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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.

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komme nun mein Versprechen zu halten; nicht eben um mich als einen Mann von Worte zu zeigen, sondern einzig und allein weil ich Lust dazu habe, wäre es auch nur um eine so entschiedne Verächterin alles Schreibens und Buchstabenwesens mit meiner Liebhaberey für diese Dinge zu necken. Dir wäre ein Gespräch vielleicht lieber. Aber ich bin nun einmal ganz und gar ein Autor. Die Schrift hat für mich ich weiß nicht welchen geheimen Zauber vielleicht durch die Dämmerung von Ewigkeit, welche sie umschwebt. Ja ich gestehe Dir, ich wundre mich, welche geheime Kraft in diesen todten Zügen verborgen liegt; wie die einfachsten Ausdrücke, die nichts weiter als wahr und genau scheinen, so bedeutend seyn können, daß sie wie aus hellen Augen blicken, oder so sprechend wie kunstlose Accente aus der tiefsten Seele. Man glaubt zu hören, was man nur lieset, und doch kann ein Vorleser bey diesen eigentlich schönen Stellen nichts thun, als sich bestreben, sie nicht zu verderben. Die stillen Züge scheinen mir eine schicklichere Hülle für diese tiefsten unmittelbarsten Aeußerungen des Geistes als das Geräusch der Lippen. Fast möchte ich in der etwas mystischen Sprache unsers H. sagen: Leben sey Schreiben; die einzige Bestimmung des Menschen sey, die Gedanken der Gottheit mit dem Griffel des bildenden Geistes in die Tafeln der Natur zu graben. Doch was Dich betrifft, so denke ich, daß Du Deinem Antheile an dieser Bestimmung des menschlichen Geschlechts vollkommen Genüge leisten wirst, wenn Du so viel wie bisher singst, äußerlich und innerlich, im gewöhnlichen

komme nun mein Versprechen zu halten; nicht eben um mich als einen Mann von Worte zu zeigen, sondern einzig und allein weil ich Lust dazu habe, waͤre es auch nur um eine so entschiedne Veraͤchterin alles Schreibens und Buchstabenwesens mit meiner Liebhaberey fuͤr diese Dinge zu necken. Dir waͤre ein Gespraͤch vielleicht lieber. Aber ich bin nun einmal ganz und gar ein Autor. Die Schrift hat fuͤr mich ich weiß nicht welchen geheimen Zauber vielleicht durch die Daͤmmerung von Ewigkeit, welche sie umschwebt. Ja ich gestehe Dir, ich wundre mich, welche geheime Kraft in diesen todten Zuͤgen verborgen liegt; wie die einfachsten Ausdruͤcke, die nichts weiter als wahr und genau scheinen, so bedeutend seyn koͤnnen, daß sie wie aus hellen Augen blicken, oder so sprechend wie kunstlose Accente aus der tiefsten Seele. Man glaubt zu hoͤren, was man nur lieset, und doch kann ein Vorleser bey diesen eigentlich schoͤnen Stellen nichts thun, als sich bestreben, sie nicht zu verderben. Die stillen Zuͤge scheinen mir eine schicklichere Huͤlle fuͤr diese tiefsten unmittelbarsten Aeußerungen des Geistes als das Geraͤusch der Lippen. Fast moͤchte ich in der etwas mystischen Sprache unsers H. sagen: Leben sey Schreiben; die einzige Bestimmung des Menschen sey, die Gedanken der Gottheit mit dem Griffel des bildenden Geistes in die Tafeln der Natur zu graben. Doch was Dich betrifft, so denke ich, daß Du Deinem Antheile an dieser Bestimmung des menschlichen Geschlechts vollkommen Genuͤge leisten wirst, wenn Du so viel wie bisher singst, aͤußerlich und innerlich, im gewoͤhnlichen

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[3/0011] komme nun mein Versprechen zu halten; nicht eben um mich als einen Mann von Worte zu zeigen, sondern einzig und allein weil ich Lust dazu habe, waͤre es auch nur um eine so entschiedne Veraͤchterin alles Schreibens und Buchstabenwesens mit meiner Liebhaberey fuͤr diese Dinge zu necken. Dir waͤre ein Gespraͤch vielleicht lieber. Aber ich bin nun einmal ganz und gar ein Autor. Die Schrift hat fuͤr mich ich weiß nicht welchen geheimen Zauber vielleicht durch die Daͤmmerung von Ewigkeit, welche sie umschwebt. Ja ich gestehe Dir, ich wundre mich, welche geheime Kraft in diesen todten Zuͤgen verborgen liegt; wie die einfachsten Ausdruͤcke, die nichts weiter als wahr und genau scheinen, so bedeutend seyn koͤnnen, daß sie wie aus hellen Augen blicken, oder so sprechend wie kunstlose Accente aus der tiefsten Seele. Man glaubt zu hoͤren, was man nur lieset, und doch kann ein Vorleser bey diesen eigentlich schoͤnen Stellen nichts thun, als sich bestreben, sie nicht zu verderben. Die stillen Zuͤge scheinen mir eine schicklichere Huͤlle fuͤr diese tiefsten unmittelbarsten Aeußerungen des Geistes als das Geraͤusch der Lippen. Fast moͤchte ich in der etwas mystischen Sprache unsers H. sagen: Leben sey Schreiben; die einzige Bestimmung des Menschen sey, die Gedanken der Gottheit mit dem Griffel des bildenden Geistes in die Tafeln der Natur zu graben. Doch was Dich betrifft, so denke ich, daß Du Deinem Antheile an dieser Bestimmung des menschlichen Geschlechts vollkommen Genuͤge leisten wirst, wenn Du so viel wie bisher singst, aͤußerlich und innerlich, im gewoͤhnlichen

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/11>, abgerufen am 21.11.2024.