Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

trügliche Lebhaftigkeit über, deren gefährliche Revoluzionssymptome nur durch eine zunehmende Reihe gewaltsamer Mittel vertrieben werden können. Beyde Disposizionen können nur durch chronische, streng befolgte Kuren verändert werden.



Unser sämtliches Wahrnehmungsvermögen gleicht dem Auge. Die Objekte müßen durch entgegengesetzte Media durch, um richtig auf der Pupille zu erscheinen.



Die Erfahrung ist die Probe des Razionalen, und so umgekehrt. Die Unzulänglichkeit der bloßen Theorie in der Anwendung, über die der Praktiker oft kommentirt, findet sich gegenseitig in der razionalen Anwendung der bloßen Erfahrung, und wird von den ächten Philosophen, jedoch mit Selbstbescheidung der
Nothwendigkeit dieses Erfolgs, vernehmlich genug bemerkt. Der Praktiker verwirft deshalb die bloße Theorie ganz, ohne zu ahnden, wie problematisch die Beantwortung der Frage seyn dürfte: "Ob die Theorie für die Anwendung, oder die Anwendung um der Theorie willen sey?"



Das Höchste ist das Verständlichste, das Nächste, das Unentbehrlichste.



Wunder stehn mit naturgesetzlichen Wirkungen in Wechsel: sie beschränken einander gegenseitig, und machen zusammen ein Ganzes aus. Sie sind vereinigt,

truͤgliche Lebhaftigkeit uͤber, deren gefaͤhrliche Revoluzionssymptome nur durch eine zunehmende Reihe gewaltsamer Mittel vertrieben werden koͤnnen. Beyde Disposizionen koͤnnen nur durch chronische, streng befolgte Kuren veraͤndert werden.



Unser saͤmtliches Wahrnehmungsvermoͤgen gleicht dem Auge. Die Objekte muͤßen durch entgegengesetzte Media durch, um richtig auf der Pupille zu erscheinen.



Die Erfahrung ist die Probe des Razionalen, und so umgekehrt. Die Unzulaͤnglichkeit der bloßen Theorie in der Anwendung, uͤber die der Praktiker oft kommentirt, findet sich gegenseitig in der razionalen Anwendung der bloßen Erfahrung, und wird von den aͤchten Philosophen, jedoch mit Selbstbescheidung der
Nothwendigkeit dieses Erfolgs, vernehmlich genug bemerkt. Der Praktiker verwirft deshalb die bloße Theorie ganz, ohne zu ahnden, wie problematisch die Beantwortung der Frage seyn duͤrfte: „Ob die Theorie fuͤr die Anwendung, oder die Anwendung um der Theorie willen sey?“



Das Hoͤchste ist das Verstaͤndlichste, das Naͤchste, das Unentbehrlichste.



Wunder stehn mit naturgesetzlichen Wirkungen in Wechsel: sie beschraͤnken einander gegenseitig, und machen zusammen ein Ganzes aus. Sie sind vereinigt,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0083" n="72"/>
tru&#x0364;gliche Lebhaftigkeit u&#x0364;ber, deren gefa&#x0364;hrliche Revoluzionssymptome nur durch eine zunehmende Reihe gewaltsamer Mittel vertrieben werden ko&#x0364;nnen. Beyde Disposizionen ko&#x0364;nnen nur durch chronische, streng befolgte Kuren vera&#x0364;ndert werden.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Unser sa&#x0364;mtliches Wahrnehmungsvermo&#x0364;gen gleicht dem Auge. Die Objekte mu&#x0364;ßen durch entgegengesetzte Media durch, um richtig auf der Pupille zu erscheinen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Die Erfahrung ist die Probe des Razionalen, und so umgekehrt. Die Unzula&#x0364;nglichkeit der bloßen Theorie in der Anwendung, u&#x0364;ber die der Praktiker oft kommentirt, findet sich gegenseitig in der razionalen Anwendung der bloßen Erfahrung, und wird von den a&#x0364;chten Philosophen, jedoch mit Selbstbescheidung der<lb/>
Nothwendigkeit dieses Erfolgs, vernehmlich genug bemerkt. Der Praktiker verwirft deshalb die bloße Theorie ganz, ohne zu ahnden, wie problematisch die Beantwortung der Frage seyn du&#x0364;rfte: &#x201E;Ob die Theorie fu&#x0364;r die Anwendung, oder die Anwendung um der Theorie willen sey?&#x201C;</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Das Ho&#x0364;chste ist das Versta&#x0364;ndlichste, das Na&#x0364;chste, das Unentbehrlichste.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Wunder stehn mit naturgesetzlichen Wirkungen in Wechsel: sie beschra&#x0364;nken einander gegenseitig, und machen zusammen ein Ganzes aus. Sie sind vereinigt,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[72/0083] truͤgliche Lebhaftigkeit uͤber, deren gefaͤhrliche Revoluzionssymptome nur durch eine zunehmende Reihe gewaltsamer Mittel vertrieben werden koͤnnen. Beyde Disposizionen koͤnnen nur durch chronische, streng befolgte Kuren veraͤndert werden. Unser saͤmtliches Wahrnehmungsvermoͤgen gleicht dem Auge. Die Objekte muͤßen durch entgegengesetzte Media durch, um richtig auf der Pupille zu erscheinen. Die Erfahrung ist die Probe des Razionalen, und so umgekehrt. Die Unzulaͤnglichkeit der bloßen Theorie in der Anwendung, uͤber die der Praktiker oft kommentirt, findet sich gegenseitig in der razionalen Anwendung der bloßen Erfahrung, und wird von den aͤchten Philosophen, jedoch mit Selbstbescheidung der Nothwendigkeit dieses Erfolgs, vernehmlich genug bemerkt. Der Praktiker verwirft deshalb die bloße Theorie ganz, ohne zu ahnden, wie problematisch die Beantwortung der Frage seyn duͤrfte: „Ob die Theorie fuͤr die Anwendung, oder die Anwendung um der Theorie willen sey?“ Das Hoͤchste ist das Verstaͤndlichste, das Naͤchste, das Unentbehrlichste. Wunder stehn mit naturgesetzlichen Wirkungen in Wechsel: sie beschraͤnken einander gegenseitig, und machen zusammen ein Ganzes aus. Sie sind vereinigt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/83
Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/83>, abgerufen am 17.05.2024.