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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.

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Grieche. Und wo gehört er hin?

Deutscher. Bey einsylbigen Wörtern auf die bedeutenderen Redetheile: das Nennwort, Zeitwort, Beywort, Umstandswort, manchmal das Fürwort; bey mehrsylbigen auf die Stammsylben. Die Ableitungs- und Biegungssylben sind meistens kurz.

Grieche. Sage mir, wirken die Wörter als Ganze oder Theilweise?

Deutscher. Wie verstehst du das?

Grieche. Jch meyne, wenn du etwa das Wort Begleitung hörst, ob du dir erst bey der Sylbe Be die Anwendung auf einen Gegenstand, dann bey gleit den allgemeinen Begriff von geleiten, endlich bey ung eine Handlung denkst, und so aus diesen Stücken die vollständige Vorstellung von Begleitung zusammen liesest; oder ob sie auf einmal, sobald du das Wort zu Ende gehört hast, in deine Seele tritt?

Deutscher. Doch wohl das letzte. Nur ein Sprachkundiger könnte jenes. Die wenigsten Menschen sind mit der Übung ihres Absonderungsvermögens und mit ihrem Nachdenken über die Sprache weit genug dazu gekommen.

Grieche. Denkt sich denn etwa der Sprachkundige bey dem Worte leider erst den Begriff von leid und dann den Begriff von er?

Deutscher. Schwerlich, denn die Bedeutung der Ableitungssylbe ist hier, wenigstens ohne etymologische Untersuchungen, dunkel. Allein die zusammengesetzten Wörter löset man doch in die einfachen Begriffe auf.

Grieche. Und wo gehoͤrt er hin?

Deutscher. Bey einsylbigen Woͤrtern auf die bedeutenderen Redetheile: das Nennwort, Zeitwort, Beywort, Umstandswort, manchmal das Fuͤrwort; bey mehrsylbigen auf die Stammsylben. Die Ableitungs- und Biegungssylben sind meistens kurz.

Grieche. Sage mir, wirken die Woͤrter als Ganze oder Theilweise?

Deutscher. Wie verstehst du das?

Grieche. Jch meyne, wenn du etwa das Wort Begleitung hoͤrst, ob du dir erst bey der Sylbe Be die Anwendung auf einen Gegenstand, dann bey gleit den allgemeinen Begriff von geleiten, endlich bey ung eine Handlung denkst, und so aus diesen Stuͤcken die vollstaͤndige Vorstellung von Begleitung zusammen liesest; oder ob sie auf einmal, sobald du das Wort zu Ende gehoͤrt hast, in deine Seele tritt?

Deutscher. Doch wohl das letzte. Nur ein Sprachkundiger koͤnnte jenes. Die wenigsten Menschen sind mit der Übung ihres Absonderungsvermoͤgens und mit ihrem Nachdenken uͤber die Sprache weit genug dazu gekommen.

Grieche. Denkt sich denn etwa der Sprachkundige bey dem Worte leider erst den Begriff von leid und dann den Begriff von er?

Deutscher. Schwerlich, denn die Bedeutung der Ableitungssylbe ist hier, wenigstens ohne etymologische Untersuchungen, dunkel. Allein die zusammengesetzten Woͤrter loͤset man doch in die einfachen Begriffe auf.

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[35/0046] Grieche. Und wo gehoͤrt er hin? Deutscher. Bey einsylbigen Woͤrtern auf die bedeutenderen Redetheile: das Nennwort, Zeitwort, Beywort, Umstandswort, manchmal das Fuͤrwort; bey mehrsylbigen auf die Stammsylben. Die Ableitungs- und Biegungssylben sind meistens kurz. Grieche. Sage mir, wirken die Woͤrter als Ganze oder Theilweise? Deutscher. Wie verstehst du das? Grieche. Jch meyne, wenn du etwa das Wort Begleitung hoͤrst, ob du dir erst bey der Sylbe Be die Anwendung auf einen Gegenstand, dann bey gleit den allgemeinen Begriff von geleiten, endlich bey ung eine Handlung denkst, und so aus diesen Stuͤcken die vollstaͤndige Vorstellung von Begleitung zusammen liesest; oder ob sie auf einmal, sobald du das Wort zu Ende gehoͤrt hast, in deine Seele tritt? Deutscher. Doch wohl das letzte. Nur ein Sprachkundiger koͤnnte jenes. Die wenigsten Menschen sind mit der Übung ihres Absonderungsvermoͤgens und mit ihrem Nachdenken uͤber die Sprache weit genug dazu gekommen. Grieche. Denkt sich denn etwa der Sprachkundige bey dem Worte leider erst den Begriff von leid und dann den Begriff von er? Deutscher. Schwerlich, denn die Bedeutung der Ableitungssylbe ist hier, wenigstens ohne etymologische Untersuchungen, dunkel. Allein die zusammengesetzten Woͤrter loͤset man doch in die einfachen Begriffe auf.

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/46>, abgerufen am 30.04.2024.