Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.Zeichnete jeder die Gattin, damit sie, die schwärzlichen Punkte Tragend am Leibe, hinfort dächten des grausenden Mords. Also zahlen dem Orpheus bis jetzt, dem erschlagnen, die Weiber Bußen für jene Grän'l, welchen an ihm sie verübt. Die schöne Einfachheit, welche dieses Bruchstück unterscheidet, und ihm Ansprüche auf ein verhältnißmäßig höheres Alterthum zu geben scheint, gefällt auch in dem noch erhaltenen Distichon desselben Dichters: Aber der Mören Gespinnst ist unauflöslich, und niemand Kann ihm entgehn, so viel unser die Erde nur nährt. Zwar kann die Zeit, wenn Phanokles lebte und blühte, nicht mit Genauigkeit bestimmt werden. Wenn es aber auch gar keine Winke darüber gäbe, so würde ihm doch schon der in dem Bruchstücke vom Orpheus sichtbare Hang, alte Sitten sinnreich durch alte seiner Absicht gemäß ausgebildete und der Gegenwart angeschmiegte Sagen zu erklären, seine Stelle in der Periode der elegischen Kunst anweisen, wo die Dichter zugleich auch Gelehrte, Liebhaber und Kenner des schönen Alterthums, waren, und wo die erotische Poesie, Zeichnete jeder die Gattin, damit sie, die schwaͤrzlichen Punkte Tragend am Leibe, hinfort daͤchten des grausenden Mords. Also zahlen dem Orpheus bis jetzt, dem erschlagnen, die Weiber Bußen fuͤr jene Graͤn'l, welchen an ihm sie veruͤbt. Die schoͤne Einfachheit, welche dieses Bruchstuͤck unterscheidet, und ihm Anspruͤche auf ein verhaͤltnißmaͤßig hoͤheres Alterthum zu geben scheint, gefaͤllt auch in dem noch erhaltenen Distichon desselben Dichters: Aber der Moͤren Gespinnst ist unaufloͤslich, und niemand Kann ihm entgehn, so viel unser die Erde nur naͤhrt. Zwar kann die Zeit, wenn Phanokles lebte und bluͤhte, nicht mit Genauigkeit bestimmt werden. Wenn es aber auch gar keine Winke daruͤber gaͤbe, so wuͤrde ihm doch schon der in dem Bruchstuͤcke vom Orpheus sichtbare Hang, alte Sitten sinnreich durch alte seiner Absicht gemaͤß ausgebildete und der Gegenwart angeschmiegte Sagen zu erklaͤren, seine Stelle in der Periode der elegischen Kunst anweisen, wo die Dichter zugleich auch Gelehrte, Liebhaber und Kenner des schoͤnen Alterthums, waren, und wo die erotische Poesie, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0125" n="114"/> <l>Zeichnete jeder die Gattin, damit sie, die schwaͤrzlichen Punkte<lb/></l><lb/> <l>Tragend am Leibe, hinfort daͤchten des grausenden Mords.<lb/></l><lb/> <l>Also zahlen dem Orpheus bis jetzt, dem erschlagnen, die Weiber<lb/></l><lb/> <l>Bußen fuͤr jene Graͤn'l, welchen an ihm sie veruͤbt.</l> </lg><lb/> <p>Die schoͤne Einfachheit, welche dieses Bruchstuͤck unterscheidet, und ihm Anspruͤche auf ein verhaͤltnißmaͤßig hoͤheres Alterthum zu geben scheint, gefaͤllt auch in dem noch erhaltenen Distichon desselben Dichters:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Aber der Moͤren Gespinnst ist unaufloͤslich, und niemand<lb/></l><lb/> <l>Kann ihm entgehn, so viel unser die Erde nur naͤhrt.</l> </lg><lb/> <p>Zwar kann die Zeit, wenn Phanokles lebte und bluͤhte, nicht mit Genauigkeit bestimmt werden. Wenn es aber auch gar keine Winke daruͤber gaͤbe, so wuͤrde ihm doch schon der in dem Bruchstuͤcke vom Orpheus sichtbare Hang, alte Sitten sinnreich durch alte seiner Absicht gemaͤß ausgebildete und der Gegenwart angeschmiegte Sagen zu erklaͤren, seine Stelle in der Periode der elegischen Kunst anweisen, wo die Dichter zugleich auch Gelehrte, Liebhaber und Kenner des schoͤnen Alterthums, waren, und wo die erotische Poesie,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [114/0125]
Zeichnete jeder die Gattin, damit sie, die schwaͤrzlichen Punkte
Tragend am Leibe, hinfort daͤchten des grausenden Mords.
Also zahlen dem Orpheus bis jetzt, dem erschlagnen, die Weiber
Bußen fuͤr jene Graͤn'l, welchen an ihm sie veruͤbt.
Die schoͤne Einfachheit, welche dieses Bruchstuͤck unterscheidet, und ihm Anspruͤche auf ein verhaͤltnißmaͤßig hoͤheres Alterthum zu geben scheint, gefaͤllt auch in dem noch erhaltenen Distichon desselben Dichters:
Aber der Moͤren Gespinnst ist unaufloͤslich, und niemand
Kann ihm entgehn, so viel unser die Erde nur naͤhrt.
Zwar kann die Zeit, wenn Phanokles lebte und bluͤhte, nicht mit Genauigkeit bestimmt werden. Wenn es aber auch gar keine Winke daruͤber gaͤbe, so wuͤrde ihm doch schon der in dem Bruchstuͤcke vom Orpheus sichtbare Hang, alte Sitten sinnreich durch alte seiner Absicht gemaͤß ausgebildete und der Gegenwart angeschmiegte Sagen zu erklaͤren, seine Stelle in der Periode der elegischen Kunst anweisen, wo die Dichter zugleich auch Gelehrte, Liebhaber und Kenner des schoͤnen Alterthums, waren, und wo die erotische Poesie,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |