Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.des Buchs gänzlich alterirt wird. Jhr komisches geht ins Betrübte über, denn wer bey Ansprüchen auf beyde Gattungen nicht rein komisch zu seyn weiß, erhebt sich auch nicht bis zum Tragischen; und so wird Müller trocken, Wezel trübsinnig und Lafontaine konvulsivisch. So viel ich weiß, zieht selbst das Lafontainische Publikum St. Julien dem Flaming vor. Eben durch die Reminiszenzen aus dem Landpriester von Wakefield bekommt er eine bedeutendere Physiognomie. Die Striche, welche den Karakter ausdrücken sollen, sind zwar etwas gröber gerathen, und auch nicht immer unter sich zusammenhängend. Es war sehr möglich, daß ein Mann, wie der Landpriester, sich mit allen seinen kleinen Schwächen schilderte. Er hatte grade Überlegenheit genug, um mit dem leisen Spott über sich selbst, der den Reiz jener Darstellung ausmacht, das Gemählde zu entwerfen. Aber St. Julien steht unter der Herrschaft einer Schwäche, die kein so freyes Geständniß verträgt, weder was die innre Wahrscheinlichkeit, noch was die Wirkung betrifft. Die Furcht übermannt ihn, nicht bis zur Thorheit allein, bis zur Niedrigkeit. Der Landpriester giebt seine Frau für nichts anders als was sie ist; St. Julien erklärt die seinige für die beste Frau für ihn in ganz Frankreich. Alle die gemeinen Züge an ihr kann er damit nicht adeln, wie es sein Bestreben ist. Jn ihrem Karakter sowohl, wie in dem seinigen ist auf einer Seite das schlechte, was da ist, zu schlecht, auf der andern das Resultat, was herauskommen soll, des Buchs gaͤnzlich alterirt wird. Jhr komisches geht ins Betruͤbte uͤber, denn wer bey Anspruͤchen auf beyde Gattungen nicht rein komisch zu seyn weiß, erhebt sich auch nicht bis zum Tragischen; und so wird Muͤller trocken, Wezel truͤbsinnig und Lafontaine konvulsivisch. So viel ich weiß, zieht selbst das Lafontainische Publikum St. Julien dem Flaming vor. Eben durch die Reminiszenzen aus dem Landpriester von Wakefield bekommt er eine bedeutendere Physiognomie. Die Striche, welche den Karakter ausdruͤcken sollen, sind zwar etwas groͤber gerathen, und auch nicht immer unter sich zusammenhaͤngend. Es war sehr moͤglich, daß ein Mann, wie der Landpriester, sich mit allen seinen kleinen Schwaͤchen schilderte. Er hatte grade Überlegenheit genug, um mit dem leisen Spott uͤber sich selbst, der den Reiz jener Darstellung ausmacht, das Gemaͤhlde zu entwerfen. Aber St. Julien steht unter der Herrschaft einer Schwaͤche, die kein so freyes Gestaͤndniß vertraͤgt, weder was die innre Wahrscheinlichkeit, noch was die Wirkung betrifft. Die Furcht uͤbermannt ihn, nicht bis zur Thorheit allein, bis zur Niedrigkeit. Der Landpriester giebt seine Frau fuͤr nichts anders als was sie ist; St. Julien erklaͤrt die seinige fuͤr die beste Frau fuͤr ihn in ganz Frankreich. Alle die gemeinen Zuͤge an ihr kann er damit nicht adeln, wie es sein Bestreben ist. Jn ihrem Karakter sowohl, wie in dem seinigen ist auf einer Seite das schlechte, was da ist, zu schlecht, auf der andern das Resultat, was herauskommen soll, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0174" n="163"/> des Buchs gaͤnzlich alterirt wird. Jhr komisches geht ins Betruͤbte uͤber, denn wer bey Anspruͤchen auf beyde Gattungen nicht rein komisch zu seyn weiß, erhebt sich auch nicht bis zum Tragischen; und so wird Muͤller trocken, Wezel truͤbsinnig und Lafontaine konvulsivisch.</p><lb/> <p>So viel ich weiß, zieht selbst das Lafontainische Publikum St. Julien dem Flaming vor. Eben durch die Reminiszenzen aus dem Landpriester von Wakefield bekommt er eine bedeutendere Physiognomie. Die Striche, welche den Karakter ausdruͤcken sollen, sind zwar etwas groͤber gerathen, und auch nicht immer unter sich zusammenhaͤngend. Es war sehr moͤglich, daß ein Mann, wie der Landpriester, sich mit allen seinen kleinen Schwaͤchen schilderte. Er hatte grade Überlegenheit genug, um mit dem leisen Spott uͤber sich selbst, der den Reiz jener Darstellung ausmacht, das Gemaͤhlde zu entwerfen. Aber St. Julien steht unter der Herrschaft einer Schwaͤche, die kein so freyes Gestaͤndniß vertraͤgt, weder was die innre Wahrscheinlichkeit, noch was die Wirkung betrifft. Die Furcht uͤbermannt ihn, nicht bis zur Thorheit allein, bis zur Niedrigkeit. Der Landpriester giebt seine Frau fuͤr nichts anders als was sie ist; St. Julien erklaͤrt die seinige fuͤr die beste Frau fuͤr ihn in ganz Frankreich. Alle die gemeinen Zuͤge an ihr kann er damit nicht adeln, wie es sein Bestreben ist. Jn ihrem Karakter sowohl, wie in dem seinigen ist auf einer Seite das schlechte, was da ist, zu schlecht, auf der andern das Resultat, was herauskommen soll,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [163/0174]
des Buchs gaͤnzlich alterirt wird. Jhr komisches geht ins Betruͤbte uͤber, denn wer bey Anspruͤchen auf beyde Gattungen nicht rein komisch zu seyn weiß, erhebt sich auch nicht bis zum Tragischen; und so wird Muͤller trocken, Wezel truͤbsinnig und Lafontaine konvulsivisch.
So viel ich weiß, zieht selbst das Lafontainische Publikum St. Julien dem Flaming vor. Eben durch die Reminiszenzen aus dem Landpriester von Wakefield bekommt er eine bedeutendere Physiognomie. Die Striche, welche den Karakter ausdruͤcken sollen, sind zwar etwas groͤber gerathen, und auch nicht immer unter sich zusammenhaͤngend. Es war sehr moͤglich, daß ein Mann, wie der Landpriester, sich mit allen seinen kleinen Schwaͤchen schilderte. Er hatte grade Überlegenheit genug, um mit dem leisen Spott uͤber sich selbst, der den Reiz jener Darstellung ausmacht, das Gemaͤhlde zu entwerfen. Aber St. Julien steht unter der Herrschaft einer Schwaͤche, die kein so freyes Gestaͤndniß vertraͤgt, weder was die innre Wahrscheinlichkeit, noch was die Wirkung betrifft. Die Furcht uͤbermannt ihn, nicht bis zur Thorheit allein, bis zur Niedrigkeit. Der Landpriester giebt seine Frau fuͤr nichts anders als was sie ist; St. Julien erklaͤrt die seinige fuͤr die beste Frau fuͤr ihn in ganz Frankreich. Alle die gemeinen Zuͤge an ihr kann er damit nicht adeln, wie es sein Bestreben ist. Jn ihrem Karakter sowohl, wie in dem seinigen ist auf einer Seite das schlechte, was da ist, zu schlecht, auf der andern das Resultat, was herauskommen soll,
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