Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.Strebt eine Biographie zu generalisiren, so ist sie ein historisches Fragment. Konzentrirt sie sich ganz darauf, die Jndividualität zu charakterisiren: so ist sie eine Urkunde oder ein Werk der Lebenskunstlehre. Da man immer so sehr gegen die Hypothesen redet, so sollte man doch einmahl versuchen, die Geschichte ohne Hypothese anzufangen. Man kann nicht sagen, daß etwas ist, ohne zu sagen, was es ist. Jndem man sie denkt, bezieht man Fakta schon auf Begriffe, und es ist doch wohl nicht einerley, auf welche. Weiß man dieß, so bestimmt und wählt man sich selbst unter den möglichen Begriffen die nothwendigen, auf die man Fakta jeder Art beziehen soll. Will man es nicht anerkennen, so bleibt die Wahl dem Jnstinkt, dem Zufall, oder der Willkühr überlassen, man schmeichelt sich reine solide Empirie ganz a posteriori zu haben, und hat eine höchst einseitige, höchst dogmatizistische und transcendente Ansicht a priori. Der Schein der Regellosigkeit in der Geschichte der Menschheit entsteht nur durch die Kollisionsfälle heterogener Sphären der Natur, die hier alle zusammentreffen und in einander greifen. Dann sonst hat die unbedingte Willkühr in diesem Gebiet der freyen Nothwendigkeit und nothwendigen Freyheit, weder konstitutive noch legislative Gewalt, und nur den täuschenden Titel der exekutiven und richterlichen. Der skizzirte Gedanke einer historischen Dynamik macht dem Geiste des Condorcet so viel Ehre, als seinem Strebt eine Biographie zu generalisiren, so ist sie ein historisches Fragment. Konzentrirt sie sich ganz darauf, die Jndividualitaͤt zu charakterisiren: so ist sie eine Urkunde oder ein Werk der Lebenskunstlehre. Da man immer so sehr gegen die Hypothesen redet, so sollte man doch einmahl versuchen, die Geschichte ohne Hypothese anzufangen. Man kann nicht sagen, daß etwas ist, ohne zu sagen, was es ist. Jndem man sie denkt, bezieht man Fakta schon auf Begriffe, und es ist doch wohl nicht einerley, auf welche. Weiß man dieß, so bestimmt und waͤhlt man sich selbst unter den moͤglichen Begriffen die nothwendigen, auf die man Fakta jeder Art beziehen soll. Will man es nicht anerkennen, so bleibt die Wahl dem Jnstinkt, dem Zufall, oder der Willkuͤhr uͤberlassen, man schmeichelt sich reine solide Empirie ganz a posteriori zu haben, und hat eine hoͤchst einseitige, hoͤchst dogmatizistische und transcendente Ansicht a priori. Der Schein der Regellosigkeit in der Geschichte der Menschheit entsteht nur durch die Kollisionsfaͤlle heterogener Sphaͤren der Natur, die hier alle zusammentreffen und in einander greifen. Dann sonst hat die unbedingte Willkuͤhr in diesem Gebiet der freyen Nothwendigkeit und nothwendigen Freyheit, weder konstitutive noch legislative Gewalt, und nur den taͤuschenden Titel der exekutiven und richterlichen. Der skizzirte Gedanke einer historischen Dynamik macht dem Geiste des Condorcet so viel Ehre, als seinem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0250" n="61"/> <p>Strebt eine Biographie zu generalisiren, so ist sie ein historisches Fragment. Konzentrirt sie sich ganz darauf, die Jndividualitaͤt zu charakterisiren: so ist sie eine Urkunde oder ein Werk der Lebenskunstlehre.<lb/></p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Da man immer so sehr gegen die Hypothesen redet, so sollte man doch einmahl versuchen, die Geschichte ohne Hypothese anzufangen. Man kann nicht sagen, daß etwas ist, ohne zu sagen, was es ist. Jndem man sie denkt, bezieht man Fakta schon auf Begriffe, und es ist doch wohl nicht einerley, auf welche. Weiß man dieß, so bestimmt und waͤhlt man sich selbst unter den moͤglichen Begriffen die nothwendigen, auf die man Fakta jeder Art beziehen soll. Will man es nicht anerkennen, so bleibt die Wahl dem Jnstinkt, dem Zufall, oder der Willkuͤhr uͤberlassen, man schmeichelt sich reine solide Empirie ganz <foreign xml:lang="la">a posteriori</foreign> zu haben, und hat eine hoͤchst einseitige, hoͤchst dogmatizistische und transcendente Ansicht <foreign xml:lang="la">a priori</foreign>.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Der Schein der Regellosigkeit in der Geschichte der Menschheit entsteht nur durch die Kollisionsfaͤlle heterogener Sphaͤren der Natur, die hier alle zusammentreffen und in einander greifen. Dann sonst hat die unbedingte Willkuͤhr in diesem Gebiet der freyen Nothwendigkeit und nothwendigen Freyheit, weder konstitutive noch legislative Gewalt, und nur den taͤuschenden Titel der exekutiven und richterlichen. Der skizzirte Gedanke einer historischen Dynamik macht dem Geiste des Condorcet so viel Ehre, als seinem<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [61/0250]
Strebt eine Biographie zu generalisiren, so ist sie ein historisches Fragment. Konzentrirt sie sich ganz darauf, die Jndividualitaͤt zu charakterisiren: so ist sie eine Urkunde oder ein Werk der Lebenskunstlehre.
Da man immer so sehr gegen die Hypothesen redet, so sollte man doch einmahl versuchen, die Geschichte ohne Hypothese anzufangen. Man kann nicht sagen, daß etwas ist, ohne zu sagen, was es ist. Jndem man sie denkt, bezieht man Fakta schon auf Begriffe, und es ist doch wohl nicht einerley, auf welche. Weiß man dieß, so bestimmt und waͤhlt man sich selbst unter den moͤglichen Begriffen die nothwendigen, auf die man Fakta jeder Art beziehen soll. Will man es nicht anerkennen, so bleibt die Wahl dem Jnstinkt, dem Zufall, oder der Willkuͤhr uͤberlassen, man schmeichelt sich reine solide Empirie ganz a posteriori zu haben, und hat eine hoͤchst einseitige, hoͤchst dogmatizistische und transcendente Ansicht a priori.
Der Schein der Regellosigkeit in der Geschichte der Menschheit entsteht nur durch die Kollisionsfaͤlle heterogener Sphaͤren der Natur, die hier alle zusammentreffen und in einander greifen. Dann sonst hat die unbedingte Willkuͤhr in diesem Gebiet der freyen Nothwendigkeit und nothwendigen Freyheit, weder konstitutive noch legislative Gewalt, und nur den taͤuschenden Titel der exekutiven und richterlichen. Der skizzirte Gedanke einer historischen Dynamik macht dem Geiste des Condorcet so viel Ehre, als seinem
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