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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.

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"ehe sie von der menschlichen Schuld gereinigt wur"den." (Purg. C. VII, v. 31-34.) Der Ausdruck "von den guten Geistern, die thätig gewesen sind, damit "Ehre und Ruhm ihnen nachfolge", (Parad. C. VI, v. 112-114.) ist hier etwas zu wörtlich genommen, indem hinter einer Schaar von Seligen die Ehre als ein gekröntes Weib mit Sternenkränzen über dem Haupt und in den gehobnen Händen, und zunächst an ihr die hergebrachte Figur der Fama schwebt. Ein einziges Mal verstehe ich die Anspielung gar nicht, die der Zeichner im Sinne hatte, und vermuthe einen Mißverstand: das Bild des Heilandes als Knaben mit der Weltkugel in der Hand und auf die Schlange tretend steht im Sternbilde des Löwen, und soll sich auf Paradiso C. XVI. 37. 38. beziehen. Hingegen das gleich vorhergehende Stück: eine Mutter mit dem neugebohrnen Knäbchen in den Armen, zu deren Lager die Jungfrau Maria segnend hinzu schwebt, was sich aus einem sehr entfernten Wink des Dichters entwickelt hat, gehört unter die zartesten Bilder der ganzen Sammlung.

Von den heitern Gesichten gegen Ende des Purgatorio an zieht sich ein Strom von Licht, von Verklärung und Glorie durch Dante's Gedicht, der immer voller und strömender wird, und in dessen Urquell der geblendete Seher sich zuletzt verliert. Ein in irdische Farben getauchter Pinsel kann bey dergleichen wenig ausrichten, und wie muß sich vollends der Zeichner resigniren, der nur Linien hat! Die Mahlerey kann nicht zum Wetteifer in die Schranken treten wollen, wo die Darstellung der unbegränzten Poesie selbst eigentlich ein beständiges Erliegen

“ehe sie von der menschlichen Schuld gereinigt wur“den.” (Purg. C. VII, v. 31-34.) Der Ausdruck “von den guten Geistern, die thaͤtig gewesen sind, damit “Ehre und Ruhm ihnen nachfolge”, (Parad. C. VI, v. 112-114.) ist hier etwas zu woͤrtlich genommen, indem hinter einer Schaar von Seligen die Ehre als ein gekroͤntes Weib mit Sternenkraͤnzen uͤber dem Haupt und in den gehobnen Haͤnden, und zunaͤchst an ihr die hergebrachte Figur der Fama schwebt. Ein einziges Mal verstehe ich die Anspielung gar nicht, die der Zeichner im Sinne hatte, und vermuthe einen Mißverstand: das Bild des Heilandes als Knaben mit der Weltkugel in der Hand und auf die Schlange tretend steht im Sternbilde des Loͤwen, und soll sich auf Paradiso C. XVI. 37. 38. beziehen. Hingegen das gleich vorhergehende Stuͤck: eine Mutter mit dem neugebohrnen Knaͤbchen in den Armen, zu deren Lager die Jungfrau Maria segnend hinzu schwebt, was sich aus einem sehr entfernten Wink des Dichters entwickelt hat, gehoͤrt unter die zartesten Bilder der ganzen Sammlung.

Von den heitern Gesichten gegen Ende des Purgatorio an zieht sich ein Strom von Licht, von Verklaͤrung und Glorie durch Dante's Gedicht, der immer voller und stroͤmender wird, und in dessen Urquell der geblendete Seher sich zuletzt verliert. Ein in irdische Farben getauchter Pinsel kann bey dergleichen wenig ausrichten, und wie muß sich vollends der Zeichner resigniren, der nur Linien hat! Die Mahlerey kann nicht zum Wetteifer in die Schranken treten wollen, wo die Darstellung der unbegraͤnzten Poesie selbst eigentlich ein bestaͤndiges Erliegen

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[219/0229] “ehe sie von der menschlichen Schuld gereinigt wur“den.” (Purg. C. VII, v. 31-34.) Der Ausdruck “von den guten Geistern, die thaͤtig gewesen sind, damit “Ehre und Ruhm ihnen nachfolge”, (Parad. C. VI, v. 112-114.) ist hier etwas zu woͤrtlich genommen, indem hinter einer Schaar von Seligen die Ehre als ein gekroͤntes Weib mit Sternenkraͤnzen uͤber dem Haupt und in den gehobnen Haͤnden, und zunaͤchst an ihr die hergebrachte Figur der Fama schwebt. Ein einziges Mal verstehe ich die Anspielung gar nicht, die der Zeichner im Sinne hatte, und vermuthe einen Mißverstand: das Bild des Heilandes als Knaben mit der Weltkugel in der Hand und auf die Schlange tretend steht im Sternbilde des Loͤwen, und soll sich auf Paradiso C. XVI. 37. 38. beziehen. Hingegen das gleich vorhergehende Stuͤck: eine Mutter mit dem neugebohrnen Knaͤbchen in den Armen, zu deren Lager die Jungfrau Maria segnend hinzu schwebt, was sich aus einem sehr entfernten Wink des Dichters entwickelt hat, gehoͤrt unter die zartesten Bilder der ganzen Sammlung. Von den heitern Gesichten gegen Ende des Purgatorio an zieht sich ein Strom von Licht, von Verklaͤrung und Glorie durch Dante's Gedicht, der immer voller und stroͤmender wird, und in dessen Urquell der geblendete Seher sich zuletzt verliert. Ein in irdische Farben getauchter Pinsel kann bey dergleichen wenig ausrichten, und wie muß sich vollends der Zeichner resigniren, der nur Linien hat! Die Mahlerey kann nicht zum Wetteifer in die Schranken treten wollen, wo die Darstellung der unbegraͤnzten Poesie selbst eigentlich ein bestaͤndiges Erliegen

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/229>, abgerufen am 18.05.2024.