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Schiller, Friedrich: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? (Antrittsvorlesung in Jena, 26. 5. 1789 ). Jena, 1789.

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von dem Ursprung der Dinge zu ihrer neuesten Ord-
nung herab, der Universalhistoriker rückt von der neue-
sten Weltlage aufwärts dem Ursprung der Dinge ent-
gegen. Wenn er von dem laufenden Jahr und Jahr-
hundert zu dem nächst vorhergegangenen in Gedanken
hinaufsteigt, und unter den Begebenheiten, die das
Leztere ihm darbietet, diejenigen sich merkt, welche den
Aufschluß über die nächstfolgenden enthalten -- wenn
er diesen Gang schrittweise fortgesetzt hat bis zum An-
fang -- nicht der Welt, denn dahin führt ihn kein
Wegweiser -- bis zum Anfang der Denkmäler, dann
steht es bey ihm, auf dem gemachten Weg umzukeh-
ren, und an dem Leitfaden dieser bezeichneten Fakten,
ungehindert und leicht, vom Anfang der Denkmäler
bis zu dem neuesten Zeitalter herunter zu steigen. Dies
ist die Weltgeschichte, die wir haben, und die Ihnen
wird vorgetragen werden.

Weil die Weltgeschichte von dem Reichthum und
der Armuth an Quellen abhängig ist, so müssen eben
so viele Lücken in der Weltgeschichte entstehen, als es
leere Strecken in der Ueberlieferung giebt. So gleich-
förmig, nothwendig und bestimmt sich die Weltverän-
derungen auseinander entwickeln, so unterbrochen und
zufällig werden sie in der Geschichte in einander gefügt
seyn. Es ist daher zwischen dem Gange der Welt und dem
Gange der Weltgeschichte ein merkliches Mißverhält-
niß sichtbar. Jenen möchte man mit einem ununter-
brochen fortfließenden Strom vergleichen, wovon aber

in
B 5

von dem Urſprung der Dinge zu ihrer neueſten Ord-
nung herab, der Univerſalhiſtoriker ruͤckt von der neue-
ſten Weltlage aufwaͤrts dem Urſprung der Dinge ent-
gegen. Wenn er von dem laufenden Jahr und Jahr-
hundert zu dem naͤchſt vorhergegangenen in Gedanken
hinaufſteigt, und unter den Begebenheiten, die das
Leztere ihm darbietet, diejenigen ſich merkt, welche den
Aufſchluß uͤber die naͤchſtfolgenden enthalten — wenn
er dieſen Gang ſchrittweiſe fortgeſetzt hat bis zum An-
fang — nicht der Welt, denn dahin fuͤhrt ihn kein
Wegweiſer — bis zum Anfang der Denkmaͤler, dann
ſteht es bey ihm, auf dem gemachten Weg umzukeh-
ren, und an dem Leitfaden dieſer bezeichneten Fakten,
ungehindert und leicht, vom Anfang der Denkmaͤler
bis zu dem neueſten Zeitalter herunter zu ſteigen. Dies
iſt die Weltgeſchichte, die wir haben, und die Ihnen
wird vorgetragen werden.

Weil die Weltgeſchichte von dem Reichthum und
der Armuth an Quellen abhaͤngig iſt, ſo muͤſſen eben
ſo viele Luͤcken in der Weltgeſchichte entſtehen, als es
leere Strecken in der Ueberlieferung giebt. So gleich-
foͤrmig, nothwendig und beſtimmt ſich die Weltveraͤn-
derungen auseinander entwickeln, ſo unterbrochen und
zufaͤllig werden ſie in der Geſchichte in einander gefuͤgt
ſeyn. Es iſt daher zwiſchen dem Gange der Welt und dem
Gange der Weltgeſchichte ein merkliches Mißverhaͤlt-
niß ſichtbar. Jenen moͤchte man mit einem ununter-
brochen fortfließenden Strom vergleichen, wovon aber

in
B 5
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[25/0027] von dem Urſprung der Dinge zu ihrer neueſten Ord- nung herab, der Univerſalhiſtoriker ruͤckt von der neue- ſten Weltlage aufwaͤrts dem Urſprung der Dinge ent- gegen. Wenn er von dem laufenden Jahr und Jahr- hundert zu dem naͤchſt vorhergegangenen in Gedanken hinaufſteigt, und unter den Begebenheiten, die das Leztere ihm darbietet, diejenigen ſich merkt, welche den Aufſchluß uͤber die naͤchſtfolgenden enthalten — wenn er dieſen Gang ſchrittweiſe fortgeſetzt hat bis zum An- fang — nicht der Welt, denn dahin fuͤhrt ihn kein Wegweiſer — bis zum Anfang der Denkmaͤler, dann ſteht es bey ihm, auf dem gemachten Weg umzukeh- ren, und an dem Leitfaden dieſer bezeichneten Fakten, ungehindert und leicht, vom Anfang der Denkmaͤler bis zu dem neueſten Zeitalter herunter zu ſteigen. Dies iſt die Weltgeſchichte, die wir haben, und die Ihnen wird vorgetragen werden. Weil die Weltgeſchichte von dem Reichthum und der Armuth an Quellen abhaͤngig iſt, ſo muͤſſen eben ſo viele Luͤcken in der Weltgeſchichte entſtehen, als es leere Strecken in der Ueberlieferung giebt. So gleich- foͤrmig, nothwendig und beſtimmt ſich die Weltveraͤn- derungen auseinander entwickeln, ſo unterbrochen und zufaͤllig werden ſie in der Geſchichte in einander gefuͤgt ſeyn. Es iſt daher zwiſchen dem Gange der Welt und dem Gange der Weltgeſchichte ein merkliches Mißverhaͤlt- niß ſichtbar. Jenen moͤchte man mit einem ununter- brochen fortfließenden Strom vergleichen, wovon aber in B 5

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? (Antrittsvorlesung in Jena, 26. 5. 1789 ). Jena, 1789, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_universalgeschichte_1789/27>, abgerufen am 29.04.2024.