Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.Grieche. Jch komme auf die Kürze. Klopstock hat sich besonders bemüht zu zeigen, seine Sprache übertreffe hierin die beyden alten. Deutscher. Es ist ihm auch gelungen. Er hat eine Menge Stellen alter Dichter in der Übersetzung verkürzt, ohne ihnen etwas zu nehmen. Grieche. Sollen wir die Kürze mit der Elle messen, oder nach der Uhr berechnen? Deutscher. Wozu diese spöttische Frage? Grieche. Die Kürze ist ja etwas sinnliches: sie wird also im Raume oder in der Zeit wahrzunehmen seyn. Deutscher. Allerdings in beyden. Du siehst ja, Klopstocks Verdeutschungen haben immer weniger Verse als das Original. Grieche. Das wäre denn doch eine Art von sinnlichem Maßstabe. Aber er ist mir nicht genau genug: welch ein Unterschied zwischen Vers und Vers! Daß ein Deutscher Hexameter auf dem Papiere länger ist als ein Griechischer, fällt in die Augen, und wenn du noch zweifelst, so befrage den Setzer. Um jenen Maßstab nach der Zeit näher zu prüfen, müßte der Originaldichter und der Dollmetscher, jeder so geschwind er könnte, die angeblich verkürzte Stelle hersagen, und man sähe dann, wer am ersten fertig wäre. Engländer. Schön, da giebt es Verse-races. Jch will gleich eine Wette anstellen. Franzose. Auf diese Art werde ich den Deutschen auch leicht in der Kürze besiegen, denn drey Grieche. Jch komme auf die Kuͤrze. Klopstock hat sich besonders bemuͤht zu zeigen, seine Sprache uͤbertreffe hierin die beyden alten. Deutscher. Es ist ihm auch gelungen. Er hat eine Menge Stellen alter Dichter in der Übersetzung verkuͤrzt, ohne ihnen etwas zu nehmen. Grieche. Sollen wir die Kuͤrze mit der Elle messen, oder nach der Uhr berechnen? Deutscher. Wozu diese spoͤttische Frage? Grieche. Die Kuͤrze ist ja etwas sinnliches: sie wird also im Raume oder in der Zeit wahrzunehmen seyn. Deutscher. Allerdings in beyden. Du siehst ja, Klopstocks Verdeutschungen haben immer weniger Verse als das Original. Grieche. Das waͤre denn doch eine Art von sinnlichem Maßstabe. Aber er ist mir nicht genau genug: welch ein Unterschied zwischen Vers und Vers! Daß ein Deutscher Hexameter auf dem Papiere laͤnger ist als ein Griechischer, faͤllt in die Augen, und wenn du noch zweifelst, so befrage den Setzer. Um jenen Maßstab nach der Zeit naͤher zu pruͤfen, muͤßte der Originaldichter und der Dollmetscher, jeder so geschwind er koͤnnte, die angeblich verkuͤrzte Stelle hersagen, und man saͤhe dann, wer am ersten fertig waͤre. Englaͤnder. Schoͤn, da giebt es Verse-races. Jch will gleich eine Wette anstellen. Franzose. Auf diese Art werde ich den Deutschen auch leicht in der Kuͤrze besiegen, denn drey <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0062" n="51"/> <p><hi rendition="#g">Grieche</hi>. Jch komme auf die Kuͤrze. Klopstock hat sich besonders bemuͤht zu zeigen, seine Sprache uͤbertreffe hierin die beyden alten.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Deutscher</hi>. Es ist ihm auch gelungen. Er hat eine Menge Stellen alter Dichter in der Übersetzung verkuͤrzt, ohne ihnen etwas zu nehmen.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Grieche</hi>. Sollen wir die Kuͤrze mit der Elle messen, oder nach der Uhr berechnen?</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Deutscher</hi>. Wozu diese spoͤttische Frage?</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Grieche</hi>. Die Kuͤrze ist ja etwas sinnliches: sie wird also im Raume oder in der Zeit wahrzunehmen seyn.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Deutscher</hi>. Allerdings in beyden. Du siehst ja, Klopstocks Verdeutschungen haben immer weniger Verse als das Original.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Grieche</hi>. Das waͤre denn doch eine Art von sinnlichem Maßstabe. Aber er ist mir nicht genau genug: welch ein Unterschied zwischen Vers und Vers! Daß ein Deutscher Hexameter auf dem Papiere laͤnger ist als ein Griechischer, faͤllt in die Augen, und wenn du noch zweifelst, so befrage den Setzer. Um jenen Maßstab nach der Zeit naͤher zu pruͤfen, muͤßte der Originaldichter und der Dollmetscher, jeder so geschwind er koͤnnte, die angeblich verkuͤrzte Stelle hersagen, und man saͤhe dann, wer am ersten fertig waͤre.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Englaͤnder</hi>. Schoͤn, da giebt es <foreign xml:lang="en">Verse-races.</foreign> Jch will gleich eine Wette anstellen.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Franzose</hi>. Auf diese Art werde ich den Deutschen auch leicht in der Kuͤrze besiegen, denn drey<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [51/0062]
Grieche. Jch komme auf die Kuͤrze. Klopstock hat sich besonders bemuͤht zu zeigen, seine Sprache uͤbertreffe hierin die beyden alten.
Deutscher. Es ist ihm auch gelungen. Er hat eine Menge Stellen alter Dichter in der Übersetzung verkuͤrzt, ohne ihnen etwas zu nehmen.
Grieche. Sollen wir die Kuͤrze mit der Elle messen, oder nach der Uhr berechnen?
Deutscher. Wozu diese spoͤttische Frage?
Grieche. Die Kuͤrze ist ja etwas sinnliches: sie wird also im Raume oder in der Zeit wahrzunehmen seyn.
Deutscher. Allerdings in beyden. Du siehst ja, Klopstocks Verdeutschungen haben immer weniger Verse als das Original.
Grieche. Das waͤre denn doch eine Art von sinnlichem Maßstabe. Aber er ist mir nicht genau genug: welch ein Unterschied zwischen Vers und Vers! Daß ein Deutscher Hexameter auf dem Papiere laͤnger ist als ein Griechischer, faͤllt in die Augen, und wenn du noch zweifelst, so befrage den Setzer. Um jenen Maßstab nach der Zeit naͤher zu pruͤfen, muͤßte der Originaldichter und der Dollmetscher, jeder so geschwind er koͤnnte, die angeblich verkuͤrzte Stelle hersagen, und man saͤhe dann, wer am ersten fertig waͤre.
Englaͤnder. Schoͤn, da giebt es Verse-races. Jch will gleich eine Wette anstellen.
Franzose. Auf diese Art werde ich den Deutschen auch leicht in der Kuͤrze besiegen, denn drey
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