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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.

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Carracci, aber ich kann nicht sagen: es ist ganz der meinige.

Waller. Und warum nicht?

Louise. Es ist der schönste, den ich jemals gesehn habe, aber doch fehlt ihm der Brennpunkt, wo die höchste Kraft und Duldsamkeit zusammentreffen; und bis ich den finde, werde ich vielleicht die Darstellung dieses Jdeals für unmöglich halten.

Waller. Sie sind der Meynung Forsters?

Louise. Aus weniger subtilen Gründen vielleicht. Die Aufgabe ist aber wirklich subtil, der mancherley Lokalbedingungen wegen, unter denen der Gott Mensch war, oder unter denen wir ihn so denken. Die Ruhe in Carracci's Kopf ist herrlich, aber doch mit zu viel Weichheit verbunden. Er hat mehr von dem Jünger als von dem Meister. Ein hoher einfältiger Beruf liegt in ihm, wie Sie mit Recht sagen, aber es ist der: die weise Lehre zu fassen und wiederum auszustreuen, und an der Brust des Meisters zu ruhn. -- Doch wir wollen diesen unendlichen Streit nicht weiter führen. Geben Sie mir Jhre Papiere; ich nehme alles mit, und kann nun um so eher Feyerabend machen.

Waller. Und von dem Raphael wollen Sie schweigen, vor dem ich Sie doch Stunden lang stehen sah?

Louise. Eben deswegen, Lieber, denn der Mund fließt bey mir nicht allemal von dem über, deß das Herz voll ist. Jch habe mir nicht getraut, etwas darüber aufzuschreiben, und doch ist mir nicht bange darum, daß ich nicht einen treffenden Abdruck davon mit

Carracci, aber ich kann nicht sagen: es ist ganz der meinige.

Waller. Und warum nicht?

Louise. Es ist der schoͤnste, den ich jemals gesehn habe, aber doch fehlt ihm der Brennpunkt, wo die hoͤchste Kraft und Duldsamkeit zusammentreffen; und bis ich den finde, werde ich vielleicht die Darstellung dieses Jdeals fuͤr unmoͤglich halten.

Waller. Sie sind der Meynung Forsters?

Louise. Aus weniger subtilen Gruͤnden vielleicht. Die Aufgabe ist aber wirklich subtil, der mancherley Lokalbedingungen wegen, unter denen der Gott Mensch war, oder unter denen wir ihn so denken. Die Ruhe in Carracci's Kopf ist herrlich, aber doch mit zu viel Weichheit verbunden. Er hat mehr von dem Juͤnger als von dem Meister. Ein hoher einfaͤltiger Beruf liegt in ihm, wie Sie mit Recht sagen, aber es ist der: die weise Lehre zu fassen und wiederum auszustreuen, und an der Brust des Meisters zu ruhn. — Doch wir wollen diesen unendlichen Streit nicht weiter fuͤhren. Geben Sie mir Jhre Papiere; ich nehme alles mit, und kann nun um so eher Feyerabend machen.

Waller. Und von dem Raphael wollen Sie schweigen, vor dem ich Sie doch Stunden lang stehen sah?

Louise. Eben deswegen, Lieber, denn der Mund fließt bey mir nicht allemal von dem uͤber, deß das Herz voll ist. Jch habe mir nicht getraut, etwas daruͤber aufzuschreiben, und doch ist mir nicht bange darum, daß ich nicht einen treffenden Abdruck davon mit

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[124/0132] Carracci, aber ich kann nicht sagen: es ist ganz der meinige. Waller. Und warum nicht? Louise. Es ist der schoͤnste, den ich jemals gesehn habe, aber doch fehlt ihm der Brennpunkt, wo die hoͤchste Kraft und Duldsamkeit zusammentreffen; und bis ich den finde, werde ich vielleicht die Darstellung dieses Jdeals fuͤr unmoͤglich halten. Waller. Sie sind der Meynung Forsters? Louise. Aus weniger subtilen Gruͤnden vielleicht. Die Aufgabe ist aber wirklich subtil, der mancherley Lokalbedingungen wegen, unter denen der Gott Mensch war, oder unter denen wir ihn so denken. Die Ruhe in Carracci's Kopf ist herrlich, aber doch mit zu viel Weichheit verbunden. Er hat mehr von dem Juͤnger als von dem Meister. Ein hoher einfaͤltiger Beruf liegt in ihm, wie Sie mit Recht sagen, aber es ist der: die weise Lehre zu fassen und wiederum auszustreuen, und an der Brust des Meisters zu ruhn. — Doch wir wollen diesen unendlichen Streit nicht weiter fuͤhren. Geben Sie mir Jhre Papiere; ich nehme alles mit, und kann nun um so eher Feyerabend machen. Waller. Und von dem Raphael wollen Sie schweigen, vor dem ich Sie doch Stunden lang stehen sah? Louise. Eben deswegen, Lieber, denn der Mund fließt bey mir nicht allemal von dem uͤber, deß das Herz voll ist. Jch habe mir nicht getraut, etwas daruͤber aufzuschreiben, und doch ist mir nicht bange darum, daß ich nicht einen treffenden Abdruck davon mit

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/132>, abgerufen am 29.11.2024.