Schiller, [Friedrich]: Maria Stuart. Tübingen u. a., 1801. Kennedy. O meine theure Lady! Euer Kerker Ist nur um ein klein weniges erweitert. Ihr seht nur nicht die Mauer, die uns einschließt, Weil sie der Bäume dicht Gesträuch versteckt. Maria.
O dank, dank diesen freundlich grünen Bäumen, Die meines Kerkers Mauern mir verstecken! Ich will mich frei und glücklich träumen, Warum aus meinem süßen Wahn mich wecken? Umfängt mich nicht der weite Himmelsschoos? Die Blicke, frei und fessellos, Ergehen sich in ungemeßnen Räumen. Dort, wo die grauen Nebelberge ragen, Fängt meines Reiches Gränze an, Und diese Wolken, die nach Mittag jagen, Sie suchen Frankreichs fernen Ocean. Eilende Wolken! Segler der Lüfte! Wer mit euch wanderte, mit euch schiffte! Grüßet mir freundlich mein Jugendland! Ich bin gefangen, ich bin in Banden, Ach, ich hab' keinen andern Gesandten! Frei in Lüften ist eure Bahn, Ihr seid nicht dieser Königin unterthan. Kennedy. O meine theure Lady! Euer Kerker Iſt nur um ein klein weniges erweitert. Ihr ſeht nur nicht die Mauer, die uns einſchließt, Weil ſie der Baͤume dicht Geſtraͤuch verſteckt. Maria.
O dank, dank dieſen freundlich gruͤnen Baͤumen, Die meines Kerkers Mauern mir verſtecken! Ich will mich frei und gluͤcklich traͤumen, Warum aus meinem ſuͤßen Wahn mich wecken? Umfaͤngt mich nicht der weite Himmelsſchoos? Die Blicke, frei und feſſellos, Ergehen ſich in ungemeßnen Raͤumen. Dort, wo die grauen Nebelberge ragen, Faͤngt meines Reiches Graͤnze an, Und dieſe Wolken, die nach Mittag jagen, Sie ſuchen Frankreichs fernen Ocean. Eilende Wolken! Segler der Luͤfte! Wer mit euch wanderte, mit euch ſchiffte! Gruͤßet mir freundlich mein Jugendland! Ich bin gefangen, ich bin in Banden, Ach, ich hab' keinen andern Geſandten! Frei in Luͤften iſt eure Bahn, Ihr ſeid nicht dieſer Koͤnigin unterthan. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0123" n="117"/> <sp who="#HANKEN"> <speaker><hi rendition="#g">Kennedy</hi>.</speaker><lb/> <p>O meine theure Lady! Euer Kerker<lb/> Iſt nur um ein klein weniges erweitert.<lb/> Ihr ſeht nur nicht die Mauer, die uns einſchließt,<lb/> Weil ſie der Baͤume dicht Geſtraͤuch verſteckt.</p><lb/> </sp> <sp who="#MARSTUA"> <speaker><hi rendition="#g">Maria</hi>.</speaker><lb/> <p>O dank, dank dieſen freundlich gruͤnen Baͤumen,<lb/> Die meines Kerkers Mauern mir verſtecken!<lb/> Ich will mich frei und gluͤcklich traͤumen,<lb/> Warum aus meinem ſuͤßen Wahn mich wecken?<lb/> Umfaͤngt mich nicht der weite Himmelsſchoos?<lb/> Die Blicke, frei und feſſellos,<lb/> Ergehen ſich in ungemeßnen Raͤumen.<lb/> Dort, wo die grauen Nebelberge ragen,<lb/> Faͤngt meines Reiches Graͤnze an,<lb/> Und dieſe Wolken, die nach Mittag jagen,<lb/> Sie ſuchen Frankreichs fernen Ocean.</p><lb/> <p>Eilende Wolken! Segler der Luͤfte!<lb/> Wer mit euch wanderte, mit euch ſchiffte!<lb/> Gruͤßet mir freundlich mein Jugendland!<lb/> Ich bin gefangen, ich bin in Banden,<lb/> Ach, ich hab' keinen andern Geſandten!<lb/> Frei in Luͤften iſt eure Bahn,<lb/> Ihr ſeid nicht dieſer Koͤnigin unterthan.</p><lb/> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [117/0123]
Kennedy.
O meine theure Lady! Euer Kerker
Iſt nur um ein klein weniges erweitert.
Ihr ſeht nur nicht die Mauer, die uns einſchließt,
Weil ſie der Baͤume dicht Geſtraͤuch verſteckt.
Maria.
O dank, dank dieſen freundlich gruͤnen Baͤumen,
Die meines Kerkers Mauern mir verſtecken!
Ich will mich frei und gluͤcklich traͤumen,
Warum aus meinem ſuͤßen Wahn mich wecken?
Umfaͤngt mich nicht der weite Himmelsſchoos?
Die Blicke, frei und feſſellos,
Ergehen ſich in ungemeßnen Raͤumen.
Dort, wo die grauen Nebelberge ragen,
Faͤngt meines Reiches Graͤnze an,
Und dieſe Wolken, die nach Mittag jagen,
Sie ſuchen Frankreichs fernen Ocean.
Eilende Wolken! Segler der Luͤfte!
Wer mit euch wanderte, mit euch ſchiffte!
Gruͤßet mir freundlich mein Jugendland!
Ich bin gefangen, ich bin in Banden,
Ach, ich hab' keinen andern Geſandten!
Frei in Luͤften iſt eure Bahn,
Ihr ſeid nicht dieſer Koͤnigin unterthan.
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