Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

der ohne Stamm und Frucht sich nie über eine gewisse Höhe erhebt!

Wenn ihn auch seine Lektüre der Alten, die er recht angenehm, man möchte sagen auf weibliche Art, zu benutzen weiß, zu strengerem Ernst auffordert, wie in seinen neueren Griechischen Geschichten, so behandelt er doch alles mit Spannung, Schlag auf Schlag, bunt durch einander, und spart die Aufopferungen und Tode fürs Vaterland so wenig wie bey andern Gelegenheiten die Küsse. Die wechselnden Farben, das tumultuarische Leben, stehn mit der Würde des Gegenstandes in solchem Streit, daß man wohl sieht, in wie fern er mit ihm bekannt war. Eben dieses Farbenspiel ist es denn doch, und seine blühende Dikzion und strömende Rhetorik, der es nicht an den Grazien der Nachlässigkeit fehlt, was schon so manchen jungen Busen erschüttert hat, und manches ältere Urtheil so verwirrt, daß Clara du Plessis der nouvelle Heloise an die Seite gesetzt und, um seiner schlechtesten Produkte willen Lafontaine mit vieler Prätension zum Künstler kreirt worden ist. (A.L.Z. 98. No. 47.) Es muß ihm selbst ein wenig lustig vorkommen, sich von Kunst vorschwatzen zu hören, da man eher vermuthen sollte, daß er sich sogar bey den Werken Anderer wenig daraus macht. Laßt ihn doch nur so gefallen, wie ein frisches Mädchen, die weder bestimmte Züge, noch Seele in den Augen, aber ein paar recht blühende Wangen und artige Lippen hat. Es ist auch schon mehr begegnet, daß die edelsten Gestalten unbemerkt stehn blieben, und ein großes Gedränge

der ohne Stamm und Frucht sich nie uͤber eine gewisse Hoͤhe erhebt!

Wenn ihn auch seine Lektuͤre der Alten, die er recht angenehm, man moͤchte sagen auf weibliche Art, zu benutzen weiß, zu strengerem Ernst auffordert, wie in seinen neueren Griechischen Geschichten, so behandelt er doch alles mit Spannung, Schlag auf Schlag, bunt durch einander, und spart die Aufopferungen und Tode fuͤrs Vaterland so wenig wie bey andern Gelegenheiten die Kuͤsse. Die wechselnden Farben, das tumultuarische Leben, stehn mit der Wuͤrde des Gegenstandes in solchem Streit, daß man wohl sieht, in wie fern er mit ihm bekannt war. Eben dieses Farbenspiel ist es denn doch, und seine bluͤhende Dikzion und stroͤmende Rhetorik, der es nicht an den Grazien der Nachlaͤssigkeit fehlt, was schon so manchen jungen Busen erschuͤttert hat, und manches aͤltere Urtheil so verwirrt, daß Clara du Plessis der nouvelle Heloise an die Seite gesetzt und, um seiner schlechtesten Produkte willen Lafontaine mit vieler Praͤtension zum Kuͤnstler kreirt worden ist. (A.L.Z. 98. No. 47.) Es muß ihm selbst ein wenig lustig vorkommen, sich von Kunst vorschwatzen zu hoͤren, da man eher vermuthen sollte, daß er sich sogar bey den Werken Anderer wenig daraus macht. Laßt ihn doch nur so gefallen, wie ein frisches Maͤdchen, die weder bestimmte Zuͤge, noch Seele in den Augen, aber ein paar recht bluͤhende Wangen und artige Lippen hat. Es ist auch schon mehr begegnet, daß die edelsten Gestalten unbemerkt stehn blieben, und ein großes Gedraͤnge

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0165" n="154"/>
der ohne Stamm und Frucht sich nie u&#x0364;ber eine gewisse Ho&#x0364;he erhebt!</p><lb/>
          <p>Wenn ihn auch seine Lektu&#x0364;re der Alten, die er recht angenehm, man mo&#x0364;chte sagen auf weibliche Art, zu benutzen weiß, zu strengerem Ernst auffordert, wie in seinen neueren Griechischen Geschichten, so behandelt er doch alles mit Spannung, Schlag auf Schlag, bunt durch einander, und spart die Aufopferungen und Tode fu&#x0364;rs Vaterland so wenig wie bey andern Gelegenheiten die Ku&#x0364;sse. Die wechselnden Farben, das tumultuarische Leben, stehn mit der Wu&#x0364;rde des Gegenstandes in solchem Streit, daß man wohl sieht, in wie fern er mit ihm bekannt war. Eben dieses Farbenspiel ist es denn doch, und seine blu&#x0364;hende Dikzion und stro&#x0364;mende Rhetorik, der es nicht an den Grazien der Nachla&#x0364;ssigkeit fehlt, was schon so manchen jungen Busen erschu&#x0364;ttert hat, und manches a&#x0364;ltere Urtheil so verwirrt, daß Clara du Plessis der <foreign xml:lang="fr">nouvelle Heloise</foreign> an die Seite gesetzt und, um seiner schlechtesten Produkte willen Lafontaine mit vieler Pra&#x0364;tension zum Ku&#x0364;nstler kreirt worden ist. (A.L.Z. 98. No. 47.) Es muß ihm selbst ein wenig lustig vorkommen, sich von Kunst vorschwatzen zu ho&#x0364;ren, da man eher vermuthen sollte, daß er sich sogar bey den Werken Anderer wenig daraus macht. Laßt ihn doch nur so gefallen, wie ein frisches Ma&#x0364;dchen, die weder bestimmte Zu&#x0364;ge, noch Seele in den Augen, aber ein paar recht blu&#x0364;hende Wangen und artige Lippen hat. Es ist auch schon mehr begegnet, daß die edelsten Gestalten unbemerkt stehn blieben, und ein großes Gedra&#x0364;nge<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[154/0165] der ohne Stamm und Frucht sich nie uͤber eine gewisse Hoͤhe erhebt! Wenn ihn auch seine Lektuͤre der Alten, die er recht angenehm, man moͤchte sagen auf weibliche Art, zu benutzen weiß, zu strengerem Ernst auffordert, wie in seinen neueren Griechischen Geschichten, so behandelt er doch alles mit Spannung, Schlag auf Schlag, bunt durch einander, und spart die Aufopferungen und Tode fuͤrs Vaterland so wenig wie bey andern Gelegenheiten die Kuͤsse. Die wechselnden Farben, das tumultuarische Leben, stehn mit der Wuͤrde des Gegenstandes in solchem Streit, daß man wohl sieht, in wie fern er mit ihm bekannt war. Eben dieses Farbenspiel ist es denn doch, und seine bluͤhende Dikzion und stroͤmende Rhetorik, der es nicht an den Grazien der Nachlaͤssigkeit fehlt, was schon so manchen jungen Busen erschuͤttert hat, und manches aͤltere Urtheil so verwirrt, daß Clara du Plessis der nouvelle Heloise an die Seite gesetzt und, um seiner schlechtesten Produkte willen Lafontaine mit vieler Praͤtension zum Kuͤnstler kreirt worden ist. (A.L.Z. 98. No. 47.) Es muß ihm selbst ein wenig lustig vorkommen, sich von Kunst vorschwatzen zu hoͤren, da man eher vermuthen sollte, daß er sich sogar bey den Werken Anderer wenig daraus macht. Laßt ihn doch nur so gefallen, wie ein frisches Maͤdchen, die weder bestimmte Zuͤge, noch Seele in den Augen, aber ein paar recht bluͤhende Wangen und artige Lippen hat. Es ist auch schon mehr begegnet, daß die edelsten Gestalten unbemerkt stehn blieben, und ein großes Gedraͤnge

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/165
Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/165>, abgerufen am 21.11.2024.