Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.Poesie. Da tritt eine seltsame Figur herein. Wer bist du? Grille.. Eine mächtige Fee. Jch nenne mich, wie es mir einfällt und es euch beliebt. Oft herrsche ich über dich, Grammatik, und nicht selten auch über dich, Poesie. Grammatik. Daß wir nicht wüßten. Grille. Jch komme jetzt nur um euch zu melden, welch ein Unglück bevorsteht, wenn ihr nicht schleunigst diese Versammlung trennt. Die Deutschheit, entrüstet über die ihr widerfahrne üble Begegnung, hat Himmel und Erde in Bewegung gesetzt, und das Gerücht von dem, was hier vorgeht, überall verbreitet. Nun sind alle in den grammatischen Gesprächen vorkommende Personen und noch andre rege geworden; sie wollen anklagen, vertheidigen, oder wenigstens als Zeugen auftreten. Sie sind zum Theil heftig unter einander entzwyt, und wenn ihr nicht schnell aufbrecht, so werdet ihr diesen friedlichen Ort zum Schauplatze des allgemeinen Krieges werden sehn. Der Verstand und die Vernunft lagen einander in den Haaren: jener behauptete, er sey einerley mit der Vernunft, sie würden nur in der Kantischen Philosophie unterschieden. Die Kunstwörterey, die sich für die Philosophie ausgab, trat hinzu und wollte sich den Ausspruch darüber anmaßen. Das Gemüth weinte, Klopstock habe es für ein schlechtes nichts sagendes Wort erklärt. Diese Entscheidung sey ihm gewiß nicht aus dem Gemüthe gekommen. Die Einbildungskraft forderte das Urtheil auf, das Buch in Poesie. Da tritt eine seltsame Figur herein. Wer bist du? Grille.. Eine maͤchtige Fee. Jch nenne mich, wie es mir einfaͤllt und es euch beliebt. Oft herrsche ich uͤber dich, Grammatik, und nicht selten auch uͤber dich, Poesie. Grammatik. Daß wir nicht wuͤßten. Grille. Jch komme jetzt nur um euch zu melden, welch ein Ungluͤck bevorsteht, wenn ihr nicht schleunigst diese Versammlung trennt. Die Deutschheit, entruͤstet uͤber die ihr widerfahrne uͤble Begegnung, hat Himmel und Erde in Bewegung gesetzt, und das Geruͤcht von dem, was hier vorgeht, uͤberall verbreitet. Nun sind alle in den grammatischen Gespraͤchen vorkommende Personen und noch andre rege geworden; sie wollen anklagen, vertheidigen, oder wenigstens als Zeugen auftreten. Sie sind zum Theil heftig unter einander entzwyt, und wenn ihr nicht schnell aufbrecht, so werdet ihr diesen friedlichen Ort zum Schauplatze des allgemeinen Krieges werden sehn. Der Verstand und die Vernunft lagen einander in den Haaren: jener behauptete, er sey einerley mit der Vernunft, sie wuͤrden nur in der Kantischen Philosophie unterschieden. Die Kunstwoͤrterey, die sich fuͤr die Philosophie ausgab, trat hinzu und wollte sich den Ausspruch daruͤber anmaßen. Das Gemuͤth weinte, Klopstock habe es fuͤr ein schlechtes nichts sagendes Wort erklaͤrt. Diese Entscheidung sey ihm gewiß nicht aus dem Gemuͤthe gekommen. Die Einbildungskraft forderte das Urtheil auf, das Buch in <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0078" n="67"/> <p><hi rendition="#g">Poesie</hi>. Da tritt eine seltsame Figur herein. Wer bist du?</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Grille.</hi>. Eine maͤchtige Fee. Jch nenne mich, wie es mir einfaͤllt und es euch beliebt. Oft herrsche ich uͤber dich, Grammatik, und nicht selten auch uͤber dich, Poesie.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Grammatik</hi>. Daß wir nicht wuͤßten.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Grille</hi>. Jch komme jetzt nur um euch zu melden, welch ein Ungluͤck bevorsteht, wenn ihr nicht schleunigst diese Versammlung trennt. Die Deutschheit, entruͤstet uͤber die ihr widerfahrne uͤble Begegnung, hat Himmel und Erde in Bewegung gesetzt, und das Geruͤcht von dem, was hier vorgeht, uͤberall verbreitet. Nun sind alle in den grammatischen Gespraͤchen vorkommende Personen und noch andre rege geworden; sie wollen anklagen, vertheidigen, oder wenigstens als Zeugen auftreten. Sie sind zum Theil heftig unter einander entzwyt, und wenn ihr nicht schnell aufbrecht, so werdet ihr diesen friedlichen Ort zum Schauplatze des allgemeinen Krieges werden sehn. Der Verstand und die Vernunft lagen einander in den Haaren: jener behauptete, er sey einerley mit der Vernunft, sie wuͤrden nur in der Kantischen Philosophie unterschieden. Die Kunstwoͤrterey, die sich fuͤr die Philosophie ausgab, trat hinzu und wollte sich den Ausspruch daruͤber anmaßen. Das Gemuͤth weinte, Klopstock habe es fuͤr ein schlechtes nichts sagendes Wort erklaͤrt. Diese Entscheidung sey ihm gewiß nicht aus dem Gemuͤthe gekommen. Die Einbildungskraft forderte das Urtheil auf, das Buch in<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [67/0078]
Poesie. Da tritt eine seltsame Figur herein. Wer bist du?
Grille.. Eine maͤchtige Fee. Jch nenne mich, wie es mir einfaͤllt und es euch beliebt. Oft herrsche ich uͤber dich, Grammatik, und nicht selten auch uͤber dich, Poesie.
Grammatik. Daß wir nicht wuͤßten.
Grille. Jch komme jetzt nur um euch zu melden, welch ein Ungluͤck bevorsteht, wenn ihr nicht schleunigst diese Versammlung trennt. Die Deutschheit, entruͤstet uͤber die ihr widerfahrne uͤble Begegnung, hat Himmel und Erde in Bewegung gesetzt, und das Geruͤcht von dem, was hier vorgeht, uͤberall verbreitet. Nun sind alle in den grammatischen Gespraͤchen vorkommende Personen und noch andre rege geworden; sie wollen anklagen, vertheidigen, oder wenigstens als Zeugen auftreten. Sie sind zum Theil heftig unter einander entzwyt, und wenn ihr nicht schnell aufbrecht, so werdet ihr diesen friedlichen Ort zum Schauplatze des allgemeinen Krieges werden sehn. Der Verstand und die Vernunft lagen einander in den Haaren: jener behauptete, er sey einerley mit der Vernunft, sie wuͤrden nur in der Kantischen Philosophie unterschieden. Die Kunstwoͤrterey, die sich fuͤr die Philosophie ausgab, trat hinzu und wollte sich den Ausspruch daruͤber anmaßen. Das Gemuͤth weinte, Klopstock habe es fuͤr ein schlechtes nichts sagendes Wort erklaͤrt. Diese Entscheidung sey ihm gewiß nicht aus dem Gemuͤthe gekommen. Die Einbildungskraft forderte das Urtheil auf, das Buch in
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