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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.

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Aber die eigentliche Lebenskraft der innern Schönheit und Vollendung ist das Gemüth. Man kann etwas Geist haben ohne Seele, und viel Seele bey weniger Gemüth. Der Jnstinkt der sittlichen Größe aber, den wir Gemüth nennen, darf nur sprechen lernen, so hat er Geist. Er darf sich nur regen und lieben, so ist er ganz Seele; und wann er reif ist, hat er Sinn für alles. Geist ist wie eine Musik von Gedanken; wo Seele ist, da haben auch die Gefühle Umriß und Gestalt, edles Verhältniß und reizendes Kolorit. Gemüth ist die Poesie der erhabenen Vernunft, und durch Vereinigung mit Philosophie und sittlicher Erfahrung entspringt aus ihm die namenlose Kunst, welche das verworrne flüchtige Leben ergreift und zur ewigen Einheit bildet.



Was oft Liebe genannt wird, ist nur eine eigne Art von Magnetismus. Es fängt an mit einem beschwerlich kitzelnden en rapport Setzen, besteht in einer Desorganisazion und endigt mit einem ekelhaften Hellsehen und viel Ermattung. Gewöhnlich ist auch einer dabey nüchtern.



Wer einen höheren Gesichtspunkt für sich selbst gefunden hat, als sein äußeres Daseyn, kann auf einzelne Momente die Welt aus sich entfernen. So werden diejenigen, die sich selbst noch nicht gefunden haben, nur auf einzelne Momente wie durch einen Zauber in die Welt hineingerückt, ob sie sich etwa finden möchten.



Aber die eigentliche Lebenskraft der innern Schoͤnheit und Vollendung ist das Gemuͤth. Man kann etwas Geist haben ohne Seele, und viel Seele bey weniger Gemuͤth. Der Jnstinkt der sittlichen Groͤße aber, den wir Gemuͤth nennen, darf nur sprechen lernen, so hat er Geist. Er darf sich nur regen und lieben, so ist er ganz Seele; und wann er reif ist, hat er Sinn fuͤr alles. Geist ist wie eine Musik von Gedanken; wo Seele ist, da haben auch die Gefuͤhle Umriß und Gestalt, edles Verhaͤltniß und reizendes Kolorit. Gemuͤth ist die Poesie der erhabenen Vernunft, und durch Vereinigung mit Philosophie und sittlicher Erfahrung entspringt aus ihm die namenlose Kunst, welche das verworrne fluͤchtige Leben ergreift und zur ewigen Einheit bildet.



Was oft Liebe genannt wird, ist nur eine eigne Art von Magnetismus. Es faͤngt an mit einem beschwerlich kitzelnden en rapport Setzen, besteht in einer Desorganisazion und endigt mit einem ekelhaften Hellsehen und viel Ermattung. Gewoͤhnlich ist auch einer dabey nuͤchtern.



Wer einen hoͤheren Gesichtspunkt fuͤr sich selbst gefunden hat, als sein aͤußeres Daseyn, kann auf einzelne Momente die Welt aus sich entfernen. So werden diejenigen, die sich selbst noch nicht gefunden haben, nur auf einzelne Momente wie durch einen Zauber in die Welt hineingeruͤckt, ob sie sich etwa finden moͤchten.



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[100/0289] Aber die eigentliche Lebenskraft der innern Schoͤnheit und Vollendung ist das Gemuͤth. Man kann etwas Geist haben ohne Seele, und viel Seele bey weniger Gemuͤth. Der Jnstinkt der sittlichen Groͤße aber, den wir Gemuͤth nennen, darf nur sprechen lernen, so hat er Geist. Er darf sich nur regen und lieben, so ist er ganz Seele; und wann er reif ist, hat er Sinn fuͤr alles. Geist ist wie eine Musik von Gedanken; wo Seele ist, da haben auch die Gefuͤhle Umriß und Gestalt, edles Verhaͤltniß und reizendes Kolorit. Gemuͤth ist die Poesie der erhabenen Vernunft, und durch Vereinigung mit Philosophie und sittlicher Erfahrung entspringt aus ihm die namenlose Kunst, welche das verworrne fluͤchtige Leben ergreift und zur ewigen Einheit bildet. Was oft Liebe genannt wird, ist nur eine eigne Art von Magnetismus. Es faͤngt an mit einem beschwerlich kitzelnden en rapport Setzen, besteht in einer Desorganisazion und endigt mit einem ekelhaften Hellsehen und viel Ermattung. Gewoͤhnlich ist auch einer dabey nuͤchtern. Wer einen hoͤheren Gesichtspunkt fuͤr sich selbst gefunden hat, als sein aͤußeres Daseyn, kann auf einzelne Momente die Welt aus sich entfernen. So werden diejenigen, die sich selbst noch nicht gefunden haben, nur auf einzelne Momente wie durch einen Zauber in die Welt hineingeruͤckt, ob sie sich etwa finden moͤchten.

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/289>, abgerufen am 22.11.2024.