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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.

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Wer den Witz erfunden haben mag? Jede zur Besinnung gebrachte Eigenschaft, Handlungsweise unsers Geistes ist im eigentlichsten Sinn eine neuentdeckte Welt.



Der Geist erscheint immer nur in fremder, luftiger Gestalt.



Jetzt regt sich nur hie und da Geist: wann wird der Geist sich im Ganzen regen? wann wird die Menschheit in Masse sich selbst zu besinnen anfangen?



Der Mensch besteht in der Wahrheit. Giebt er die Wahrheit preis, so giebt er sich selbst preis. Wer die Wahrheit verräth, verräth sich selbst. Es ist hier nicht die Rede vom Lügen, sondern vom Handeln gegen Überzeugung.



Jn heitern Seelen giebts keinen Witz. Witz zeigt ein gestörtes Gleichgewicht an: er ist die Folge der Störung und zugleich das Mittel der Herstellung. Den stärksten Witz hat die Leidenschaft. Der Zustand der Auflösung aller Verhältnisse, die Verzweiflung oder das geistige Sterben ist am fürchterlichsten witzig.



Von einem liebenswerthen Gegenstande können wir nicht genug hören, nicht genug sprechen. Wir freuen uns über jedes neue, treffende, verherrlichende Wort. Es liegt nicht an uns, daß er nicht Gegenstand aller Gegenstände wird.



Wer den Witz erfunden haben mag? Jede zur Besinnung gebrachte Eigenschaft, Handlungsweise unsers Geistes ist im eigentlichsten Sinn eine neuentdeckte Welt.



Der Geist erscheint immer nur in fremder, luftiger Gestalt.



Jetzt regt sich nur hie und da Geist: wann wird der Geist sich im Ganzen regen? wann wird die Menschheit in Masse sich selbst zu besinnen anfangen?



Der Mensch besteht in der Wahrheit. Giebt er die Wahrheit preis, so giebt er sich selbst preis. Wer die Wahrheit verraͤth, verraͤth sich selbst. Es ist hier nicht die Rede vom Luͤgen, sondern vom Handeln gegen Überzeugung.



Jn heitern Seelen giebts keinen Witz. Witz zeigt ein gestoͤrtes Gleichgewicht an: er ist die Folge der Stoͤrung und zugleich das Mittel der Herstellung. Den staͤrksten Witz hat die Leidenschaft. Der Zustand der Aufloͤsung aller Verhaͤltnisse, die Verzweiflung oder das geistige Sterben ist am fuͤrchterlichsten witzig.



Von einem liebenswerthen Gegenstande koͤnnen wir nicht genug hoͤren, nicht genug sprechen. Wir freuen uns uͤber jedes neue, treffende, verherrlichende Wort. Es liegt nicht an uns, daß er nicht Gegenstand aller Gegenstaͤnde wird.



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[81/0092] Wer den Witz erfunden haben mag? Jede zur Besinnung gebrachte Eigenschaft, Handlungsweise unsers Geistes ist im eigentlichsten Sinn eine neuentdeckte Welt. Der Geist erscheint immer nur in fremder, luftiger Gestalt. Jetzt regt sich nur hie und da Geist: wann wird der Geist sich im Ganzen regen? wann wird die Menschheit in Masse sich selbst zu besinnen anfangen? Der Mensch besteht in der Wahrheit. Giebt er die Wahrheit preis, so giebt er sich selbst preis. Wer die Wahrheit verraͤth, verraͤth sich selbst. Es ist hier nicht die Rede vom Luͤgen, sondern vom Handeln gegen Überzeugung. Jn heitern Seelen giebts keinen Witz. Witz zeigt ein gestoͤrtes Gleichgewicht an: er ist die Folge der Stoͤrung und zugleich das Mittel der Herstellung. Den staͤrksten Witz hat die Leidenschaft. Der Zustand der Aufloͤsung aller Verhaͤltnisse, die Verzweiflung oder das geistige Sterben ist am fuͤrchterlichsten witzig. Von einem liebenswerthen Gegenstande koͤnnen wir nicht genug hoͤren, nicht genug sprechen. Wir freuen uns uͤber jedes neue, treffende, verherrlichende Wort. Es liegt nicht an uns, daß er nicht Gegenstand aller Gegenstaͤnde wird.

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/92>, abgerufen am 21.11.2024.