtand ſeines Wir-
kens, in jeder ſeiner Aeußerungen ein vollendetes Bild
von ſich ſelbſt abzupraͤgen. Der erhabene Charakter kann
ſich nur in einzelnen Siegen uͤber den Widerſtand der
Sinne, nur in gewiſſen Momenten des Schwunges und
einer augenblicklichen Anſtrengung kund thun; in der ſchoͤ-
nen Seele hingegen wirkt das Ideal als Natur, alſo gleich-
foͤrmig, und kann mithin auch in einem Zuſtand der Ru-
he ſich zeigen.
Es iſt mehrmals daruͤber geſtritten worden, welche
von beyden, die Tragoͤdie oder die Comoͤdie vor der an-
dern den Rang verdiene. Wird damit bloß gefragt, wel-
che von beyden das wichtigere Objekt behandle, ſo iſt kein
Zweifel, daß die erſtere den Vorzug behauptet; will man
aber wiſſen, welche von beyden das wichtigere Subjekt
erfodre, ſo muß der Ausſpruch eben ſo entſcheidend fuͤr die
letztere ausfallen. In der Tragoͤdie geſchieht ſchon durch
den Gegenſtand ſehr viel, in der Comoͤdie geſchieht durch
den Gegenſtand nichts und alles durch den Dichter. Da
nun bey Urtheilen des Geſchmacks der Stoff nie in Be-
trachtung kommt, ſo muß natuͤrlicher weiſe der aͤſthetiſche
Werth dieſer beyden Kunſtgattungen in umgekehrtem Ver-
haͤltniß zu ihrer materiellen Wichtigkeit ſtehen. Den tra-
giſchen Dichter traͤgt ſein Objekt, der komiſche hingegen
muß durch ſein Subjekt das ſeinige in der aͤſthetiſchen Hoͤ-
he erhalten. Jener darf einen Schwung nehmen, wozu
ſoviel eben nicht gehoͤret; der andre muß ſich gleich blei-
ben, er muß alſo ſchon dort ſeyn und dort zu Hauſe
ſeyn, wohin der andre nicht ohne einen Anlauf gelangt.
Und gerade das iſt es, worinn ſich der ſchoͤne Charakter
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |